Meisterwerk des Rokoko:Leicht, hell, schwebend

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Das anmutige Dietramszeller Kirchlein, das im Jahr 1774 geweiht wurde, gilt heute als eines der schönsten Werke der Epoche in Altbayern

Von Kaija Voss, Dietramszell

Fährt man zu nächtlicher Stunde von Dietramszell nach Föggenbeuern, sieht man die Wallfahrtskirche Sankt Leonhard majestätisch vor dunklem Wald. Angestrahlt von hellen Scheinwerfern, leuchtet sie wie nicht von dieser Welt. Ein Eindruck, der den Wallfahrern des 18. Jahrhunderts, die in immer größer werdenden Scharen zu dem Kirchlein pilgerten, so nicht möglich war. Doch muss es auch damals ein Wunder gewesen sein, auf der freien Lichtung eine derart anmutige und elegante Kirche, bekrönt von einem Türmchen mit geschwungener Kuppel, zu erblicken.

Ein Meisterwerk des Spätrokoko, eines der schönsten Werke des altbayerischen Rokoko überhaupt - so lauten die kunsthistorischen Einordnungen heute. Die Hintergründe für die Errichtung einer ersten Leonhard-Kapelle an dieser Stelle klingen weniger blumig: Eine Pferdeseuche grassierte am Ende des 17. Jahrhunderts. Der damalige Probst Marcellinus Obermayr vom Augustinerchorherrenstift zu Dietramszell versprach für den Fall, dass die Pferde des Klostermeierhofes verschont bleiben sollten, den Bau einer Kapelle zu Ehren des Heiligen. Die Bitte erfüllte sich und 1690 wurde die erste Wallfahrtskirche hier geweiht. Daneben unterhielt das Chorherrenstift zwei weitere Wallfahrtsstätten in Klosternähe, die spätgotische Kapelle in Kreuzbichl und das ebenfalls 1690 geweihte barocke Kirchlein Maria Elend. Für die Errettung von Pferden steht jedoch der Heilige Leonhard. Er gehört zu den wichtigsten Heiligen in Bayern, der Volksmund nennt ihn den Bayern-Herrgott. Als einer der 14 Nothelfer ist er für die Befreiung aus unterschiedlichsten Nöten zuständig. Zunächst als Schutzpatron der Gefangenen (Kettenheiliger) verehrt, wurde er zum Helfer für das Vieh, besonders für die Pferde. Zahlreiche Leonhardi-Wallfahrten sind bis heute Ausdruck seiner Popularität, darunter nicht nur die von Bad Tölz am 6. November, sondern auch das immer am dritten Samstag im Juli stattfindende "Dietramszeller Lehards". Schon Ende des 17. Jahrhunderts war der Strom der Wallfahrer hier gewaltig, man zählte um die 1000 Teilnehmer. Die kleine Kapelle reichte nicht mehr. Der aus Wien stammende Baumeister Matthäus Gießl, Hofbaumeister in München, erhielt den Auftrag zum Bau der neuen, größeren Wallfahrtskirche. Sie wurde im Mai 1774 geweiht.

Das weiße Gebäude mit den Segmentbogenfenstern vereint unter seinem roten Ziegeldach drei zusammenhängende Räume, die wie ein großer Zentralraum wirken. Der Kirchengrundriss basiert auf dem Oval, ähnlich, wie es auch bei der bekanntesten Rokoko-Kirche Bayerns, der bei Steingaden gelegenen Wieskirche, der Fall ist. Die Wallfahrtskirche im Pfaffenwinkel wurde deutlich früher, von 1745 bis 1754, vom berühmten Dominikus Zimmermann erbaut. Baumeister Gießl muss dieses Rokokojuwel gekannt haben und nicht nur er, auch der Künstler, der wohl für die Stuckarbeiten von St. Leonhard zuständig war, Tassilo Zöpf. Sein Vater, Franziskus Zöpf, war Taufpate Dominikus Zimmermanns in Wessobrunn. Sohn Tassilo wird als Stuckateur ausgebildet und gehört bald zu den Künstlern der Wessobrunner Schule. Wichtiger Unterschied zwischen Wieskirche und St. Leonhard ist, dass bei letzterer die Deckengewölbe gemauert sind, der Hauptraum der Wieskirche dagegen von einer hölzernen Kuppelkonstruktion abgeschlossen wird. Grund ist die Gewichtsersparnis. Die Decke der Wieskirche ruht auf zierlichen Doppelsäulen, der überkuppelte Hauptraum von St. Leonhard auf vier wuchtigen Pfeilern. Trotzdem wirkt das Innere leicht, hell und schwebend.

Architektur, Stuck, Ausstattung und illusionistische Malerei verweben sich zum Gesamtkunstwerk. Am Übergang zwischen Pfeilern und Deckengemälde sind die christlichen Tugenden dargestellt: Glaube, Liebe, Hoffnung und Tapferkeit. Vier Fresken, umrahmt vom geschwungenen Muschelwerk des Rokoko, der Rocaille. Weitere Rocaille-Ornamentik findet sich an den drei Altären, an der Kanzel, an den hell-türkisen Kapitellen der Pilaster sowie im stuckierten Rahmen des Deckenfreskos von Christian Winck. Es zeigt die Verherrlichung des Heiligen Leonhard als Schutzpatron der Gefangenen, Kranken und Siechen, der Landwirte und der Stalltiere. Auch auf dem Hochaltar, geschaffen von Philipp Jakob Rämpl, ist es St. Leonhard selbst, der mit Evangelienbuch und (geöffneter) Gefangenenkette, den Blick auf sich zieht. Der Heilige schwebt auf silbernen Wölkchen, eine goldene Gloriole umgibt sein Haupt, goldene Himmelsstrahlen gehen von ihm aus.

Dringt durch die hohen Glasfenster die Sonne in den pastellfarbenen Kirchenraum und bringt die Skulpturen in leuchtende Bewegung, dann weiß man, dass Rokoko nicht nur zur Pracht bei Hofe gehört, sondern auch dem Volksglauben und seinen Wallfahrten einen wundervoll geschwungenen Rahmen gibt.

© SZ vom 28.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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