"Literarisches Wirtshaus":Die Nische im Dorf

Michael Well und Claudia Pichler haben für den Landgasthof Lacherdinger in Ascholding ein Kulturkonzept entwickelt

Von Stephanie Schwaderer, Dietramszell

Was gibt es Wichtigeres in einem Dorf als ein gutes Wirtshaus? Wenig, lautet die Antwort von Michael Well. "Da kannst mir zehn Gewerbegebiete dafür schenken!" Der Musiker, der mit der Biermöslblosn berühmt geworden ist, betreibt in Ascholding eine kleine Veranstaltungsagentur, die vornehmlich Ensembles vermittelt, in denen der Name Well auftaucht - von den Wellbrüdern bis zu den Wellküren. Zwischen seinem Schreibtisch und dem Landgasthof Lacherdinger liegen nur wenige Schritte, weshalb es wenig wundert, dass die Idee zu seinem neuesten Projekt in der alten Gaststätte gegenüber der Kirche geboren wurde. "Literarisches Wirtshaus" heißt die kleine Kulturreihe, die am Montag, 15. Oktober, mit einem Wedekind-Abend in die erste Runde geht.

"Literarisches Wirtshaus": Lebendige Wirtshauskultur: Claudia Pichler, Ulla Riedl und Michael Well (von links) bringen Musik und Satire in den Landgasthof Lacherdinger.

Lebendige Wirtshauskultur: Claudia Pichler, Ulla Riedl und Michael Well (von links) bringen Musik und Satire in den Landgasthof Lacherdinger.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Die Revue zum hundertsten Todestag des Schriftstellers und Schauspielers Frank Wedekind, der in der Schwabinger Boheme gefeiert und von den Herrschenden geschmäht wurde, gestalten Julia Cortis (Rezitation und Gesang) und Alex Haas (Gitarre, Laute). Sie haben Simplicissimus-Gedichte und Bänkellieder ausgewählt sowie Auszüge aus Dramen und Briefen, die deutlich machen sollen, wer dieser Wedekind war.

Vier Montagabend-Termine im Abo zu 74 Euro umfasst die neue Kulturreihe bislang. Dass sie im nächsten Jahr fortgesetzt werden soll, steht schon jetzt außer Frage. Maßgeblich beteiligt an der Programmgestaltung ist Claudia Pichler. Die Literaturwissenschaftlerin hat über Gerhard Polt promoviert und darf sich seither mit einem Augenzwinkern "Poltologin" nennen. Als Kabarettistin steht sie mit Michael Well als eine der Drei Haxn auf der Bühne, als Mitarbeiterin in seiner Agentur geht sie mit ihm gerne mal in den Lacherdinger zum Mittagessen. Und über einer schmackhaften Suppe ist es offenbar passiert: Die beiden entdeckten "eine Nische".

Geretsrieder Kulturherbst 2014

Gerhard Polt (oben) ist in der neuen Aboreihe "Literarisches Wirtshaus" mit von der Partie.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Denn insgesamt sei kulturell im Oberland "ja schon wahnsinnig viel los", bilanziert Well. "Die Wochenenden sind überfrachtet." Was es jedoch kaum gebe: Literarische Abende, mit denen sich ein kleiner Saal wie der im Lacherdinger bespielen lasse. 75 Sitzplätze gibt es dort, gutes Essen und guten Wein. "Dazu jetzt noch Kultur - das passt." Wichtig sei, dass die Literatur von Leuten gelesen werde, "die das können". Bei Julia Cortis, die einer großen Zuhörerschaft als Sprecherin des Bayerischen Rundfunks vertraut ist, besteht daran kein Zweifel. Ihrer Homepage hat sie das Motto vorangestellt: "Im Sprechen wie in der Musik stimmig gestimmt sein - und es hör- und fühlbar machen." Auch Stefan Merki, seit 2001 Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele, ist bekanntermaßen ein Mann des Wortes. Er gestaltet zusammen mit dem jungen Geiger Matthias Well am Montag, 5. November, einen Abend, der Kurt Tucholsky und seiner melancholischen Liebesgeschichte "Schloss Gripsholm" gewidmet ist. Das Programm haben die beiden Künstler ursprünglich für das Fraunhofer in München konzipiert.

"Literarisches Wirtshaus": Die Sprecherin und Sängerin Julia Cortis eröffnet das Programm am Montag mit einem Wedekind-Abend.

Die Sprecherin und Sängerin Julia Cortis eröffnet das Programm am Montag mit einem Wedekind-Abend.

(Foto: Christine Limmer)

Der große Star in der kleinen Reihe ist Gerhard Polt, der oft im Hause Well zu Gast ist und auch gerne in den Lacherdinger zum Essen geht. "Im Abgang nachtragend" ist sein Auftritt am 21. Januar überschrieben. Was genau er lesen und erzählen wird, bleibt abzuwarten. "Das macht er ad hoc", sagt Well - und hat spontan eine Idee: "Da könnten eigentlich wir dazu spielen." Pichler nickt.

Auch Hanns Christian Müller schlägt in seinem Programm "Sonne für alle" schräge und komische Töne an. Begleitet wird er am 11. Februar von Ron Evans mit Folk-Rock-Blues-Songs unplugged. Alle vier Abende stünden im Zeichen der Satire, erklärt Claudia Pichler. "Es soll vor allem unterhaltsam sein." Ein Nebeneffekt könnte laut Wirtin Ulla Riedl darin bestehen, die Gäste an gute Literatur heranzuführen. "Da sind sicher einige dabei, die noch nichts von Tucholsky und Wedekind gelesen haben." Well will vor allem eine Plattform schaffen, "dass die Leute rausgehen, sich treffen und miteinander ein paar schöne Stunden haben".

Bleibt die Frage, ob das an Montagabenden funktionieren wird. Bestimmt, sagt Well: "Das ist ein Geschenk, wie ein verlängertes Wochenende." Und Pichler ergänzt: "Wenn man am Montagabend die Kultur hinter sich bringt, hat man das für die Woche schon erledigt." Für die zweite Abo-Runde haben die beiden eine Menge Ideen - und einen hehren Vorsatz: Die Frauenquote auf der Bühne soll dann bei fünfzig statt 14 Prozent liegen.

Das "Literarische Wirtshaus" beim Lacherdinger in Ascholding beginnt am Montag, 15. Oktober, 20 Uhr, Rest-Abos zu 74 Euro gibt es in der Agentur Well unter Tel. 08171/28822

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