Süddeutsche Zeitung

Bau der Tölzer Nordumfahrung:Ein Stadtviertel in Sorge

Bewohner der Lettenholz-Siedlung fordern eine frühzeitige Planung ihres Quartiers, das sich durch die Nordspange grundlegend verändern wird. Sie plädieren für Verkehrsberuhigung, mehr Grün, Renovierungen von Wohnblöcken und ein Mitspracherecht bei Entscheidungen der Stadt.

Von Klaus Schieder

Im Lettenholz leben gut 2800 Tölzerinnen und Tölzer, darunter viele Kinder. Dies sind rund 14 Prozent der Bevölkerung in der Kurstadt. Aber so richtig wahrgenommen fühlen sich die Menschen in der Siedlung auf der Flinthöhe von der Stadtverwaltung und dem Stadtrat offenbar nicht. Dies wurde auf einem Rundgang am Samstag durch das Viertel deutlich, wo 2023 der Bau der lange erwarteten Nordumfahrung so richtig anfängt. "Ich habe schon viel erlebt. Viel Ablehnung", sagt Anwohner Michael Voigt, der die Exkursion organisiert hat. Wenn er Ideen an die Stadt herantrage, heiße es immer, "wir sollen abwarten, bis die Umgehung kommt". Die künftige Gestaltung des Stadtteils, der von den einst für die US-Armee errichteten Wohnblöcken geprägt ist, müsse man aber schon jetzt beginnen. Denn dies sei eine "große Chance, das Viertel wohnenswerter zu machen", sagt er.

Auf ihrem Rundgang wird die Gruppe mit etwa 30 Teilnehmenden von Stadträten der Grünen begleitet. Auf einer Mitgliederversammlung sei man von einem Lettenholz-Bewohner darauf angesprochen worden, sagt Thomas Maurer, Sprecher des Ortsverbands. Mit von der Partie ist auch Stefan Vogt vom Staatlichen Bauamt Weilheim als Projektleiter für die Nordumfahrung. Die Vorbereitungen für den Bau haben dieses Jahr schon begonnen, das Waldstück an der Sachsenkamer Straße wurde gerodet. Über dieses brach liegende Areal führt später die sogenannte "Nordspange", die danach nördlich der Straße Am Lettenholz und des Sitec-Geländes weitergeht und von dort nach Greiling hinunterschwenkt. Oberirdisch sind zwei große Kreisverkehre geplant: an der jetzigen Kreuzung B472/Sachsenkaner Straße und auf der B13 nördlich von Sitec. Bauzeit: vier bis fünf Jahre.

Der Lärmschutz ist eine Hauptsorge der Anlieger. Vogt zufolge wird die Nordumfahrung teils durch Tröge von sechs bis neun Metern Tiefe, teils vorbei an drei bis fünf Meter hohen Lärmschutzwänden geführt. Auch die Dachgeschosse der Wohnhäuser, die nahe an der Umgehung liegen, würden dadurch geschützt. "Die Lärmschutzwerte werden eingehalten", so der Projektleiter. Damit die Lettenholz-Bewohner während der Bauzeit nicht vom Bahnhof und vom Stadtzentrum abgeschnitten sind, bekommen sie einen eigenen Fuß- und Radweg mit einer grünen Brücke, der vom Kreisel am Maxlweiher hinter den Anwesen Lettenholz 1 und 3 hinauf in die Siedlung führt. Der bleibt auch nach dem Bau des Großprojekts erhalten. "Ein Abfallprodukt der provisorischen Verkehrsführung", sagt Vogt. Für Anwohner Voigt ist dies erfreulich. "Eine schöne grüne Anbindung", sagt er. Ansonsten wird die bestehende Bundesstraße für die Bauarbeiten ein wenig Richtung Süden verlegt.

Die Allgaustraße nördlich der Lettenholz-Siedlung ist während der Bauzeit für den Autoverkehr gesperrt, Fußgänger und Radler bekommen aber einen provisorischen Weg. Nach dem Ende des Nordspange-Baus können Passanten und Radfahrer eine Unterführung unter der Umgehung nutzen. Ansonsten wird die Allgaustraße an den Kreisel an der B13 angebunden. Das Zauneidechsenhabitat im nördlichen Lettenholz bleibt erhalten, "es wird eher größer werden", sagte Vogt. Und für das gerodete Waldstück gilt vor allem das Lerchenhabitat am Greilinger Flugplatz als Ausgleichsfläche. Damit, kritisierte Grünen-Stadträtin Dorothea Bigos, erhalte man aber "nicht die Qualität, die verloren ging".

Allerdings haben die Lettenholz-Anlieger noch andere Verkehrsprobleme als den Bau der Nordumfahrung. Neben der Straße Am Lettenholz steht Michael Voigt auf einem Rasen zwischen zwei Wohnhäusern und zeigt, wie liebevoll manche Bewohner ihre Gärtchen und Terrassen mit Blumen pflegen. "Für Kinder ist das hier ein Paradies", sagt er. Deshalb würde man sich wünschen, dass dort die Straße wenn nicht als Spielstraße, so doch als Fahrradstraße gewidmet werde. Denn, so Voigt: Trotz Tempo 30 rauschten die Autofahrer einfach durch, vor allem an Wochenenden. Navigationsgeräte sollten hier keine Abkürzung anzeigen, findet er. Mit dem Bau der Umgehung sollte man sich überhaupt Gedanken über die Straßen im Lettenholz machen, findet er. Über einen Rückbau, über Tempo-Reduzierungen. Georg Fischhaber, Sachgebietsleiter Verkehr im Landratsamt, ist zuversichtlich. Weil die Rechtsabbiegespur von der B13 in die B472 künftig wegfällt, werde sich das Problem mit den Abkürzern erledigen. "Der Druck ist dann weg."

Als "Todeskreuzung" bezeichnet Voigt die Einmündung der Straße am Lettenholz in die B13 am Übergang zu General-Patton-Straße. Erst vor Kurzem ereignete sich an dieser Stelle ein tödlicher Unfall. Vor allem Motorradfahrer rasten stadtauswärts durch, so Voigt. "Es muss eine Verkehrsberuhigung stattfinden, ein Rückbau." Er fordert Tempo 30, damit die Leute "wenigstens 40 und nicht 60 fahren". Fischhaber kann sich eventuell Mittellleitschwellen vorstellen, um Raser zu bremsen. Grünen-Stadträtin Johanna Pfund plädiert für Tempo 30 im gesamten Lettenholz. Eine solche Regelung "sollte man fürs ganze Viertel machen, nicht einzeln".

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite soll das neue Josefistift entstehen. Auf dem großen Spielplatz gesellen sich etliche Frauen dazu, die den Bau des neuen Pflegeheims skeptisch sehen. "Spielplatz und Senioren", sagt eine von ihnen, "das geht schlecht zusammen". Senioren bräuchten Ruhe, nicht Kinderlärm. Andere befürchten, dass der Spielplatz schrumpft, dass ein Klotz von einem Pflegeheim entsteht, dass Kinder mit Leid und Tod konfrontiert werden. Stadträtin Pfund nimmt diese Sorgen auf, erklärt jedoch auch, dass der Spielplatz umgestaltet, aber nicht verkleinert werde. Das neue Josefistift werde auch "kein riesiger Block". Voigt ist vor allem wichtig, dass eine Tiefgarage gebaut wird und die Bäume am Rand zur B472 stehen bleiben.

Eine "Herzensangelegenheit" sind dem Organisator des Rundgangs auch die sechs Wohnblöcke an der General-Patton-Straße, die der Stadt gehören. Auf der anderen Straßenseite hat das Bundesvermögensamt seine Wohnhäuser renoviert und teils schon mit Balkonen ausgestattet. "Es ist überfällig, dass die Stadt das auch macht, aber immer heißt es: kein Geld", sagt Voigt. Einige Bewohner erzählen, dass die Eingangstüren nicht mehr schließen würden, Schimmel und Silberfische in ihren Wohnungen aufträten, Gemüsebeete, die sie anlegten, von der Stadt wieder entfernt worden seien. Wegen der Balkone gab es eine Unterschriftenaktion. "Aber es ist nichts passiert", sagt Voigt.

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