Mein EuropaDen Reichtum der Kulturen schätzen

Lesezeit: 2 Min.

Der Finne Pentti Turpeinen sieht die Wirtschaft zu sehr im Fokus.

Von Claudia Koestler

28 Mitgliedsstaaten hat die Europäische Union, als vorerst letztes Land kam 2013 Kroatien dazu. Vom 22. bis 25. Mai dürfen gut 507 Millionen Menschen die 751 Abgeordneten des Europa-Parlaments neu wählen. Die Grenzen sind offen, wer will, kann sich in einem anderen Land der EU Wohnung und Arbeit suchen. Menschen aus den meisten Mitgliedsstaaten leben auch im Landkreis. Die SZ stellt einige von ihnen vor.

Eins der gängigsten Klischees über Finnen ist die Vermutung, dass sie wenig reden. Dieser Verallgemeinerung entspricht Pentti Turpeinen (Foto: Harry Wolfsbauer) ganz und gar nicht. Der 65-jährige Finne lebt in Beuerberg und hat Einiges zu erzählen über die Unterschiede zwischen Deutschen und Finnen. Die Beziehung der Länder sei "traditionell eng", sagt Turpeinen, angefangen bei deutschen Baumeistern, die in Finnland wirkten. "Außerdem übernehmen wir gerne deutsche Wörter und gleichen sie der eigenen Sprache an: 'Kulttuuri' , 'kaffepaussi' oder 'hölökyn kölökyn', ein Trinkspruch, der eine Verballhornung von Kölle Alaaf ist."

Für Turpeinen aber, der aus Suomussalmi nahe Lappland im nordöstlichen Finnland stammt, war es vor allem die deutsche Kultur, die ihn früh faszinierte: "Ich war begeistert von den vielen Büchern in den Schaufenstern, wenn wir durch Deutschland fuhren." Nach dem Abitur arbeitete er zunächst als Journalist. "Aber der mitteleuropäische Geist hat mich mehr interessiert", sagt er. So zog er 1970 nach Berlin, um dort Philosophie zu studieren. Doch nach dem Abschluss wurde ihm die Stadt langweilig, und durch Zufall landete er bald in Starnberg. An der dortigen Musikschule war er schließlich 35 Jahre lang Lehrer für Gitarre.

Turpeinen ist mit einer Deutschen verheiratet und hat mit ihr zwei Kinder, die er zweisprachig erzogen hat. "Sie haben beide Staatsangehörigkeiten und fühlen sich beiden Heimaten sehr verbunden", weiß Turpeinen. Doch was sind nun die Unterschiede? "Leute hier sind viel mehr interessiert an allem als in Finnland. Dort redet man weniger über sich."

Also doch das Klischee vom schweigsamen Finnen? Nicht ganz, denn dort nehme man einfach "mehr über nonverbale Kommunikation wahr", sagt Turpeinen. "Ausdrücke wie 'es tut mir leid' sagt man nicht, das sieht man dem Gegenüber an", erklärt er. Auch grüße man sich als Unbekannte nicht. Letztlich rühre das von einer grundsätzlichen Prägung: "Der Finne denkt, ich komme zurecht, man fühlt sich als Individuum autark", erklärt er. Trotz aller Selbstgenügsamkeit plädiert Turpeinen sehr für ein vereintes Europa: "Es bietet die Möglichkeit, Einflüsse anderer Kulturen positiv zu verarbeiten für die eigene Mentalität. Das ist wie mit Musik: Jeder spielt die gleichen Noten, aber interpretiert sie ein bisschen anders."

Und er hat noch einen Vergleich auf Lager: "Eine Wiese ist am schönsten, wenn viele verschiedene Blumen auf ihr blühen." Selbstverständlich geht er zur Europawahl, auch wenn er derzeit die Wirtschaft zu sehr im Fokus der Politik sieht: "Wir müssen Europas Vielfalt in der Kultur sehen. Da wissen viele voneinander noch zu wenig." Sein Fazit: "Die eigene Kultur muss man wertschätzen, aber alle anderen als Bereicherung sehen", sagt Turpeinen.

© SZ vom 06.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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