Aktueller und stärker auf den Ort bezogen kann Kunst kaum sein. Monika Supé und Franziska Futterknecht haben auf dem ehemaligen Exerzierplatz der einstigen Nazi-Kaserne in Lenggries ein berühmtes lateinisches Sprichwort angebracht: Si vis pacem para bellum – „wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg“. Doch so einfach machen es die beiden Künstlerinnen sich und uns nicht. Sie haben die Phrase mit einem großen Fragezeichen versehen. Auf diese Weise treten sie mit dem Publikum in Dialog. Und ebendies ist das Thema der neuen Ausstellung der Künstlervereinigung Lenggries (KVL). Die 20. Kunstwoche steht unter dem Motto „Dialog“.
Die Installation von Supé und Futterknecht erstreckt sich über eine Fläche von 680 Quadratmetern, an der Besucherinnen und Besucher auf dem Weg in die Ausstellung in der ehemaligen Kantine der Kaserne vorbeikommen. Der Kunstgriff bei diesem Werk: Der Spruch ist nur von einem einzigen Standpunkt aus lesbar. Sobald man sich davon weg bewegt, verzerrt sich die rotbraune Schrift und zerbröselt schließlich in eine gestaltlose Ansammlung kaputter Dachziegel. Aus solchem Schutt haben die Schäftlarner Künstlerinnen ihr Werk der Anamorphose geschaffen. Dieser Begriff bezeichnet Bilder, die nur aus einem bestimmten Blickwinkel zu erkennen sind. Auch dies eine immanente Botschaft: Es ist alles eine Frage des Standpunkts.
Mit Geschichte und politischer Aktualität spielt auch Lisa Mayerhofer. Ihr Raum in der Lenggrieser Ausstellung ist die frühere Truppenküche. Und allein das Wort hat bei der Künstlerin Assoziationen und Ideen für eine Installation ausgelöst. Das Ambiente, ein riesiger gekachelter Raum mit Resten von Rohranschlüssen und grabartigen Vertiefungen, in denen wohl einst die Geräte standen, tat ein übriges. Mayerhofer sagt, ihr sei es darum gegangen, in Dialog mit dem Raum zu gehen. Bei einer Truppenküche denke sie an Ordnung und Disziplin.
Gleichzeitig sei ihr bewusst, dass diese Kaserne auf die NS-Zeit zurückgeht. Die kunstgerechte Antwort Mayerhofers, deren Spleen es ist, Gabeln zu Tausenden zu sammeln, ist eine akkurate Anordnung Hunderter Gabeln in Reih und Glied, umgeben von langen schmalen Fahnen, auf denen wiederum wie Embleme Gabeln abgebildet sind. Das Gesamtbild ruft bekannte Bilder hervor, und das sicher nicht nur, wenn man gerade erst den aktuellen Film „Führer und Verführer“ über die bildgewaltige Goebbelsche Propagandamaschinerie gesehen hat.
Aufmärsche seien Machtdemonstrationen, „die auch heute noch eingesetzt werden“, sagt die Künstlerin. Wie Supé und Futterknecht gehört sie heuer zu den zehn Gästen der KVL. Dies sind die anderen: das Apnoa-Kollektiv – Sebastian Drack und Tobias Feldmeier – aus Berlin mit einer Videoinstallation, die in herrlichem Farbspiel künstliche neue Schmetterlingsarten kreiert; Marina Herrmann, die mit modernen Foto-Mischtechniken hinter Glas poetische Impressionen erschafft; Pascale Schwarzenberger mit ebenso romantisch wirkenden zarten Zeichnungen auf Fotografien und mit Hinterglaszeichnungen; Bernard Verdet aus der Schweiz, der zeigt, dass Weidenruten nicht erst verarbeitet, sondern schon als reines Material Kunstwerke sind; und Fiona Peters mit einer interaktiven Lichtinstallation, die mit unterschiedlichen Wahrnehmungen spielt – womit die Künstlerin ein Schlaglicht auf sogenannte neurodivergente Menschen werfen möchte. Ein Kunstwerk, das sich nur im Betreten erfahren lässt. Unbedingt hineingehen!
Und dann sind da noch Charlotte Vögele aus Freising und Andreas Kuhnlein aus der Schweiz. Er ist weithin bekannt für seine Holzbildhauerei: zerklüftete Figuren, mit denen er nach seinen eigenen Worten sowohl Brutalität als auch Verletzbarkeit, Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit ausdrücken will. In Lenggries zeigt er eine Skulptur mit dem Titel „Heldentod“. Wir sähen es jeden Tag, so sagt er, „dass wieder einer vom Sockel heruntergeholt wird“. Inmitten einer Runde gebrochener Kreaturen steht eine Säule, die mit einer Fülle aktueller Schlagworte bemalt ist: „Black Lives Matter“, „LGBTQ“, „Legalize Cannabis“, „Never again“...
Kuhnlein hat einen Raum fast für sich allein – und diesen Platz braucht sein Kunstwerk auch. Vögele hingegen teilt sich ihren Saal mit dem KVL-Vorsitzenden Günter Unbescheid. Dass er hier Fotografien und Fotocollagen von Bäumen zeigt, hat die Freisinger Künstlerin sehr animiert, wie sie erzählt. Denn die gelernte Gärtnerin und Blumenkünstlerin verarbeitet in ihren Werken alles, was ein Baum so hergibt: kleine Zapfen, Rindenstückchen, Ästchen, Schwemmholz. Das Wachsen, Werden und Vergehen sei ihr Thema, sagt sie. Tatsächlich zeigen ihre Arbeiten, dass das Absterben in der Natur zu den schönsten Neugeburten in der Kunst führen kann. In einer fiepseligen Arbeit umwickelt sie die meist winzigen Naturprodukte mit Draht und verbindet sie zu scheinbar federleichten Schleiern und „Clouds“. All das schwebt in dem einstigen Kasernenraum vor dem „Lob des Waldes“, das Günter Unbescheid mit seinen ausdrucksstarken, oft mystischen Impressionen von Bäumen anstimmt. In diesem Zusammenwirken haben die beiden Künstler eine wunderbare Hommage an die Natur inszeniert.
Als Mitglieder der Künstlervereinigung stellen außerdem aus: Jürgen Dreistein, Sophie Frey, Ecki Kober, Veronika Partenhauser, Gabi Pöhlmann, Angelika Rauchenberger, Paul Schwarzenberger und Klas Stöver. Das Spektrum der Techniken reicht von Bleistiftzeichnung und Aquarell bis zu Holzarbeiten und einer Videoinstallation. Der „Dialog“ ist mal einer zwischen Stadt und Natur, mal zwischen Exponat und Betrachter, mal zwischen Mensch und KI.
Die aufgelassene Kaserne ist für die KVL im vierten Jahr bereits ein gewohnter Ausstellungsort. So starke und auch künstlerische Reflexionen der Geschichte des Ortes wie jene von Lisa Mayerhofer, Monika Supé und Franziska Futterknecht aber hat es zuvor noch nicht gegeben. Wer auf dem ehemaligen Exerzierplatz vor dem riesigen Reichsadler auf hohem Sockel, von dem lediglich das Hakenkreuz entfernt wurde, den Spruch zu Krieg und Frieden sieht, sollte nicht vergessen: Von dieser Kaserne aus brachen im Spätsommer 1939 Soldaten eines Gebirgsjäger-Regiments der Wehrmacht zum ersten Kriegseinsatz auf. Sie waren mitbeteiligt am Überfall auf Polen, am Beginn des Zweiten Weltkriegs also. Si vis pacem ...