Süddeutsche Zeitung

Letzte Aktion in Bad Tölz:Schluss mit billig

Ein Abgesang auf die Kunst im "Öha"

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Bei der Abschiedsveranstaltung von Christian Stadelbacher, der seinen Kunstraum Öha zum Jahresende aufgibt, wird am Dienstag verramscht, was das Zeug hält. Im Atelier sieht es aus wie in einer Billigklamotten-Filiale: Rote Schilder werben für einen "Total-Ausverkauf": "Alles muss raus, Wertreduktion bis zu 70 Prozent". Ein Kunstschnäppchen-Sale, der selbst zur Kunstaktion wird und die Frage stellt: Was ist uns Kunst wert?

Auslöser für die Aktion, zu der etwa zwei Dutzend Kauflustige gekommen sind, sei der jahrelange Totalausverkauf bei Trachten Kirner gewesen, erklärt Stadelbacher. Inhaberin Rita Braun, die im Sommer gestorben ist, sei eine besondere Persönlichkeit gewesen und ihr Laden Kult. Dessen "Totalausverkauf" habe sich in den Köpfen eingebrannt und wie eine "Corporate Identity von Tölz" gewirkt. Die Stadt sei wunderbar "und der Leberkäse vom Metzger Schuler wird mir fehlen", sagt Stadelbacher, der nach Greiling zieht und seine Arbeiten im Frühjahr bei Ausstellungen in München und Unterschleißheim zeigt. "Aber Bilder gucken die Tölzer nicht so gerne an."

Wer in den Raum einzieht, stehe noch nicht fest, bleiben soll die Lange Nacht am Jungmayrplatz. Dass sich dort bisher kein "Künstlerviertel" etabliert habe, bedauert auch Patrizia Zewe, die im vergangenen Jahr ihr Atelier nach Schwabing verlegt hat. "Das braucht einen langen Atem, aber das privat zu finanzieren, geht nicht."

Beim Totalausverkauf der Kunst gibt es allerhand Schnäppchen: Landschaftsbilder von Dierk Schwender, kleine Handtaschenbilder samt Handtaschen von Zewe. Ältere, kleinformatige Arbeiten von Marianne Hilger, Kuh-Porträts und Postkarten von Stadelbacher, mit Kuhdung gemalte Bilder von Werner Härtl. Die Preise bewegen sich zwischen 4,99 Euro und 199,99 Euro. Billig zu haben ist eine Kunst-Aktion: Wer einen Euro in eine Box wirft, bekommt 20 Minuten Lesung von Ulla Haehn und Saxofon-Musik von Horst Kubitz. Haehn liest aus dem Roman "Lob der Realität" von Peter Licht. Der Autor, der unter Pseudonym schreibt, wolle nur über seine Texte sprechen und sich weder über seinen wirklichen Namen noch durch Fotos verkaufen, erklärt Haehn. Viel Stoff zum Nachdenken für wenig Geld; etwa über eine digitalisierte Welt, in der "nichts jemals vergessen wird" und jeder jederzeit als Datensatz abrufbar sei. "Ich betrachte mich als abgeschafft in meiner Eigenschaft als Mensch", liest Haehn.

Auch zwischen die Ausverkaufsschilder im Öha hat sich Gedankenfutter gemogelt: "Ausstellungsbesuche und die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst können (...) Ihr Leben beeinflussen. Beim Auftreten unerwünschter Gefühle oder Nebenwirkungen reden Sie mit anderen." Im Öha wird das künftig nicht mehr möglich sein.

Kunstaktion "Totalausverkauf" noch bis Sonntag, 17. Dezember. Für einen Euro liest Christian Stadelbacher zwischen 14 und 19 Uhr seine Weihnachtsgeschichte; www.oeha-kunstraum.bayern

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Quelle:
SZ vom 14.12.2017
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