Lange Schlangen in Apotheken:"Es ist eng, aber wir bekommen das hin"

Lange Schlangen in Apotheken: Ulrike Kramer leitet die Michaelis-Apotheke in Gaißach.

Ulrike Kramer leitet die Michaelis-Apotheke in Gaißach.

(Foto: Manfred Neubauer)

In den Apotheken herrscht anhaltend Mangel an vielen Medikamenten. Dennoch sind die Leiterinnen und Leiter zuversichtlich und beruhigen die Kundschaft.

Von Sophia Coper, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die Frau vor der Rosen-Apotheke in Wolfratshausen hat es eilig. Sie würde gerne ein paar Fragen beantworten, sagt aber, sie müsse gleich ihren kranken Vater nach Hause fahren. Das Mittel gegen Bluthochdruck - ein absolutes Standardmedikament - habe sie Gott sei Dank bekommen, wenn auch nur die kleine Packung und in einer anderen Dosierung als sonst. Ähnliches berichtet der nächste Kunde über seinen Einkauf: "Komisches Gefühl, man ist so etwas in Deutschland einfach nicht gewöhnt."

Ob Schmerzmittel, Antibiotika oder Augentropfen, ob in München, Stuttgart oder Wolfratshausen: Apotheker im ganzen Land berichten über permanente Lieferengpässe bei einer ganzen Bandbreite von Medikamenten. Gewöhnlich gut befüllte Regale sind teilweise nur noch spärlich bestückt und tröpfelnde Lieferungen decken kaum den Bedarf. Doch wie konnte es zu dieser Situation kommen?

Anruf in der Michaeli-Apotheke in Gaißach. Filialleiterin Ulrike Kramer arbeitet seit mehr als 23 Jahren als Apothekerin. Schnell wird deutlich, wie sehr ihr die aktuelle Situation zu schaffen macht - insbesondere, da man die Probleme in der Branche schon lange hat kommen sehen. Die Covid-19-Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die damit zusammenhängenden Lieferketteneinbrüche seien zwar Bestandteil der aktuellen Situation, der Grund der Misere liege aber woanders. "Es wurde die letzten Jahre kaputt gespart." Je günstiger, desto besser: Krankenkassen hätten spezielle Rabattverträge ausgehandelt, die die billigsten Anbieter bevorzugt und damit die Herstellung für andere Pharmaunternehmen unrentabel gemacht hätten. Für Paracetamol gebe es mittlerweile nur noch zwei Hersteller, deren Produktion nach Asien ausgelagert sei - die Abhängigkeit vom asiatischen Markt sei immens.

Filialleiterin Klemme in der Bad Heilbrunner Kur-Apotheke kann die Aussagen der Kollegin nur bestätigen. "Finanzielle Kriterien vor Sachverstand" sei die Devise gewesen, auf nichts anderes könne man den desaströsen Zustand des deutschen Gesundheitssystems zurückführen, findet er. Nur nationale Vorräte hätten dafür gesorgt, dass der Medikamenten-Mangel erst jetzt eingetreten sei. Klemme spricht von einem Weckruf für Industrie und Politik: "Im Endeffekt dreht es sich um die Frage, was uns die Gesundheit wert ist." Einsparungen sollten niemals auf Kosten des menschlichen Wohlbefindens gehen.

Die Apotheker und Apothekerinnen beruhigen die Kundschaft dennoch. Niemand werde mit leeren Händen nach Hause geschickt. Es veränderten sich nur die Anforderungen - egal ob man vor oder hinter dem Verkaufstresen stehe. Viele Wirkstoffe würden gewöhnlich in unterschiedlichen Dosierungen geliefert und bedarfsgerecht gemischt. Jetzt könne nicht mehr aus dem Vollen geschöpft werden, sondern es müsse je nach Lieferung geschaut werden, wie man die Medikamente zusammensetze. Die Qualität bleibe zwar gleich, aber das Einnahmeprozedere verändere sich dadurch, was für viele Patienten verwirrend sei. Wer daran gewöhnt sei, täglich eine bestimmte Tablette einzunehmen, den überfordere es schnell, die Routine umzustellen.

Der Gang zur Apotheke sei aber immer noch der richtige Weg. Klemme warnt vor Bestellungen im Internet und rät, die Fachgeschäfte vor Ort zu besuchen. Insbesondere jetzt komme es auf Expertise und Beratung an, die online nur unzureichend zur Verfügung stehe. Ulrike Kramer sagt: "Es ist eng, aber wir bekommen das hin."

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