Mit dem Radl nach China:Vier Teller Nudeln geben Kraft

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Askan von Schirnding ist von Kochel am See bis nach China geradelt. Dabei ist er an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gekommen.

Von Claudia Koestler

Askan von Schirnding ist angekommen: Zurück zu Hause, nachdem er in 99 Tagen rund 11 000 Kilometer von Kochel am See bis nach China geradelt ist. Vor allem aber ist er angekommen bei sich. Mit im Gepäck hat der 24-jährige Abenteurer eine Fülle an Erlebnissen und Geschichten: Von Kraftanstrengungen und Selbstüberwindung, von Hunger und Durst im Nirgendwo, von eisiger Kälte in der Wüste, von unendlichen Weiten, steilen Bergpässen, von hilfsbereiten Menschen, aber auch von Staatsgewalt und Überwachung. Vieles hat ihn auf seiner Reise berührt, einiges erstaunt. Über seine außergewöhnliche Fahrradtour will er ein Buch schreiben und die unterwegs gedrehten Videos zu einem Dokumentarfilm verarbeiten.

Im August war von Schirnding mit seinen Freunden Michael Drs und Lasse Kurz aufgebrochen, um über Polen, Lettland, Litauen, Russland und Kasachstan nach Xining, Hauptstadt der chinesischen Provinz Qinghai, zu fahren. Im September hatten die drei Russland hinter sich gelassen. "Kasachstan war ganz anders, auch von den Straßenverhältnissen her", sagt von Schirnding. Vor allem eine unglaubliche Weite mache das Land aus: "Wenn man einen Punkt am Horizont endlich erreicht hat, geht es noch einmal genauso weiter", erzählt er. In solchen Ebenen sehe man Lichter besonders weit: "Oft dachten wir, wir sehen schon ein Dorf oder eine Stadt, wir sind bestimmt bald da. Dann dauerte es doch noch drei Stunden." Die Menschen in Kasachstan seien ihnen freundlich und aufgeschlossen begegnet. "Autofahrer und Lastwagenfahrer hupten und winkten begeistert, wenn sie uns sahen." Viele wollten die jungen Männer einladen. Allerdings stellte sich eines zunehmend als Herausforderung heraus: von Schirnding ist Vegetarier. Seine Versuche, das den Gastgebern zu erklären, wurden lächelnd negiert. In der Folge blieben ihm meist nur die Beilagen - meist Kartoffelbrei oder Makkaroni.

Das Material - er und Drs fuhren Mountainbikes, Kurz ein Rennrad - machte schneller schlapp als die jungen Männer: "Die Speichen brachen wie Zahnstocher", lacht von Schirnding rückblickend. Die größeren Herausforderung waren es dem Hunger zu trotzen auf den teils weiten Strecken zwischen Dörfern und Tankstellen. Manchmal auch die Hitze, später die zunehmende Kälte und sogar der eine oder andere Hund, der sie wild bellend jagte.

Und natürlich der Wind, der ihnen schon mal das Rad quer über die Straße trieb. "Aber auch das machte irgendwie Spaß - es war eben eine Herausforderung." Mitten in Kasachstan ging ihnen sogar einmal das Trinkwasser aus. "Dann kann man kaum mehr atmen, weil einem der Mund so zusammenklebt", beschreibt von Schirnding. Sie trafen auf einen Autofahrer und fragten ihn nach Wasser. Auch der sprach von Wasser, und als er die Flasche der Radfahrer mit dem spärlichen Rest darin sah, nahm er sie dankbar an und trank sie aus. "Er war offenbar genauso durstig wie wir". In der Folge suchten sie die Straßengräben ab, ob sich dort nicht noch eine Flasche mit etwas Wasser darin findet. "Wie vermüllt dort die Straßen sind, ist unvorstellbar", sagt von Schirnding. Der Anblick habe manchmal sogar eine bizarre Schönheit gehabt, "frühmorgens etwa, wenn das Plastik in der Sonne funkelt." Die Suche nach Wasser im Graben endete zwar vergebens. Ein kleiner Kiosk wurde schließlich zur Rettung.

Pünktlich zu seinem 24. Geburtstag kam von Schirnding in Almaty an, mit rund 1,7 Millionen Einwohnern die größte Stadt Kasachstans. Lasse Kurz hatte inzwischen planmäßig die Reise beendet. Von Schirnding und Drs feierten in einem italienischen Restaurant mit Kraftnahrung - vier Portionen Nudeln. Ein seltener Luxus obendrein: sie gönnten sich ein Hotel. "Endlich duschen, endlich Wäsche waschen, in einem richtigen Bett schlafen."

Der Grenzübergang nach China war dann nicht einfach. Zum einen wegen der Sprachbarrieren, zum anderen wegen der Bürokratie und dem Visum, das ihnen nur 30 Tage Zeit gewährte, bis zu ihrem Ziel zu kommen. Wiederholt wollten die Kasachen die Radler nicht ziehen lassen, am Ende schleppten die Beamten den wütend gewordenen jungen Mann in ein Büro. Es galt, unverständliche Formulare auszufüllen, dreimal fiel der Strom aus. Ganz knapp klappte der Grenzübertritt, bevor die chinesischen Beamten die Grenze für fünf Tage schlossen, wegen eines lokalen Feiertags.

Der erste Eindruck von China: "Ganz anders als alles vorher", sagt von Schirnding. Landschaftlich eindrucksvoll, doch die Überwachung machte den Reisenden zu schaffen. Für sie gab es keinen Zugang zum Internet, stattdessen überall Kameras. "Die Straßen wimmelten von Polizisten, die schon mal mit einer Art überdimensionierten Müllzange Menschen umher bugsierten." Alle 80 Kilometer mussten sie sich an einem Check-Point registrieren, und als den chinesischen Beamten ihre Route missfiel, wurden sie und ihre Räder kurzerhand zurückgefahren. Dazu die enge zeitliche Begrenzung: "Jeder Tag war ein Marathon, mit dem Ziel: 150 Kilometer schaffen", sagt von Schirnding.

Unterschätzt hatte er die Temperaturen und die Höhen, die es auf der Strecke zu bewältigen galt: Manchmal ging es über Pässe zwischen 2500 und 3000 Meter hinauf, sogar auf bis zu 3800 Meter Höhe führte der Weg einmal. Nur von der berühmten Taklamakanwüste sah von Schirnding wenig. "Die Chinesen haben die Straße dort dicht mit Büschen und Bäumen bepflanzt, offenbar um Sand von der Fahrbahn abzuhalten." Auch im Reich der Mitte war die Ernährung eine Herausforderung für den Vegetarier: "Eigentlich gab es immer nur ein Gericht ohne Fleisch - Nudeln mit Ei und Tomate." Das höchste der Gefühle waren schließlich Cracker, denn die konnte er auch während der Fahrradfahrt knabbern, um keine unnötigen Pausen einzulegen.

Gegen Ende der Tour ließen die Kräfte dann doch nach, vor allem die Regenerationsfähigkeit. Dennoch schafften die beiden zum Schluss noch die härteste Etappe der ganzen Tour: 264 Kilometer am Stück, teils nachts mit Stirnlampen gefahren. Von Schirnding fand sich bei diesem Endspurt in einem ganz neuen Zustand auf dem Fahrrad wieder, nämlich wach und schlafend zugleich.

Es zahlte sich aus: Genau zum geplanten Tag kamen sie in Xining an - mit wundem Popo, aber überglücklich.

Für eine solche Tour müsse man in erster Linie mit sich im Reinen sein, sagt von Schirnding. Er habe unterwegs permanent Pläne geschmiedet, aber auch sich selbst auf den Prüfstein gelegt. "Zu Beginn hatte ich noch ein bestimmtes Ziel vor Augen - ich wollte den Trip durchziehen, ein harter Hund sein", gibt er zu.

Doch mitten in der Nacht, nach zig Kilometern gegen den Wind und über Pässe geradelt, hänge man eben "nicht mehr wie ein Soldat mit eiserner Miene über dem Lenker, sondern mit dem Gedanken, hoffentlich überlebe ich das." Erst jenseits der Komfortzone fächere sich auf, wer man sei: "Da ist kein Platz mehr für eine Maske", weiß er jetzt.

Sein persönliches Fazit: Er will künftig mehr Dinge tun um des Tun willens und weniger für ein bestimmtes Ergebnis. Den ungewöhnlichen Fahrradtrip will er fortsetzen. Nach dem Buch und der Dokumentation soll es zurück nach China gehen. Und von dort aus um die ganze Welt.

© SZ vom 10.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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