Mein Europa:Was die Deutschen über Polen wissen

Dagmara Sosnowska aus Geretsried berichtet von Integration und Vorurteilen

Von Thekla Krausseneck

28 Mitgliedsstaaten hat die Europäische Union seit der vorerst letzten Erweiterung im Jahr 2013, und gut 507 Millionen Einwohner. Vom 22. bis 25. Mai werden die 751 Abgeordneten des Europa-Parlaments neu gewählt. Die Grenzen sind offen, wer will, kann sich in einem anderen Land der EU Wohnung und Arbeit suchen. Auch im Landkreis leben Menschen aus den meisten Mitgliedsstaaten. Die SZ stellt einige von ihnen vor.

Der kulturelle Austausch zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Dagmara Sosnowska. Mit 14 Jahren besuchte die Polin das erste Mal Deutschland: Ihre Schule unterhielt ein Austauschprogramm, das so intensiv ausgeschöpft wurde, dass Sosnowska bisweilen mehrmals im Jahr ins Ausland fuhr. So oft, dass sich der Mathematik-Lehrer beschwerte. Was ihr auffiel, als sie erstmals durch Deutschland fuhr: die akkuraten Gärten, in denen alles so perfekt, so exakt wirkte. In Polen waren die Gärten eher wild.

Genau 14 Jahre später packte Sosnowska - inzwischen studierte Germanistin - ihre Sachen und zog nach München. Einige Monate zuvor war Polen der EU beigetreten. Ein Ereignis, sagt die heute 38-jährige Projektleiterin des "Integration Aktiv Geretsried", das nicht nur ihrer Heimat - etwa in Form von finanziellen Mitteln für den Straßenausbau - Gutes gebracht, sondern auch den kulturellen Austausch mit den Nachbarn gefördert habe.

Was sie nach Deutschland brachte, war ein Stipendium des Robert-Bosch-Instituts: Sosnowska arbeitete für ein Jahr im Literaturhaus in München, wo sie im interkulturellen Projekt "Zwischenraum Europa" mitwirkte. Nach einem Jahr, noch unschlüssig darüber, ob sie bleiben oder wieder heimfahren sollte, ergab sich eine Projektarbeit am Goethe-Institut, und ehe sie sich's versah, waren zehn Jahre vergangen.

Über die Vorurteile, mit denen sie in all der Zeit konfrontiert wurde, will sie lieber kein Wort verlieren, "denn wenn man sie nennt, dann festigen sie sich." Dem Klischee vom Autos stehlenden Polen sei sie schon in ihrer Zeit als Stipendiatin begegnet. "Und?", sei sie scherzhaft gefragt worden, "wie viele Autos hast du schon geklaut?" Solchen Sprüchen begegne sie mit einem Augenzwinkern, doch frage sie sich in solchen Momenten auch: "Wie viel weiß derjenige sonst noch über Polen?" Oft habe sich so gezeigt, dass die alten Grenzen in den Köpfen teilweise noch bestehen. In Polen sei das Interesse an der Germanistik groß. Die Deutschen hingegen, nun - "es könnte noch besser werden". Dass in dieser Hinsicht allerdings schon viel passiert sei, liege an den offenen Grenzen.

Dass sie zur Europawahl geht, ist für Sosnowska selbstverständlich. Denn das Europa-Parlament sei zwar "weit weg", sagt sie, "aber es hat dennoch Einfluss auf unser Leben". Zur Wahl gehen wird sie in Deutschland, nicht in der polnischen Botschaft, obwohl sie das könnte, weil sie die polnische Staatsbürgerschaft hat. Polen betrachtet sie als ihre Heimat. Zwar habe sich ihr Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlagert - hier seien ja ihre Freunde und die Arbeit. Nach Polen fahre sie deshalb ganz bewusst mehrmals im Jahr, um ihre Familie zu sehen und die Landschaft, die Sprache zu hören und zu sprechen, oder einfach um zu sehen, wie sich ihre Heimatstadt Jelenia Góra (ehemals Hirschberg) entwickelt habe.

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