"Mein Ammerland":Kartoffelwäsche mit dem Betonmischer

Franz X. Sailer "Mein Ammerland"

Erinnerung in Schwarz-Weiß: Franz Xaver Sailer vor dem Gasthof seiner Eltern mit einem Ziegenbock an der Leine.

(Foto: privat/oh)

Franz Xaver Sailer hat seine Kindheitserinnerungen aus den Fünfzigerjahren aufgeschrieben

Von Benjamin Engel, Münsing

Die Kindheit von Franz Xaver Sailer ist eng und frei zugleich. Als Bub in den Fünfzigerjahren muss er in Hotel und Gastwirtschaft mithelfen, die seine Eltern neben dem Ammerlander Dampfersteg betreiben. Zugleich streift er in dem Dorf am Ostufer des Starnberger Sees ungehindert umher. Er trifft auf Bauern, Fischer, Heimatvertriebene und Flüchtlinge, aber auch auf eigenwillige Persönlichkeiten wie Graf Konrad von Pocci auf seinem Unimog. Damals gibt es in Ammerland noch wesentlich mehr Wirtschaften und Geschäfte als heute, auch eine Polizeidienststelle und eine Tankstelle. In diesem Kosmos ist Sailer aufgewachsen. Nun hat der 69-Jährige seine Erinnerungen aufgeschrieben. "Mein Ammerland" heißt das Buch, das im Ambacher Verlag erschienen ist.

Für sich schreibe er Gedichte, sagt Sailer, der inzwischen in Bad Tölz lebt. Für das 42 Seiten umfassende Büchlein mit vielen zum Teil farbig bearbeiteten Schwarz-Weiß-Fotos habe er hingegen die Anekdotenform gewählt. "Ich bin kein Autor, der lange Romane schreiben kann." Was Sailer in kurzen Szenen von skurrilen Begegnungen und Begebenheiten berichtet, erinnert ein bisschen an die Lausbubengeschichten Ludwig Thomas. Einmal steckt er den Gartenschlauch in den Auspuff des Autos seines Vaters. Er will den rußstinkenden Motor reinigen. Der Goliath Hansa 1100 ist danach kaputt.

Als die mit einer Handkurbel betriebene Kartoffelwaschmaschine der Gastwirtschaft einmal nicht mehr funktioniert, probieren es der Vater und ein Bruder mit einem günstig erworbenen Betonmischer. Das Ergebnis: Kartoffelbrei. In der Waldschule sitzt Sailer mit den Kinder der Klassen Eins bis Vier in einem einzigen Raum. Die Schüler müssen den Hausmeisterdienst übernehmen und mit Koks die Dampfheizung im Keller in Gang halten.

Im Schulhaus ereignet sich im März 1962 auch etwas, worüber viele Münsinger anschließend nur "hinter vorgehaltener Hand sprachen", wie Sailer berichtet. Der katholische Pfarrer Friedrich Schnell sei im Religionsunterricht ausgerastet, habe Schüler an den Haaren gerissen, sie getreten und durch die Klassenzimmertür geworfen. Schnell wurde angezeigt. Es kam zum Prozess, der Pfarrer wurde versetzt. Ihn habe dies in seinem Glauben tief erschüttert, sagt Sailer. "Ich habe das aufgeschrieben, dass man sieht, was da los war."

Die Idee, seine Kindheitserinnerungen aufzuschreiben, hatte Sailer, als er zu Beginn dieses Jahres länger krank war. "Ich konnte nachts nicht schlafen und habe an meine Kindheit gedacht", sagt er. In der Gaststätte, in der er groß geworden ist, seien viele Leute ein- und ausgegangen. In Ammerland sei er teils "extremen" Persönlichkeiten begegnet. "Da habe ich mir gedacht, ich schreibe ein Buch." Inspirationsquellen seien für ihn Gerhard Polts Bubenstreich-Buch "Hundskrüppel" oder die Familiensaga "Mittelreich" des Ambacher Schauspielers Josef Bierbichler gewesen.

Sailer wurde als viertes von sechs Kindern im Oktober 1951 geboren. Die älteren drei Geschwister starben früh. "Meine Eltern haben nie Zeit für mich gehabt", sagt Sailer. Als Wirt habe sein Vater seinen Willen durchzusetzen gewusst. 19 Jahre lang fügte sich Sailer ein, schloss eine Kochlehre ab und stand in der Küche des Gasthauses. Dann floh er aus der Enge seiner Kindheit und Jugend. "Das war nicht mein Fall", sagt er heute.

Anschließend arbeitete er für einen großen Lebensmittelkonzern, führte ein halbes Jahr eine Discounter-Filiale und war schließlich lange für das Marktforschungsinstitut Gfk tätig. Seit der Jahrtausendwende lebt er in Bad Tölz. Sein Bruder Reinhard Sailer hat das Ammerlander Hotel übernommen. Weil dieser den Pachtvertrag für den Grund, über den die Gäste zum Dampfersteg gehen mussten, nicht langfristig verlängern wollte, baute die Seenschifffahrt die Anlegestelle ganz ab. Franz X. Sailer hätte den Dampfersteg gerne zurück. "Denn Ammerland ohne Dampfersteg ist wie ein Berg ohne Gipfelkreuz", schreibt er. Mit seinem Buch habe er festhalten wollen, wie es damals war. Ein heutiges Kind erlebe so etwas nicht mehr in dieser Form, sagt er. An eine Fortsetzung ist nicht gedacht. "Das wird mein einziges Buch bleiben."

Franz X. Sailer: "Mein Ammerland", 11,90 Euro, im Buchhandel, bei der Münsinger Bäckerei Krümel & Korn sowie über den Webshop des Ambacher Verlags, www.ambacher-verlag.de

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