Süddeutsche Zeitung

Vegane Enklave in Lenggries:Resch, gschmackig und pflanzlich

Im bilderbuchbayerischen Lenggries sticht eine Wirtschaft zwischen den üblichen Schweinsbraten-Häusern heraus: Im Hirschbachstüberl wird gutbürgerlich, aber rein vegetarisch-vegan gekocht.

Von Henri Hoschar

Wer Lenggries schon einmal im Winter gesehen hat, weiß, warum der malerische Ort mit seinen schneebedeckten Bergen ein derart beliebtes Ausflugsziel ist. Auch das Restaurant Hirschbachstüberl passt auf den ersten Blick mit seinem Wirtshausschild in Frakturschrift und einem bronzenen Hirsch am Eingang perfekt in diese bayerische Bilderbuchlandschaft. Hinter dieser Fassade verbirgt sich jedoch eines der wenigen gänzlich vegetarisch-veganen Lokale im Oberland: Statt Schweinsbraten und Kalbsschnitzel werden hier pflanzliche Alternativen serviert, die auch Fleischesser nichts vermissen lassen.

Eröffnet wurde das Hirschbachstüberl 1984 von Anneliese Stockner. Ursprünglich hatte sie das Haus in der Karwendelstraße auch auf Bestreben ihres Partners erworben, der von der Idee eines eigenen Wirtshauses angetan war. In den damals beliebten Rennsemmeln servierten sie noch Fleisch. Obwohl Stockner, die sich schon seit ihrer Kindheit größtenteils pflanzlich ernährte, schon damals eine "vegetarische Ecke" auf der Speisekarte hatte, kam die Umstellung auf einen kompletten Fleischverzicht im Lokal erst mit einer schweren Krankheit Stockners. In Folge dieser begann sie, sich strikt vegan zu ernähren, da dies in einem Buch als möglicher Behandlungsansatz aufgeführt war. Auch ihr fiel die Umstellung zuerst nicht einfach, vor allem der Verzicht auf Käse sei ihr zu Anfang nicht leichtgefallen. Durch ihre Krankheit und ihre neue Ernährung setzte sich Stockner auch intensiver mit dem Thema Massentierhaltung auseinander und kam zu dem Schluss, dieses System nicht weiter unterstützen zu wollen. Auch war sie mittlerweile von den gesundheitsschädlichen Auswirkungen einer fleischlastigen Ernährung überzeugt, sodass sie "das den Leuten nicht mehr verkaufen" wollte. Nun stand sie vor der schweren Entscheidung, das Angebot ihres Hirschbachstüberls komplett umzustellen oder ganz aufzuhören. Denn ihr war klar, dass ein fleischloses Restaurant im ländlichen Oberbayern keinen einfachen Stand haben würde. Ein Umzug des "Hirschbachstüberls" in eine Stadt sei jedoch für sie nie in Frage gekommen. Dazu sei sie einfach zu sehr in der Umgebung verwurzelt: "Ich liebe die Gegend und mag die Leute", sagt Stockner. Sie habe sich deshalb entschlossen, das Haus mit einer komplett überarbeiteten, fleischlosen Karte weiterzuführen.

Am 1. April 2012 war die "Neueröffnung" des Hirschbachstüberls. Zu Beginn habe es einige Stammkunden gegeben,die die Umstellung als persönlichen Angriff interpretierten, erzählt die Wirtin. Doch die positive Resonanz überwog, viele Lenggrieser wagten das Experiment und besuchen laut Stockner bis heute regelmäßig das Restaurant genauso wie Gäste, die einen weiteren Anfahrtsweg auf sich nehmen.

Die Karte musste die Wirtin seit der Umstellung jedoch einige Male anpassen. Bot sie zu Beginn vor allem indische Spezialitäten an, sind es heute eher Klassiker wie pflanzliche Schnitzel, Burger, Pizza und Pasta. Stockner, selbst ein großer Fan der indischen Kultur und Lebensweise, hatte einsehen müssen, dass sich weniger Exotisches besser verkauft und auch bei männlichen Kunden deutlich gefragter ist. Einige ihrer eigenen Lieblingsgerichte, zum Beispiel Thai-Curry, hat sie trotzdem auf der Speisekarte. Ihr ginge es nämlich in erster Linie darum, "kein Fleisch mehr anzubieten müssen". Einer ihrer Köche aus Italien ist für den großen Anteil an Pasta-Variationen auf der Speisekarte verantwortlich, die mittlerweile zu den Lieblingsgerichten der Gäste zählen.

Weil Stockner vor allem auf Qualität achtet, wurde das Hirschbachstüberl mittlerweile mehrfach ausgezeichnet, unter anderem vom veganen Restaurantführer "vanilla bean". Am meisten bedeutet ihr aber die Bewertung ihrer Gäste. Besonders freut sie sich, wenn jemand, der zum ersten Mal etwas bei ihr probiert, verwundert feststellt,

dass Genießer bei ihren vegetarischen oder veganen Fleischersatzprodukten,etwa ihrem knusprigen Soja-Schnitzel, keine geschmacklichen Abstriche hinnehmen müssen. Dass das Hirschbachstüberl deshalb inzwischen nicht nur Einheimische zur gelegentlichen Schweinsbraten-Abstinenz bringt, sondern längst Gäste aus ganz Oberbayern und darüber hinaus lockt, dafür macht Stockner das Internet mit seinen Portalen verantwortlich. Da es für Veganer schwieriger sei, ein Lokal zu finden und sie, so Stockner, "natürlich auch etwas Gescheites essen wollen", informierten sich viele im Netz und stießen so auf das Lenggrieser Lokal. Natürlich spiele auch der Ausflugsort Lenggries dabei eine große Rolle. Sie höre immer wieder, dass sich Städter extra eine Wanderung im Isarwinkel aussuchten, um später noch im Hirschbachstüber absteigen zu können. Das bedeutet aber auch, dass während der Pandemie das "To go"-Geschäft weniger wahrgenommen wird, da der Kundenkreis weit verstreut ist. Stockner erzählt allerdings auch von Münchnern, die trotz des weiten Weges bei ihr etwas zu Essen abholten, mit dem Appell an sie, bloß nicht zu schließen.

Die Zahl derjenigen, die sich teilweise oder ganz vegetarisch oder vegan ernähren, steigt klar an. Trotzdem berichtet Stockner noch von Problemen: Sie bemängelt etwa die Infrastruktur für diese pflanzliche Form der Ernährung. So müsse sie immer noch weite Strecken fahren, um an ihre Produkte zu kommen. Auch gebe es gerade im ländlichen Bereich noch das verbreitete Klischee, dass fleischlose Ernährung eher etwas für Frauen denn für Männer sei. Doch hier setzt Stockner mit ihrem rustikalen Hirschbachstüberl, der Klassiker-Karte und dem Geschmack der Gerichte dagegen.

Fans des ungewöhnlichen Lokals müssen sich erst mal keine Sorgen machen: Da Stockner keine Pacht zahlen muss und momentan nur eine Köchin bei ihr angestellt ist, halten sich die laufenden Kosten in Grenzen. Die Schäden der Pandemie seien mehr mentaler als finanzieller Natur, sagt die Wirtin. Sie hofft, im Frühjahr wieder regulär öffnen und Gäste dann auch wieder im großen Garten bewirten zu können.

Mehr Infos, auch zur Speisekarte und dem derzeitigen Abhol-Service, unter www.hirschbachstueberl.de

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SZ vom 26.01.2021/van
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