Im Brunnenhof des Max-Rill-Gymnasiums in Reichersbeuern hängen bunte Wimpel an einer langen Girlande. Die Rosen blühen, eine europäische, eine deutsche und eine ukrainische Flagge wehen im Wind. Steigt man durch das gotische Portal, knarzt der Boden auf der anderen Seite. Auf einem Brett stehen getöpferte Figuren, an einer Tür hängt ein großes rotes Bild mit chinesischen Schriftzeichen. „Das bedeutet Glück“, sagt Karin Krekel, blonde Locken, freundliches Lächeln, aufrechter Gang. Anfang dieses Jahres hat die 55-Jährige die Schulleitung von Carmen Mendez übernommen. Hinter der Tür mit dem großen rot-schwarzen Bild verbirgt sich ihr Büro. Das Bild hat Lea gemalt, einer Schülerin aus China, Abiturnote: 1.0. „Und Lea ist erst seit vier Jahren in Deutschland, das müssen Sie sich mal vorstellen“, sagt Krekel und führt durch die Bibliothek. Auf einem Banner, das über der Tür hängt, stehen in großen Buchstaben Namen von Schriftstellern und Wissenschaftlerinnen, deren Werke und Gedanken während der Zeit des Nationalsozialismus verboten waren: Albert Einstein, Erich Kästner, Rosa Luxemburg. „Ich habe Dich nicht vergessen“, sagt Krekel zu einer Schülerin, die an dem Holztisch in der Mitte des Raumes sitzt und lernt. „Wollen wir für morgen einen Termin ausmachen?“ Geht es vielleicht heute noch, fragt die Schülerin und Krekel nickt. „Natürlich geht das.“
Bevor Krekel im Januar dieses Jahres Schulleiterin wurde, war sie bereits drei Jahre als stellvertretende Leiterin tätig. Krekel arbeitet seit 2016 am privaten Max-Rill-Gymnasium, der kleinsten weiterführenden Schule im Landkreis. Vorher war sie an der Universität – nicht als Dozentin, sondern als Studentin, denn Krekel hat erst mit 38 Jahren angefangen, Lehramt zu studieren. „Mich hat es gereizt, noch mal etwas anderes zu machen“, sagt sie. „Völlig neu zu beginnen.“ Das war vor fast zwanzig Jahren. Damals hat sie als Kunsthistorikerin gearbeitet, sogar einen Doktortitel hat sie in diesem Fach. Sie hat viel Zeit in Italien und in London verbracht, eine Tochter bekommen, wichtige Menschen aus der Kunstszene kennengelernt. „Lehramt war schon immer mein Traumberuf“, sagt sie. „Aber von der Schule direkt in die Schule? Das konnte ich mir echt nicht vorstellen.“
Also ein paar kunsthistorische Umwege. Und dann zurück in den Hörsaal. Das Graecum, also das Studium der altgriechischen Sprache, hat sie nachmachen müssen, um als Lateinlehrerin arbeiten zu können. „Ich habe das damals gemeinsam mit meiner Tochter gemacht“, sagt Krekel und lacht. „Und ich war besser als sie, ha!“
Dass sie sich erst verhältnismäßig spät für den Lehrerinnen-Beruf entschieden hat, habe ihr nicht geschadet, sagt sie. Im Gegenteil: „Ich kannte die Perspektive einer Mutter, die vor einem Lehrer sitzt.“ Und dieser Perspektivwechsel sei oft sehr hilfreich. Gerade in einer Schule wie dem Max-Rill-Gymnasium, wo die Zusammenarbeit von Lehrerinnen und Eltern enger ist als üblich.
Die Prämisse an der Schule: Zeit für individuelle Förderung
Vieles hier ist anders als an anderen Schulen. Es ist nicht nur die märchenhafte Umgebung, in der das Schloss liegt, nicht nur die historischen Säle und die vielen Kunstwerke an den Wänden. Es ist auch das Konzept: mehr Kleinheit, mehr Profilbildung. Weil oft weniger als 20 Schülerinnen und Schüler in einer Klasse sind, können die individuellen Bedürfnisse ganz anders erkannt werden. „Wenn einige Schüler zum Beispiel in Mathe etwas schwächer sind, dann bieten wir einfach eine zusätzliche Stunde an.“
Lernzeiten freier verteilen und Kinder ganzheitlich fordern und fördern – aus diesen Gründen hat sich Krekel vor einigen Jahren ganz bewusst gegen eine staatliche und für eine privat finanzierte Schule entschieden. Mehr als zehn Prozent der 130 Schülerinnen und Schüler seien hochbegabt. Einige hätten das Asperger-Syndrom, andere ADHS oder soziale Ängste. „Wir geben jedem hier eine besondere Aufmerksamkeit“, sagt Krekel.
Und diese Aufmerksamkeit kostet. 2800 Euro im Monat müssen Eltern zahlen, wenn sie ihr Kind, das eine weiterführende Klasse besucht, am Max-Rill-Gymnasium beschulen und gleichzeitig im Internat wohnen haben wollen. Knapp 1000 Euro im Monat kostet die Ganztagsschule ohne Internat. „Hier sind nicht nur Arzt- und Anwaltskinder“, sagt Krekel. Sie betont mehrmals, dass es Förderprogramme gibt, Stipendien. Dass auch Kinder vom Jugendamt nach Reichersbeuern gebracht würden, dass Kinder „queerbeet, durch alle Schichten“ dort zur Schule gingen. Das sei ihr wichtig: eine ausgewogene Schülerschaft.
Als Schulleiterin sei sie außerdem verantwortlich für die Schulentwicklung. Ihr Ziel ist es, mehr Ressourcen in Inklusion und Hochbegabung zu stecken. Vor allem das Thema Hypersensibilität liege ihr am Herzen. „Ich möchte die Kinder wecken“, sagt sie.
Krekel spricht viel über Potenzial und individuelle Fähigkeiten. Über internationale Partnerschaften und Austauschschüler und wie wichtig ist es ist, den eigenen Horizont zu erweitern. Zwischendurch hält sie immer wieder inne. „Ich weiß, das ist sehr privilegiert“, sagt sie dann, fast ein bisschen entschuldigend.
Die Probleme der Kinder ähneln sich – unabhängig von der Schulform
Und trotz des Privilegs, in einer scheinbar heilen Welt zur Schule zu gehen, bei den eigenen Problemen unterstützt und den individuellen Talenten gefördert zu werden, beobachtet Krekel seit der Corona-Pandemie, dass es vielen Schülerinnen und Schülern nicht gut gehe. Das läge an den Kriegen in Israel und der Ukraine, am Klimawandel, an den sozialen Medien. Krekel erzählt von Umweltschutztagen an der Schule, von Tagen der Demokratie. „Den Gedanken möchte ich meinen Schülern wirklich einpflanzen“, unterbricht sie sich selbst. „Dass Demokratie eines der wichtigsten Dinge ist, die wir haben.“ Das bedeute für sie Bildung, so verstehe sie als Lehrerin ihre gesellschaftliche Verantwortung.
Dass Krekel mehr Zeit als gewöhnlich in oder mit dem Gedanken an die Schule verbringt, wird deutlich, wenn man sie zu eigenen Quellen der Inspiration, zu Ausgleichsaktivitäten, zu Hobbies befragt. Sie nennt ihr Lieblingsbuch „Klar denken“, von Woo-Kyoung Ahn und ihre letzte Reise nach Stockholm. Schnell kommt Krekel wieder auf das Thema Schule zu sprechen. Denn was sie wirklich inspiriere, das seien ihre Schüler. „Wenn ich mit ihnen über das politische Feuer von Cicero spreche, über Aeneas oder die Gedanken von Seneca, das macht etwas mit mir“, sagt sie. Das liebe sie am meisten am Lehrerin-Sein: das gemeinsame Diskutieren, eintauchen, voneinander lernen, sich immer weiter entwickeln. „Ja, man könnte schon sagen, für mich ist der Job meine Berufung.“
Vielleicht muss es das auch sein, denn das Arbeitspensum ist enorm. Krekel ist nicht nur Schulleiterin, sondern auch Unternehmerin. Sie leitet neben der Schule das Internat, zieht an unzähligen Fäden gleichzeitig. Sie beschreibt ihre Aufgabe als groß, aber auch als „Bedürfnis der Stunde“.
Woher nimmt Krekel die Energie, all das – Eltern- und Schülergespräche führen, Chefin, Kollegin, Lehrerin und gleichzeitig Mutter und Privatperson sein –unter einen Hut zu bekommen? „Die Schüler“, sagt sie, und man glaubt es ihr tatsächlich. „Die Energie wird mir in den Schülern gespiegelt.“ Krekel pendelt jeden Tag von München nach Reichersbeuern. Ihr Auto, sagt sie, ist Teil ihrer Work-Life-Balance: Tür zu, abschalten. Wohnt sie deshalb trotz der Entfernung immer noch in München? Ja. Außerdem brauche sie die Großstadt, sagt sie. „Theater, Museen. Es ist mir wichtig, dass die ganz nah bei mir sind. Das ist für mich Freiheit.“
Zum Schluss zitiert Krekel Seneca. Und erzählt von ihrer Tochter, die ihr immer wieder Bücher ausleihe. So bleibe sie ganz nah dran. An ihrem eigenen Kind, aber auch an den 130 ihr anvertrauten.