Süddeutsche Zeitung

Marihuana im Landkreis:"Nicht bagatellisieren"

Die Freigabe von Cannabis ist umstritten. Während der Bund Deutscher Kriminalbeamter eine Entkriminalisierung fordert, machen Suchtberater auf die gefährlichen Folgen des Konsums aufmerksam.

Von Thekla Krausseneck

Marihuana gibt es an jeder Ecke. "Jeder kann da dran kommen", sagt Polizeihauptkommissar Robert Kremer, der für die Geretsrieder Polizeiinspektion die örtliche Drogenszene im Blick hat. Der Konsum sei "gang und gäbe" - vor allem unter Minderjährigen. Die machen sich bislang strafbar, wenn sie kiffen. Doch das könnte sich durch die vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) geforderte Entkriminalisierung von Marihuana ändern. Nicht, weil die Jugendlichen dann nach Lust und Laune Joints rauchen dürften. Sondern weil sich - wie beim Alkohol - dann der strafbar macht, der das Marihuana an die Jugendlichen abgibt. "Das sehe ich kritisch", sagt Kremer.

Der Berufsverband der Polizei hatte das Ende des Cannabis-Verbots Anfang Februar gefordert, als BDK-Chef André Schulz der Bild-Zeitung sagte, die Prohibition sei "historisch betrachtet willkürlich erfolgt und bis heute weder intelligent noch zielführend". Derzeit ist der Verkauf, Erwerb, Anbau und Besitz in Deutschland nur zu medizinischen Zwecken erlaubt. Der Konsum an sich ist juristisch gesehen eine straffreie Selbstschädigung.

Herbert Peters, der bei der Caritas die Fachambulanz für Suchtkranke leitet, ist hin und her gerissen. Dass gerade die Polizei so einen Vorstoß mache, verwundere ihn: "Ich kann es aber verstehen." Denn eine Entkriminalisierung würde die Arbeit der Polizei erheblich erleichtern. Cannabis gelte als leichte Droge, wesentlich weniger gefährlich als Alkohol, der "ein viel größeres Elend" zur Folge habe. Cannabis indes bringe das Amotivationssyndrom mit sich: Wer häufig Marihuana zu sich nehme, könne lethargisch werden und seine Arbeit vernachlässigen. "Das passt nicht so in eine Industriegesellschaft mit einer hohen Leistungsethik", sagt Peters.

Mit solchen Klienten hatte die Caritas bereits zu tun: Konsumenten, die Schwierigkeiten hatten, ihren Arbeitsplatz zu halten oder die schulischen Leistungen zu erbringen. "Das darf man auch nicht bagatellisieren", sagt Peters. Hinzu komme, dass auf dem Markt nicht nur normales Marihuana zirkuliere, sondern auch gentechnisch oder synthetisch verändertes, das 15- bis 20-mal so stark sei. Diese Cannabinoiden fielen dann auch nicht mehr unter die leichten Drogen, weil sie halluzinogene und sedierende Wirkung hätten, ähnlich wie LSD oder Meskalin. In der Fachambulanz der Caritas könne man zwar sehen, welches Marihuana konsumiert wurde, das normale oder das veränderte. Bei einer Legalisierung wären die meisten Menschen aber außer Reichweite der Fachleute, weil dann nur noch die Abhängigen in die Beratung kämen. Jährlich hat die Suchtambulanz der Caritas etwa 700 Klienten, davon konsumieren 20 Prozent Cannabis, 65 Prozent trinken Alkohol, der Rest nimmt harte Drogen oder ist spielsüchtig. Die meisten Cannabis-Konsumenten seien minderjährig und würden von der Jugendgerichtshilfe geschickt, sagt Peters; nur wenige kämen freiwillig. "Aber die sind dann schon nicht mehr beim Experimentieren. Sondern beim regelmäßigen Konsum, von dem sie nicht mehr los kommen."

Die Legalisierung sei ein zweischneidiges Schwert, sagt Peters: Einerseits wolle die Caritas nicht, dass junge Menschen kriminalisiert würden, "nur weil sie experimentieren und mal ein bisschen rebellisch sind". Andererseits wäre keine Frühintervention mehr möglich. "Je eher man ein Problem erkennt, umso leichter kann man etwas dagegen tun." Wer als Erwachsener anfange, bekomme in der Regel keine Probleme. Je jünger der Konsument, desto schlechter sei die Prognose, desto wahrscheinlicher eine Abhängigkeit.

Diejenigen, die Marihuana zum ersten Mal ausprobieren, werden Hauptkommissar Kremer zufolge nur sehr selten erwischt. Er selbst habe 2004 bei der Polizeiinspektion Geretsried angefangen, zuvor sei er elf Jahre lang bei der Zivilfahndung gewesen. In all der Zeit habe er es höchstens drei- bis viermal mit Erstkonsumenten zu tun gehabt. "Es ist kein Geheimnis, dass die, die erwischt werden, schon sehr früh angefangen haben", sagt Kremer. In der Regel seien die kiffenden Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahre alt, ab und zu sogar noch jünger.

Durch eine Entkriminalisierung dürften sie zwar auch weiterhin kein Cannabis besitzen oder erwerben. Es entfielen aber die Strafen. Ähnlich sei es bei hartem Alkohol, sagt Kremer: Wenn die Polizei eine Gruppe Jugendlicher mit Wodka erwischt, nimmt sie ihr die Flasche zwar weg, weil sie für die Sicherheit der Jugendlichen garantieren muss. Nach dem Jugendschutzgesetz ist dann aber derjenige zu bestrafen, der den Minderjährigen den Wodka gegeben hat. Die Jugendlichen haben nichts zu befürchten. Und genauso wäre es mit dem Marihuana. Die Hemmschwellen der jungen Konsumenten könnten also weiter sinken: "Man kann nicht abschätzen, wie sich das entwickelt."

Strikt gegen eine Legalisierung ist Andrea Titz, Direktorin des Amtsgerichts Wolfratshausen. Cannabis sei aus ihrer Sicht "eine ernstzunehmende Einstiegsdroge in andere Betäubungsmittel". Eine Entkriminalisierung würde zwar dazu führen, dass es wegen Marihuana im Gericht weniger bis gar keine Verfahren mehr gäbe. Die abschreckende Wirkung wäre dann allerdings auch weg. "Marihuana ist nicht so ungefährlich, wie man gemeinhin glaubt", sagt Titz. "Es ist in der Lage, schwere körperliche und psychische Schäden anzurichten." Dass der ebenfalls schädliche Alkohol erlaubt ist, sei für sie kein Argument: "Nur weil es legale Drogen gibt, die auch gefährlich sind, heißt das nicht, dass man die andere legalisieren muss." Und so sieht es auch Hauptkommissar Kremer: "Wir haben bereits zwei legale Drogen. Wir brauchen keine dritte."

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SZ vom 20.02.2018
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