Liederabend:Eine Reise durchs Leben

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Wieder einmal lädt die Geltinger Kulturbühne Hinterhalt zum Live-Stream ein - dieses Mal mit Singer-Songwriter Christian Jungwirth, der seine dritte CD vorstellt

Von Anja Brandstäter

Fast 80 Veranstaltungen wurden in den vergangenen 14 Monaten aus dem Geltinger Hinterhalt live via Youtube in die Wohnzimmer gestreamt. Aus der leeren Kulturbühne - die Corona-Pandemie ließ kein Publikum zu. Das Licht ist an diesem Abend soweit gedimmt, dass man gerade noch sehen kann, wohin man tritt. Zwei große Bildschirme sind dort aufgebaut, wo normalerweise die Zuschauer Platz nehmen. Acht Kameras stehen für die Aufzeichnung zur Verfügung. Ganz hinten im Raum steht ein großes Mischpult. Der ganze Aufwand gilt einem Mann: Christian Jungwirth stellt seine CD "Reise" vor.

Voraussetzung, um in den Hinterhalt zu kommen, ist ein Corona-Test. Der wird den Technikern, Veranstaltern und Journalisten fachkundig abgenommen. Eine Viertelstunde nach dem Nasenabstrich macht sich Erleichterung breit, bei keinem der rund einem Dutzend Personen fällt der Test positiv aus. Noch fünf Minuten, schnell ein Getränk besorgt und auf einen Stuhl gesetzt. Jetzt heißt es leise sein, denn jedes Geräusch wird im Live-Stream übertragen. Noch ein Hinweis von Hinterhalt-Wirtin Assunta Tammelleo: "Schaltet Eure Handys auf Flugmodus. Denn die 'Reise' geht gleich los". Nicht die Reise mit der Himmelfahrt, das Flugzeug, das im Bühnenraum steht und schon vor der Staatskanzlei gelandet ist, meint sie, sondern das Bühnenprogramm von Christian Jungwirth. Es heißt "Reise". Nach ihren Worten wird es mucksmäuschenstill. Die Übertragung beginnt pünktlich.

"Reise" heißt die dritte CD des Singer-Songwriters Crhistian Jungwirth. Seine Lieder stellte er im Live-Stream auf Youtube vor. (Foto: Hartmut Pöstges)

"Das alles gäbe es nicht, wenn wir nicht so begnadete Menschen hätten, die so etwas können und dann auch noch ihr Equipment mitbringen", sagt Assunta Tammelleo zur Begrüßung. Das technische Know-how ist tatsächlich beeindruckend. Seit 14 Monaten experimentiert das Team um Kameramann Thorsten Thane, Veranstaltungstechniker Marius Hammerschmied und Tontechniker Hendrik Noeller und entwickelte sich dabei immer weiter.

"Ein paar Leute sind ja da, aber es ist schon komisch, so ganz allein dazusitzen und mit der Kamera zu reden", beginnt Christian Jungwirth sein Programm. Mit "Reise" meint er keine Reise im eigentlichen Sinne, sondern seine dritte CD, die so heißt. Die Lieder besingen eine Reise durch das Leben. Durch Höhen und Tiefen. Er singt von der Liebe, von seinen beiden Kindern, Eltern und Großeltern. "Und Christian, wie geht's", das hätte er sich öfters in der Corona-Zeit gefragt. Beim Grübeln und sich Betrinken hätte er begriffen, dass Fluggesellschaften mehr Fördergelder bekommen, als Kunst und Kultur.

Was man bei der Live-Übertragung nicht sieht, ist, dass Thorsten Thane ab und zu geräuschlos mit der Kamera quer durch den Raum geht. Der Youtube-Zuschauer sieht dann den Sänger mal von der Seite, von hinten, mal näher oder mal von der Weite. Nur mit der Gitarre, im Muskelshirt singt er in Mundart "Wir stehn ganz nah beieinand" oder "Herz verlorn, i hob mei Herz verlorn". Da wird dem Zuschauer einmal mehr verdeutlicht, was derzeit alles fehlt. Als Gast an diesem Abend im Hinterhalt wird einem bewusst, dass man seit Monaten nicht mehr über eine Stunde einfach nur dagesessen ist und einem Programm aufmerksam gelauscht hat.

Jungwirth besingt die alte Frau, die Traumata vom Krieg immer wieder durchleben muss, vom Sterben und der "Reise" danach "Wir werden uns ganz bestimmt wiedersehen", sagt er. Er besingt die Reise in den gemeinsam geplanten Tod eines Ehepaars, das vorher noch ihren Anrufbeantworter bespricht: "Wir sind auf einer großen Reise, wir machen uns gar keinen Druck, wenn wir wieder da sind, rufen wir gleich und so schnell wie es geht zurück." "Fredl I hea di danzn" ist die Zugabe nach etwa einer Stunde Programm. "Bei mir im Wohnzimmer wackeln die Pflanzen."

Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern hat Christian Jungwirth die Pandemiezeit gut überstanden, denn Singer-Songwriter ist nicht sein Hauptberuf. Er arbeitet im Broterwerb beim Pharmaunternehmen Roche in Penzberg. Für die Geltinger Kulturbühne Hinterhalt, das Publikum und für die Künstler, welche die Bühne lieben, sei die Situation schwierig bis unerträglich, sagt die Kulturbühnen-Chefin. "Ein Trost ist aber, dass viele Menschen die Streams tatsächlich verfolgen. Man kann sie auf Youtube kostenlos ansehen. Wir bitten aber um eine Spende, die auf elektronischem Weg per Paypal oder Überweisung getätigt werden kann" erzählt Tammelleo. "Diesbezüglich erfahren wir große Solidarität, viele Menschen spenden großzügig. Wir verteilen die Hälfte der Einnahmen an die Künstler, die andere Hälfte geht an die Techniker." Mehr als 120 000 Besucher haben die Hinterhalt-Streams auf Youtube bereits angesehen.

Kulturbühnen-Chefin Assunta Tammelleo dankte allen Mitwirkenden und Gewogenen, die den Hinterhalt finanziell in der Corona-Pandemie unterstützen. (Foto: Hartmut Pöstges)
© SZ vom 07.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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