Matthäus-Passion:Chorale Strahlkraft und intimes Musizieren

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Geballte Passion: Orchester La Banda, Heinrich-Schütz-Ensemble München, Nachwuchschor des Tölzer Knabenchors und Ickinger Vokal-Ensemble. (Foto: Hartmut Pöstges)

Bach schuf ein Mammutwerk für zwei Chöre, zwei Orchester und einige Gesangssolisten. Dirigent Peter F. Marino und seinem Ensemble gelingt in Ebenhausen eine würdige, erfüllende Aufführung

Von Sabine Näher, Schäftlarn

Der unvergleichlich schmerzlich-schöne Schlussakkord steht noch im Raum. Ein banger Moment, denn unsensibel losbrechender Applaus würde den magischen Augenblick zerstören. Doch da ertönt Glockengeläut: eine wunderbare Idee! Einige Besucher der vollbesetzten Kirche St. Benedikt in Ebenhausen klatschen gnadenlos in dieses hinein. Da wendet sich der Dirigent, Peter F. Marino, zum Publikum und deutet an, dass Stille erwünscht sei. Dafür gebührt ihm ebenso Dank wie für die Leistung der vergangenen drei Stunden. Bachs Matthäus-Passion für zwei Chöre, zwei Orchester und einige Gesangssolisten ist ein Mammutwerk, das an alle Beteiligten höchste Herausforderungen stellt. Wenn man für den instrumentalen Part ein Spezialensemble für Alte Musik bucht, wie hier das Barockorchester "La Banda", ist man diesbezüglich schon einmal auf der sicheren Seite. Aber es bleibt mehr als genug zu tun. Die beachtliche Menge der Choristen, die sich aus dem Vokal-Ensemble Icking, dem Heinrich-Schütz-Ensemble Freising sowie dem Nachwuchschor der Tölzer Knaben zusammen setzt, muss zu Höchstleistungen animiert werden. Das gelingt Marino mit seiner ausdrucksvollen Mimik und sprechenden Gestik weitestgehend. Es gibt viele wunderbare, erfüllte Momente. Und es gibt solche, die noch nicht ganz gelungen sind.

Ein paar Beispiele für beides: Die Verkörperung der Jünger, die nach Jesu Prophezeiung, "Einer unter euch wird mich verraten" bestürzt fragen: "Herr, bin ich's?" darf zwar betroffen und ratlos wirken. Hier kommt sie aber stimmlich unsicher in den elf (die Zahl der Jünger ohne den Verräter) rasch aufeinander folgenden Einsätzen. Umso schöner der nachfolgende Choral "Ich bin's, ich sollte büßen" mit vollem Klang und Überzeugungskraft.

Im Choral "Was mein Gott will, das g'scheh' allzeit" dagegen signalisiert Marino, dass er Freude hören möchte, was der Chor aber nur bedingt umsetzt. Sehr einfühlsam wiederum die Einwürfe in der Tenor-Arie ("Was ist die Ursach' aller solcher Plagen?"). Die in der Alt-Arie ("Wo ist denn dein Freund hingegangen") lassen aber Präzision vermissen. Diese bietet dafür der von aufgewiegelten Volksmassen gesungene Chor "Sein Blut komme über uns". Und sicher ein Höhepunkt: Der sehr dichte und gesammelte Choral "Wenn ich einmal soll scheiden", der auf Jesu Sterbeszene folgt.

Alles in allem unbestritten eine große Leistung der Chöre. Bemerkenswert - und für die gute Stimmbildung bei den Tölzern sprechend: Im Eingangs- und Schlussstück des ersten Teils, wo diese den Sopran-Choral singen, überdeckt die unglaubliche Strahlkraft der Knabenstimmen beinahe den restlichen Chor. Unter den Gesangssolisten nehmen Tenor und Bass, die den Evangelisten und Jesus verkörpern, eine besondere Rolle ein. Tobias Hunger, in Sachsen aufgewachsener und ausgebildeter Tenor, derzeit im Münchner Raum ansässig, brachte die dort gängige Auffassung des mitleidenden, aktiv engagierten Evangelisten ein, der den Text wortgetreu ausdeutet und vielfarbig illustriert. Ebenso ausdrucksstark gestaltete er seine Arien. Der junge Bassbariton Manuel Adt hatte die Jesus-Partie kurzfristig übernommen - und erwies sich in jeder Hinsicht als Idealbesetzung: Mit berückend schönem, schlanken Ton, rund und warm, trafen seine Jesus-Worte direkt in die Herzen der Zuhörer.

Der üblichen Praxis gemäß gab es einen zweiten, für die Arien zuständigen Bass. Burkhardt Mayer gestaltete diese technisch überzeugend; ein stimmliches Charisma, wie es Adt auszeichnet, ist ihm aber nicht gegeben. Unmittelbare Betroffenheit konnte dagegen der Altus Nicholas Hariades auslösen. Während es auf der Opernbühne und in Barockkantaten (wieder) gängige Praxis ist, dass die Alt-Partien von männlichen Sängern übernommen werden, löst das bei Bachs Oratorien nach wie vor Diskussionen aus. Oft gehörtes Argument: Die Altstimme verkörpere Mutter Maria. Wer so einfühlsam und ausdrucksvoll wie Nicholas Hariades gestaltet, sollte Skeptiker aber überzeugen können. Bleibt der Sopran: Beate Hariades verblüffte mit makelloser Technik, insbesondere in der gefürchteten Arie "Aus Liebe will mein Heiland sterben" - ein berückender Moment ganz intimen Musizierens zwischen Flöte, Oboen und Stimme. Erwähnenswert auch die anderen Bläser-Soli, die ausdrucksstarke Gambe wie die Soli der beiden Konzertmeister. Fazit: Eine dem grandiosen Werk würdige, erfüllende Aufführung.

© SZ vom 14.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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