Lenggrieser Zeitgeschichte:Späte Memoiren

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Der Bauernsohn Sepp Wasensteiner hat in den Achtzigerjahren seine Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg niedergeschrieben. Seine Kinder haben das Zeitdokument nun in einem Buch veröffentlicht.

Von Veronika Ellecosta, Lenggries

Am 15. September 1949 erlebt Sepp Wasensteiner aus Lenggries seine zweite Geburt. Er ist heimgekehrt aus russischer Kriegsgefangenschaft und sieht zum ersten Mal wieder die Sonne über dem Geigerstein. In seinen Memoiren notiert er: "Mein erster Gang waren die paar Schritte hinüber in die Kirche. War es doch praktisch der zweite Geburtstag in meinem Leben und das mit 29 Jahren, davon neun Jahre Krieg und Gefangenschaft. Normalerweise die schönsten Jahre des Lebens." Die Kirche also. Der erst Sehnsuchtsort des Sepp Wasensteiner. Der Glaube, sagt sein Sohn Jakob Gottlob, habe ihn trotz der schmerzlichen Kriegserfahrungen eben nie verlassen. So enden Wasensteiners Memoiren auch mit folgendem, demütigen Satz: "Und doch muss ich danken, dass ich wieder heimkam, was Tausenden und Millionen anderen versagt geblieben war."

Seine Memoiren hat Sepp Wasensteiner in den Achtzigerjahren geschrieben, als die Schrecken des Kriegs schon mehrere Jahrzehnte zurücklagen. Bestärkt habe ihn darin seine Frau Anna, die Wasensteiner kurz nach seiner Rückkehr nach Lenggries kennengelernt hatte. "Schreib's auf für die Kinder!", habe Anna Wasensteiner sie zu ihrem Mann gesagt, erzählt der Sohn Jakob Gottlob.

Durch das Schreiben, erzählt Gottlob, habe Sepp Wasensteiner viele Traumata verarbeiten können. Gesprochen habe er viel über seine Kriegserlebnisse - mit den Verwandten, oder wenn Nachbarn zu Besuch waren. Nur eine Episode blieb immer unerwähnt: Nach einem Kampf an der Ostfront bleibt Wasensteiner schwer verwundet auf dem Schlachtfeld liegen, während russische Panzer das Areal passieren. Irgendwann fährt ein deutscher Jeep vorbei, Wasensteiner kann sich mit Armbewegungen bemerkbar machen und wird so gerettet. Der Jeep sicherte ihm das Überleben. Die Angst, von einem Panzer überrollt zu werden, hat Wasensteiner sein Leben lang in Albträumen heimgesucht. Geschrieben hat er davon in seinen Memoiren nichts.

Irmi Grasmüller, Grafikerin und freie Journalistin, hat die Memoiren des Sepp Wasensteiner unter dem Titel "Aus Kindheit, Krieg und Gefangenschaft" nach dem Tod des späteren Lagerhausmitarbeiters im Jahr 2011 veröffentlicht. Sie habe in dem Skript nicht nur eine Geschichte, sondern auch eine Aufgabe erkannt. Es sei ihr wichtig gewesen, die Memoiren unter die Leute zu bringen, sagt Grasmüller. Bereits vorher hätten die Nachkommen von Wasensteiner den Text an Verwandte weitergereicht. Die Memoiren waren vor der Veröffentlichung schon gefragt und wurden auf öffentlichen Reden zitiert. "Der Text war gut strukturiert. Wir haben etwa 90 Prozent original übernehmen können", sagt Grasmüller über die Publikation.

In dem 216 Seiten umfassenden Buch mit den Erinnerungen von Sepp Wasensteiner sind auch einige historische Bilder abgedruckt. Eines davon zeigt den Eham-Hof in Lenggries, auf dem Wasensteiner aufgewachsen ist. (Foto: Privat/OH)

Die Memoiren des Sepp Wasensteiner sind in drei Kapitel gegliedert. Diese behandeln chronologisch die Kindheit auf einem der größten Bauernhöfe in Lenggries, dem Eham-Hof, die Zeit als Soldat an der Ostfront in der Spielhahnjäger-Division und die Gefangenschaft in Russland.

Während seiner Kriegszeit erkrankt Wasensteiner unter anderem an der Ruhr, wird mehrere Male schwer verletzt und verbringt einige Zeit in verschiedenen Lazaretten. Nach dem Kriegseinsatz ereilt ihn ein weiterer Schicksalschlag: Von Vorgesetzten und Kameraden im Stich gelassen, gerät Wasensteiner 1944 in russische Kriegsgefangenschaft. Er beschreibt nüchtern und sachlich die Zeit in den russischen Lagern, von verschlüsselten Briefen, in denen er seiner Familie in Lenggries seinen Aufenthaltsort nennen konnte. Er haust in Baracken, wo eine Konservendose mit übergestülpter Mütze als Kopfkissen dient, erkrankt auch hier mehrere Male. Einmal ist sein Körper derart mit Wasser gefüllt, dass er dem Tod näher ist als dem Leben. Aber jedes Mal überlebt er - auch die magere Kost und die harten Arbeitszustände. "Das Fleisch an mir können sie haben, aber die Knochen möchte ich noch heimbringen", schreibt er in seinen Memoiren.

In der Militärzeit hatte Wasensteiner einen kleinen Kalender bei sich, wo er Erlebtes notieren konnte. Dort vermerkt er auch die Anzahl gefallener und verwundeter Kameraden. Sie werden immer mehr. Dank dieses Büchleins gelang es Wasen-steiner, seinen Lebensweg noch im hohen Alter rekonstruieren zu können. Der Kalender endet mit der Gefangenschaft in Russland. Diese Zeit hat Wasensteiner aus der eigenen Erinnerung heraus beschrieben, er hat nicht vergessen.

Nur wegen des Glaubens und seines starken Willens, erzählt Jakob Gottlob, habe sein Vater die Kriegszeit und Gefangenschaft überleben können. Er sei ein sehr liebevoller Vater gewesen. "Probleme hat er nicht schwer genommen und nicht viel geschimpft. Wenn wir auf die Berge gegangen sind, hat er mich getragen", sagt Gottlob.

Mit seiner Frau Anna hatte Sepp Wasensteiner nach dem Krieg eine Familie gegründet, vier Kinder haben sie großgezogen. Diese haben vergangenes Jahr nun seine Memoiren veröffentlicht. "Solche Zeiten, wie im Buch behandelt, darf es nie wieder geben", sei die Botschaft von Sepp Wasensteiner gewesen, sagt Jakob Gottlob. "Mögen uns seine Erinnerung eine Lehre sein" ist somit logischerweise auch der letzte Satz im Nachwort, das seine Kinder Sepp, Anni, Jakl und Maria verfasst haben.

Josef Wasensteiner, Aus Kindheit, Krieg und Gefangenschaft, erschienen im Isarwinkel-Verlag, ISBN: 978-3-946058-04-5

© SZ vom 03.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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