Selten gehört und doch immer wieder eine kleine Überraschung: Oboenstücke überzeugen für gewöhnlich mit einer gewissen Gesanglichkeit. Dass diesem Instrument auch weitere Facetten innewohnen, wurde beim Juli-Konzert der Reihe Meistersolisten in Icking deutlich. Die Solo-Oboistin vom London Symphony Orchestra Juliana Koch, begleitet von der Pianistin Galya Kolarova, läutete im Saal des Gymnasiums die Sommerpause ein, mit gefühlvollen Klängen aus Gaetano Donizettis Opernwelt und anspruchsvoller musikalischer Dialektik aus der Feder von André Jolivet.
Den Anfang bilden dabei die Fantasiestücke des Dänen Carl Nielsen, eines seiner frühesten Werke von 1889. Hier macht sich bereits Kochs diskrete Intonation bemerkbar, die sich sowohl in melancholischer Motivgebung wirksam zeigt als auch in Phasen clownesken Spiels mit dem Intervall. Die wohlmodulierte Klanglinie bleibt zurückhaltend und klar, auch Kolarova trägt ihren Teil dazu bei. Das scherzhaft abgebrochene Ende des zweiten Satzes lässt auf weitere Könnerschaft hoffen.
Mit Schumann betreten die zwei Musiker, die sich aus einer gemeinsamen Zeit in Kopenhagen kennen, nun romantisches Kernland. Die "Drei Romanzen" eignen sich hervorragend, um die klanglichen Eigenschaften einer Oboe hervorzukehren. Koch, die seit vergangenem Jahr als Professorin am renommierten Royal College of Music in London unterrichtet, folgt ihrer das Tempo vorgebenden Kollegin in der ersten Romanze willig und bleibt dabei auch im Pianissimo noch vernehmbar. Die gegenseitige Achtung der beiden Musikerinnen wird im wechselseitigen Anschwellen der Intensität ihres jeweiligen Vortrags deutlich. Nach einem gedrungenen Mittelteil ohne Verluste in der Artikulation endet die zweite Romanze mit einer frühlingshaften Schwebe an der Oboe, die sachte am Piano verklingt. Der dritte Teil führt beide Musikerinnen schließlich zusammen, die reine Melancholie der Oboe bettet sich eine Art bewegte Unruhe am Klavier, das Ende bildet eine gemeinsame Coda in A-Dur.
Vor der Pause führen Koch und Kolarova das Publikum noch in die technischen Finessen moderner Klangwelten ein. Das nach Koch "groteske, seltsame" bisweilen "geisterhafte und wilde" Stück aus dem Jahre 1945 von dem Franzosen André Jolivet erregt dabei große Begeisterung unter den Zuhörern. Die plötzlichen Wechsel im Tempo, eine vom Klavier erzählte Schauer-Geschichte, deren Lücken durch die Oboe skeptisch und fragend überbrückt werden und schrille Takte, die sich hinaufschlängeln in der Melodie, bilden eine überraschende Dramatik. Das irrlichternde Spiel Kolarovas gleicht einem orientierungslosen Verstand, dem die Oboe ein gefühlsmäßiges Muster zuweist: lang gezogene Forte-Stellen konterkarieren hier das Staccato-Spiel des Klaviers. Mit dem Finale und einem koketten Triller kommt schließlich der verdiente Beifall.
Nach der Pause darf sich das Publikum zurücklehnen, Jean Françaix' "L'Horloge de flore" von 1959 beglückt das Ohr mit einer akustischen Blumenuhr nach dem Vorbild des Botanikers Carl von Linné. Nachtjasmin, Blaue Rasselblume, Königin der Nacht und Trauergeranie treten unter anderem in eine gehaltvolle Reihe motivischer Bildhaftigkeit. Verschlafenheit und Ruhe, quirliges Tänzeln - je nach Tageszeit - und orientalische Frivolität lassen aufhorchen, genussvolle Solo-Passagen an der Oboe ergänzen das liebliche Stück.
Zum Abschluss gönnt man dem Publikum noch ein Potpourri aus Donizettis Oper "La Favorita", zusammengetragen und komponiert vom "Paganini der Oboe", so Koch, Antonio Pasculli. Intensive Triller, Kadenzen en masse und dabei noch zarte Melodien fürs Gemüt treiben die Oboistin sichtlich an ihre Grenzen, die sie gekonnt auslotet. Accelerandi mit hoher Tondichte und beeindruckende Läufe in Allegrissimo verraten ein Gespür für die italienische Keckheit des Opern-Dichters und führen zudem die virtuosen Fähigkeiten der Solistin vor. Insgesamt ein sehr überzeugender Auftritt im Zeichen der Oboe.