Erinnerungskultur„Als wären wir gemeinsam dort gewesen“

Lesezeit: 3 Min.

Begegnung auf Augenhöhe: Der Holocaust-Überlebende Peter Gardosch (links) und Max Kronawitter bei Filmaufnahmen im Jahr 2022.
Begegnung auf Augenhöhe: Der Holocaust-Überlebende Peter Gardosch (links) und Max Kronawitter bei Filmaufnahmen im Jahr 2022. (Foto: Ikarus Film, oh)

In seinem letzten Dokumentarfilm hat Max Kronawitter dem Auschwitz-Überlebenden Peter Gardosch ein Denkmal gesetzt. Ein Gespräch über die Kunst des Erinnerns.

Interview von Stephanie Schwaderer, Eurasburg

Der Eurasburger Filmemacher Max Kronawitter ist ein Meister des Gedenkens.  Nach seiner viel beachteten Dokumentation über den Todesmarsch im Oberland beleuchtet er in seinem letzten Film „Das bewegende Leben des Peter Gardosch“. Er war als 13-Jähriger nach Auschwitz deportiert und dann ins Außenlager Kaufering III verlegt worden. Beim Todesmarsch Ende April 1945 gelang ihm die Flucht. Gardosch starb im November 2022 im Alter von 92 Jahren. Kurz darauf bekam Kronawitter die Diagnose, unheilbar an einem Gehirntumor erkrankt zu sein. Gut zwei Jahre später hat er den Film fertiggestellt und ihn nun zum 80. Jahrestag des Kriegsendes im Kino Wolfratshausen präsentiert.

SZ: Herr Kronawitter, gerade ist das Wort Erinnerung in aller Munde. Man kommt den Themen Krieg und Terror schier nicht aus. Wann kann man es denn wieder gut sein lassen mit dem Erinnern?  

Max Kronawitter: Nie. Erinnerung ist etwas Wesentliches für den Menschen. Nur Erinnerung bewahrt einen davor, die gleichen Fehler erneut zu machen. Erinnerung mag anstrengend sein und unangenehm, aber sie ist notwendig.

Vor ein paar Tagen haben Sie sich vorzeitig aus dem Krankenhaus entlassen, um in Wolfratshausen Ihren Film über Peter Gardosch vorzustellen. Welche Bedeutung hat dieser Film für Sie?

Zum einen eine biografische: Es war mein letzter Film und ich wollte ihn unbedingt fertigstellen. Zum anderen hat mich die Begegnung mit Gardosch fasziniert. Es gibt Tausende Biografien über Menschen, die unter der Nazi-Diktatur gelitten haben und in Konzentrationslagern leben mussten. Und dann trifft man einen, der diese Schrecklichkeit erlebt hat und zu der Einstellung kommt: Ich habe in meinem Leben immer nur Glück gehabt.

Ein irritierender Satz aus dem Mund eines Auschwitz-Überlebenden.

Ja. Auschwitz-Geschichten verstören und machen traurig. Aber Gardosch ist es gelungen, selbst im KZ Momente des Glücks zu erleben. Das ist außergewöhnlich. Dem nachzuspüren hat mich interessiert.

Max Kronawitter ist Diplomtheologe, Journalist und Filmemacher. Das Bild zeigt ihn bei der Vorpremiere im November 2022.
Max Kronawitter ist Diplomtheologe, Journalist und Filmemacher. Das Bild zeigt ihn bei der Vorpremiere im November 2022. (Foto: Leonhard Simon)
Peter Gardosch vor dem Pilgrim-Mahnmal in Achmühle bei Eurasburg.
Peter Gardosch vor dem Pilgrim-Mahnmal in Achmühle bei Eurasburg. (Foto: Privat/oh)

Sie haben ihn mehrfach in Eurasburg getroffen und ihn an verschiedene Schauplätze seines Lebens begleitet, nach Kaufering, Fürstenfeldbruck, Ettal. Für Auschwitz fehlte ihm die Kraft. Wie sind die Aufnahmen dort entstanden?  

Zunächst hat er mich intensiv darauf vorbereitet, mir gesagt, was mich erwartet und was ich tun soll. Er hat gesagt: Auschwitz ist das Grab meiner Mutter, bring ihr Blumen mit. Und so habe ich dann ein Sträußchen zusammengebunden und es an einer bestimmten Stelle abgelegt. Auschwitz ist sehr weitläufig. Es gibt Orte, wo man ganz allein sein kann. Ich habe mir viel Zeit genommen, um seiner Familie nachzuspüren, habe über dem Fotomaterial meditiert, das er mir mitgegeben hat, wunderbaren Aufnahmen von seiner Mutter und seiner kleinen Schwester, die beide gleich nach der Ankunft ermordet wurden. Das war auch für mich eine ganz persönliche Begegnung. Wir haben öfter telefoniert, er hat mir Fragen beantwortet. Es war dann fast so, als wären wir gemeinsam dort gewesen.

Das klingt eher nach einer tiefen Freundschaft als nach der Arbeit eines Dokumentarfilms. 

Ich bin mit meiner Filmarbeit oft über Grenzen hinausgegangen. Für Wenke, ein Mädchen, das an einem Hirntumor gestorben ist und das ich durch die letzten Lebensmonate mit der Kamera begleiten durfte, habe ich die Leichenrede gehalten. Da war ich auch nicht der typische Journalist.

Mit Gardosch teilen Sie die Eigenschaft, selbst im Angesicht des Schreckens eine heitere Gelassenheit auszustrahlen. Wie schaffen Sie das?

Zunächst ist da eine rationale Entscheidung: Würde ich jeden Tag verzweifelt aufstehen, würde das meine Situation nicht verbessern – im Gegenteil. Ich habe gelernt, dass es das Negative oder das Positive schlechthin nicht gibt, nicht Schwarz oder Weiß. Es gibt immer Grautöne. Beim Holocaust sind wir weit auf der dunklen Seite, aber auch dort scheint das Positive auf. Und wenn man es entdecken will, wird man es finden und kann sich daran aufrichten. Diese Fähigkeit haben manche Menschen. Peter Gardosch ist ein wunderbares Beispiel dafür. Ich habe meine Filme immer als Hoffnungsgeschichten verstanden.

Das Publikum im Wolfratshauser Kino war begeistert, leider gab es fast keine jungen Leute im Saal. Wie kann man sie erreichen?   

Unlängst war ich bei einer Schulvorführung am Geretsrieder Gymnasium. Es war die letzte Stunde vor den Ferien und ich habe den Lehrern dringend zur gekürzten Fassung geraten, die ich für Schulen geschnitten habe. Aber sie wollten es mit der Langfassung probieren: zwei Stunden Film und dann noch Diskussion. In meiner Schulzeit hätte da keiner mitgemacht. Und dann saßen da 130 Jugendliche und haben sich still den ganzen Film angeschaut und dann noch unzählige Fragen gestellt. Das hat mich umgehauen. Da wachsen Menschen heran, die sich verantwortungsvoll mit unserer Geschichte auseinandersetzen.  Wenn meine Filme dazu beitragen können, dann ist das großartig.

Der Dokumentarfilm „Von Auschwitz nach Landsberg, von Jerusalem nach Berlin. Das bewegende Leben des Peter Gardosch“ ist erhältlich unter https://ikarus-film.de/shop/

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Bildende Kunst
:Ein Aufschrei gegen das Vergessen

Karl Maldek wollte mit seinen Kriegsbildern den Leuten „in den Bauch treten“. In zwei Sonderausstellungen präsentieren die Städte Geretsried und Wolfratshausen ausgewählte Werke des Künstlers.

Von Susanne Hauck

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: