Lesung:Postkartenidyll

Lesung bei Biller

Zwischen Weinbeeren und Wäscheblau: Elisabeth Carr, Peter Weiß und Ulrike Mertz (von links) gestalteten die Lesung zu einem heiterem Familientreffen.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das ehemalige Starnberger Kaufhaus Biller lebt als Kurzwaren-Kunstraum auf

Von Katja Sebald, Starnberg

Die grünen Klappläden vor den Schaufenstern sind geöffnet, verblichene Plakate preisen "modische Damenschals" als Sonderangebote an. "Vorübergehend geschlossen", steht zwar auf einem Zettel an der Ladentür. Das gilt aber an diesem Samstagnachmittag nicht: Die Kulturveranstalterin Elisabeth Carr hat sich wieder den Schlüssel für das ehemalige "Kaufhaus Biller" an Starnbergs Hauptstraße geliehen. In Vertretung der betagten Inhaberin Trudi Biller alias Gertrud Weiß steht sie hinter der Theke und zaubert literarische Gemischtwaren aus den Schubladen. "Schöne Grüße vom Starnberger See" hat sie die Veranstaltung genannt, für die der wundersam altmodische Laden zum "Kurzwaren-Kunstraum" wurde.

Das 1804 von Johann Biller gegründete Geschäft, das generationenlang in der Familie weitergegeben wurde, ist ein Stück altes Starnberg. Bis vor ein paar Jahren konnte man dort Wolle, Stoffe, Wäsche, Handschuhe und Strumpfhalter kaufen. Die Einrichtung mit schönen Intarsien stammt aus dem Biedermeier, auf den Emailleschildern der Schubfächer steht "Wacholder", "Weihrauch" und "Wäscheblau". Und auch die wohlfeilen Waren haben ein paar Jahre auf dem Buckel: Die Bademoden in der Vitrine stammen aus den 1970er Jahren, die Korsettstäbchen dürften noch älter sein.

So waren auch die literarischen Fundstücke, die der zahlreich erschienenen "Kundschaft" präsentiert wurden, vor allem altbewährte Beschreibungen der Sommerfrische am Starnberger See: Sprecher Peter Weiß las Texte von berühmten Reisenden früherer Zeiten wie Lorenz von Westenrieder, Heinrich Noe und Ludwig Steub. Der erste schwärmte von den "umherliegenden Schlössern"; der zweite fand, Starnberg sei ein "schattenloses, stadtähnliches Dorf", und der dritte war entsetzt über "nie gesehenen Schwärme deutscher Ausländer" aus Westfalen oder Pommern, die das Voralpenland schon vor 150 Jahren heimsuchten.

Sisi und Ludwig schickten sich wieder einmal die Gedichte von Möwe und Adler über den See. Auch Christian Morgenstern, Wilhelm Busch und Eugen Roth kamen zu Wort, nur Ödön von Horváth durfte nicht ausreden: Die zweite Hälfte seiner Erzählung über einen Ausflug an den Starnberger See fiel der Zensur durch die Veranstalterin zum Opfer. "Heiter, nachdenklich und schlüpfrig" sollte die Textauswahl sein - aber so schlüpfrig dann doch nicht.

Überhaupt machten die Geschwister Carr und Weiß, die auch mit der Ladeninhaberin verwandt sind, den Abend zum fröhlichen Familientreffen voller Erinnerungen und Neckereien. So ließ sie ihn Texte, die er lesen sollte, zwischen Unterhosen und Quittungsblöcken suchen. Er schreib ihr wiederum auf der Ladentheke eine Postkarte von dieser "merkwürdigen Veranstaltung", die er am liebsten sofort verlassen würde - und ließ sich auch gleich aus dem Publikum eine Briefmarke dafür reichen.

Ob man im Kaufhaus Biller einst auch Ansichtskarten vom Starnberger See kaufen konnte, wurde an diesem Nachmittag nicht abschließend geklärt. Die dekorativen Postkarten, die an einer langen Wäscheleine aufgehängt präsentiert wurden, waren jedenfalls alle jüngeren Datums: Sie stammen von der Fotografin Ulrike Mertz, die am Ende der Veranstaltung mit einem großen Reisekoffer auftrat und aus ihrem Leben erzählte. Und natürlich durfte jeder Besucher eine Postkarte mit nach Hause nehmen, um selbst einmal wieder "schöne Grüße vom Starnberger See" zu verschicken.

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