Süddeutsche Zeitung

Literaturtipps:Vom Aufbrechen und Heimkommen

Die Zeit des blutrünstigen Psychothrillers scheint vorbei zu sein. Das Team der Buchhandlung Isartal setzt bei seinen Weihnachtsempfehlungen auf Biografisches.

Von Veronika Ellecosta, Schäftlarn

Es gibt wohl kaum eine bessere Gelegenheit, sich in einer Buchhandlung zusammenzufinden, als an kalten Adventstagen, an denen sich Nebel übers Isartal legt. Etwa 30 Literaturinteressierte nutzten unlängst die Gelegenheit, sich in der in der Buchhandlung Isartal in Ebenhausen Empfehlungen der Gastgeberin Sophie von Lenthe und deren Kolleginnen und Kollegen für die nahende Bescherung geben zu lassen. Diese handelten oft vom Privatem, dem Suchen in der eigenen Biografie und in jener der Familie.

In der Sparte Krimi scheint die Zeit der blutrünstigen Psychothriller vorbei zu sein. "Niemand schreddert Leichen", kommentiert Buchhändlerin Anja Simon ihre Empfehlung "Viveca Stern: Kalt und still" über ein verschwundenes Mädchen im nördlichen Polarkreis. Ihr Kollege Andreas Rode empfiehlt den unterhaltsamen Krimi "Alibi für einen König" von Josephine Tey. Er handelt von einem gelangweilten Kommissar im Krankenstand, der versucht, den historischen König Richard III zu entlasten.

Bei den Belletristik-Empfehlungen bleibt das Biografische zentral. Es geht um Brüche und Konflikte in der eigenen Lebensgeschichte, aber auch jene, die von Generation zu Generation weitergereicht werden. Die eigene Person, mag es an diesem Abend scheinen, lässt sich nur im Familienverband erschließen. Anja Simon spricht über den französischen Roman "Die Ungeduldigen" von Veronique Olmi, in dem drei Geschwister in der französischen Provinz der 70er Jahre ihren eigenen Weg suchen. "Das Buch ist wie ein französischer Film verfasst: Ein ernstes Thema wird mit Leichtigkeit und Esprit beschrieben, ohne zu beschönigen", sagt Simon. Ihre zweite Empfehlung handelt nicht von Aufbruch, sondern vom Heimkommen: In "Die Rückkehr der Kraniche" von Romy Fölck müssen drei Generationen von Frauen durch einen Schicksalsschlag zurück in ihrem Heimathaus in den Elbmarschen wieder zueinanderfinden.

Ian McEwans neuer Roman "Lektionen" schürft in der Vergangenheit des Protagonisten, dessen jugendliche Affäre mit einer deutlich älteren Lehrerin in einem mittelmäßigen Leben endet. Ob dies ein gelungenes Leben sei, habe sie sich beim Lesen gefragt, sagt Sophie von Lenthe. Was ein gelungenes Leben ist, fragt sich wohl auch der Protagonist ihrer weiteren Buchempfehlung: In Alex Schulmanns "Verbrenn all meine Briefe" geht der Ich-Erzähler seiner eigenen Wut auf den Grund und stößt dabei auf Parallelen zu seinem Großvater. "Eine berührende und tragische Erzählung."

Um die Erkundung des persönlichen, fast schon intimen Lebensbereiches handelt auch die Sachbuchempfehlung von Andreas Rode. "Zerborstene Zeit" des Zeithistorikers Michael Wildt versammelt Tagebücher und Briefe von Persönlichkeiten und einfachen Bürgerinnen aus der Periode zwischen 1918 und 1945. "Es erstaunt, wie dieses Mosaik aus einzelnen Erinnerungen und Wahrnehmungen ein Gesamtbild ergibt", sagt Rode. Man bemerke schnell: Zeit sei nicht gleich Zeit, sie sei für alle anders, fragmentiert, zerborsten. Und auch Helga Halbig betont in ihrer Empfehlung "Isabel Cole Fargo: Die Goldküste" die gelungene Vermischung der persönlichen mit der politischen Ebene. Isabel Cole Fargo berichte darin von ihrer eigenen Reise nach Alaska, aber auch von ihrem Großvater, einem erfolgreichen Goldgräber im frühen 20. Jahrhundert und darüber hinaus von der Geschichte Alaskas, den Streit um Ölreserven und die Kultur der Indigenen.

Nicht fehlen dürfe in einer Liste von Geschenkempfehlungen ein Kochbuch, sagt Sophie von Lenthe zuletzt und nennt die Kochbuchreihe des Schweizer Bloggers Claudio del Principe. Nicht fehlen darf an einem Abend in einer Buchhandlung außerdem eine Gute-Nacht-Geschichte. Mit einer kurzen Lesung aus Mariana Lekys "Kummer aller Art" schickt die Buchhändlerin die Gäste schließlich wieder hinaus in den Nebel.

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