Cockpit-Nachbau:Den Traum vom Fliegen im Keller erfüllt

Elektroteile, Alu, Holz: Gerald Maritschnegg hat sich einen Flugsimulator für einen Airbus A 320 selbst gebaut - weil er nicht Pilot werden durfte.

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Es ist ein sonniger Vormittag. Auf dem Rollfeld des Münchner Flughafens sieht man orangefarbene Busse und blaue Gangways, die mit einem großen weißen M gekennzeichnet sind. Gerald Maritschnegg sitzt im Cockpit seines Airbus A320 und macht sich klar für den Start. Er schaltet erst das Hilfstriebwerk für die Stromversorgung ein, das sich mit einem Pfeifen bemerkbar macht. Dann drückt er auf den Knopf für die Klimaanlage, von oben kommt aus kleinen Düsen ein leiser kühler Luftstrom. "Spüren Sie was?", fragt Maritschnegg und lächelt breit.

Mehr als 1000 Stunden Arbeit hat Maritschnegg in sein Cockpit gesteckt

Es gibt wohl nicht viele Piloten, die das Anspringen der Klimaanlage in ihrem Cockpit mit einem so zufriedenen Lächeln quittieren wie Gerald Maritschnegg. Was wohl auch daran liegt, dass die meisten Piloten die Klimaanlage nicht selber eingebaut haben. Gerald Maritschnegg aber, ein weißhaariger älterer Herr, der das obligatorische weiße Kurzarmhemd zur schwarzen Hose trägt, hat nicht nur die kleinen Düsen an der Decke installiert und den Knopf, der sie zum Laufen bringt. Er hat das komplette Airbus-Cockpit mit all seinen Knöpfen, Hebeln und Displays selber gebaut.

Mehr als 1000 Stunden Arbeit, sagt er, habe er inzwischen darauf verwendet, Optik, Technik und Funktionen immer wieder zu verbessern. Mehr als 1000 Stunden Arbeit für eine annähernd perfekte Illusion: Denn statt auf dem Flughafen München sitzt Maritschnegg in Wirklichkeit im Keller seines Hauses in Wolfratshausen, in einem der beeindruckendsten privaten Flugsimulatoren Deutschlands.

Das Simulator-Programm von Microsoft und die Zusatz-Software, die je nach Reiseziel Landschaften und Flughäfen originalgetreu und gestochen scharf auf Basis dreidimensionaler Luftbilder anzeigt, sind nur die Grundlage der Illusion. Die haben schließlich heute viele auf ihren Rechnern. Maritschnegg aber ist Perfektionist. Und deshalb hat er nicht nur jeden Knopf, jeden Hebel und jede Anzeige originalgetreu nachgebaut, aus Sperrholz, Aluminium und modifizierten Kleinteilen aus dem Elektrohandel. Er hat sie auch so mit seinen Computern verbunden, dass sie genauso funktionieren wie in einem echten Cockpit.

Den großen Gashebel etwa, Throttle genannt, hat Maritschnegg vor zwei Jahren von einer polnischen Firma gekauft und "ein bisschen optimiert, weil er so hakelig war". Und der Flight Stick, mit dem das Höhen- und das Querruder gesteuert werden, überträgt die Befehle genau wie das Original in der Airbus-typischen "Fly-by-wire"-Steuerung: also nicht nach Lage, sondern nach Impuls. Schaltet Maritschnegg die Triebwerke ein, dröhnt es nicht nur, es vibriert auch unter den Sitzen, dank zweier Deep Down-Verstärker mit je 80 Watt.

Perfektes Fluggefühl mit sechs Metern Bilddiagonale

Vor zirka zwei Jahren hat der gebürtige Grazer die Leinwand vergrößert und gewölbt, "für mehr Raumgefühl", wie er sagt. Nun decken die sechs Meter Diagonale das gesamte Blickfeld ab, zudem hat er links und rechts im rechten Winkel zwei Zusatzmonitore angebracht, die dank eines eigenen synchronen Simulators den Blick zur Seite ermöglichen. Insgesamt steuern sechs PCs die Anlage, den leistungsstarken Hauptrechner für die flüssige Übertragung hat Maritschnegg vor wenigen Monaten erst nachgerüstet.

Das Flugerlebnis im Keller an der Königsdorfer Straße gibt es seit mehr als zehn Jahren. 99 Euro kostet das kleine, zweistündige "Economy"-Programm, 149 Euro das dreistündige "Business-Event". Venedig, Wien, Neuseeland - die Destinationen, die Maritschnegg auch auf DVD als Software verkauft, sind vielfältig. Werbung macht der 71-Jährige nur einmal im Jahr, beim Flugsimulatortag in Oberschleißheim. Sein Simulator in Wolfratshausen ist trotzdem längst überregional bekannt. Und weil Maritschnegg nur einen Flug pro Tag macht, ist er ziemlich ausgebucht. Am Vortag, erzählt er, ist er mit einem Mann aus Hof und seinem Enkel von Athen nach Korfu geflogen. Am Tag davor waren zwei Jugendliche da, die sich mit dem Fliegen abgewechselt haben.

Wenn er mehr sehen will, schaltet Maritschnegg das Wetter schön

An diesem Vormittag heißt das Ziel Klagenfurt. Das geht relativ zügig, und man hat einen schönen Blick über die Alpen. Doch Maritschneggs Perfektionismus zeigt sich auch vor dem Flug. Während im Hintergrund stilecht leise Bordmusik von Ennio Morricone läuft, druckt er den Flugplan aus, erklärt minutiös die einzelnen Abschnitte des Fluges und geht die Checkliste durch. Erst dann drückt er auf den Schalter für die Anzeige mit Anschnall- und No-Smoking-Symbol, übrigens das einzige Originalteil in seinem Keller. Per Laptop schaltet er die Stimme einer Flugbegleiterin dazu, die die Gäste an Bord willkommen heißt. "Für die Atmosphäre", sagt er und grinst.

Erst nach einer halben Stunde löst Maritschnegg die Bremsen und rollt auf die Startbahn. Genau wie beim echten Flug also. "Das ist der Unterschied zur Konkurrenz", erklärt Maritschnegg. "Dort setzt man sich einfach rein und fliegt los, bei mir bekommen Sie erklärt, wie es läuft." Maritschnegg beschleunigt, die 100 Knoten muss ihm der First Officer auf dem Copilotensitz zurufen, bei etwa 140 Knoten hebt er ab. Die Landschaft wird kleiner und kleiner. Dann geht es durch die Wolken. Für noch mehr Realismus gibt es das Programm "Global Real Weather", welches das echte Wetter auf der Flugroute simuliert, aber wir wollen etwas sehen, also schaltet Maritschnegg auf wolkenlosen Himmel. Das gehört zu den Vorzügen des Simulators, genau wie der Mauspfeil, mit dem der Pilot seinem Sitznachbarn Chiemsee, Großglockner und die slowenischen Alpen zeigt. Und die Vorspul-Funktion zum Landeanflug.

Vor etwa 14 Jahren hat Maritschnegg sich entschlossen, seinen Hobbykeller zum Cockpit zu machen und sich seinen Traum vom Fliegen zu erfüllen. Auf die Frage warum, überlegt der 71-Jährige nicht eine Sekunde. "Ich wollte eigentlich immer Pilot werden", sagt Maritschnegg mit leichtem österreichischen Singsang, der auch nach mehr als 40 Jahren in Wolfratshausen unüberhörbar ist. Schon mit 18 war er fest entschlossen, seinen Jugendtraum umzusetzen. "Aber der Fliegerarzt hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht." Es muss ein harter Schlag gewesen sein. Zu den gesundheitlichen Gründen, aus denen ihm sein Traumberuf verwehrt wurde, sagt er weiter nichts. Bei der Frage, was er dann gemacht habe, hellt sich seine Miene sofort auf. "Ich habe mich mit dem Fliegen beschäftigt", sagt Gerald Maritschnegg.

Maritschnegg ist oft geflogen - 100 Mal saß er bei den Piloten im Cockpit

Im Vorraum seines Kellers stehen zahlreiche Pokale von Modellflugwettbewerben, die der 71-Jährige über die Jahre gewonnen hat, neben Regalen voller Flugzeugmodelle aus aller Welt. Seinen ersten Simulator hatte Maritschnegg vor etwa 30 Jahren, erzählt er. Auf einem Atari-Computer, "alles schwarz-weiß". Den Computer hat er gerade dem Museum des FS Magazins geschenkt, der einzigen gedruckten Zeitschrift der Simulator-Szene, für die der Wolfratshauser regelmäßig Artikel schreibt.

Es ist bezeichnend, dass Maritschnegg erst von einer Berufung spricht, dann von seinem Beruf: Bis zu seiner Pensionierung war er Ingenieur bei Siemens im Mobilfunk. Beruflich musste er viel fliegen, und immer wenn es ging, setzte sich Maritschnegg zu den Piloten.

An die 100 komplette Flüge, sagt er, habe er im Cockpit verbracht. In einem A 320 ist dann das Foto entstanden, das ihm als Grundlage für seinen Nachbau diente. Bei einem Flug nach Neapel durfte er mit einem Maßband das gesamte Cockpit ausgemessen. Eine Woche später hat ihm der Pilot eine Blaupause geschickt. Zudem hat sich Maritschnegg bei der Lufthansa die Airbus-Manuals besorgt, die er wochenlang akribisch studiert hat.

4500 Flugstunden im Wolfratshauser Keller

Das Flugzeug sinkt nun langsam, bis es über dem Globeiner See eine Rechtskurve, macht. Maritschnegg fährt die Landeklappen aus, mit konzentrierter Routine. Sicher 4500 virtuelle Flugstunden hat er nach eigenen Angaben schon in seinem Cockpit absolviert, 2200 davon sind bei der Organisation VATSIM (Virtual Air Traffic Simulation) registriert, zu der auch Hobby-Fluglotsen gehören, die online live über Funk zugeschaltet werden.

Warum investiert jemand soviel Zeit und Arbeit in eine Illusion? Auf dem Schirm werden Metro- und Ikea-Filiale in Klagenfurt größer, Maritschnegg fliegt knapp über die Gebäude hinweg und dann zwischen vier Lichtern hindurch - zwei rot, zwei weiß, so, wie es sich gehört. Schließlich setzt er die Maschine genau auf der gestrichelten Mittellinie der Rollbahn auf. Und beantwortet die Frage mit seinem breiten Lächeln. Zwar spricht er bescheiden davon, dass die Landung "Ehrensache" sei, räumt dann aber ein, dass sie selbst ihm selten so perfekt gelingt. Als er das Manöver dann noch einmal in der Wiederholung auf dem Bildschirm abspielt, lächelt Maritschnegg noch immer zufrieden. So wie man eben lächelt, wenn man sich seinen Traum vom Fliegen erfüllt hat.

Mehr Informationen unter cockpitsim.de

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