Süddeutsche Zeitung

Lenggries/Holzkirchen:20 Zentimeter Ärger

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In der Debatte über eine mangelnde Barrierefreiheit bei den neuen Lint-Zügen der BOB erwägen Behindertenvertreter nun sogar eine Klage.

Von Florian Zick, Lenggries/Holzkirchen

Der Streit um die Barrierefreiheit der neuen Lint-Züge bei der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) spitzt sich zu. Grund ist ein Positionspapier der Bayerischen Regiobahn, zu der auch die BOB gehört. Darin verteidigt Geschäftsführer Fabian Amini vehement die Einführung der Züge. Die für den Eisenbahnverkehr maßgeblichen EU-Vorschriften zur Barrierefreiheit seien in den Lint-Zügen vollumfänglich erfüllt, so Amini. Im Vergleich zu den ausgemusterten Zügen vom Typ Integral und Talent seien die neuen Fahrzeuge auch für Rollstuhlfahrer sehr viel besser geeignet. Einziger Nachteil sei eben der etwas breitere Spalt zwischen dem Bahnsteig und den Zügen.

Aufgrund dieses Spalts können Rollstuhlfahrer nicht mehr selbständig in den Zug fahren. Bei den Lint-Zügen muss dafür nun der Schaffner eine Rampe auslegen. Die neuen Fahrzeuge seien damit "weder rollstuhlgerecht, noch barriere- oder diskriminierungsfrei", schimpft Anton Grafwallner, der Behindertenbeauftragte im Landkreis Miesbach. Laut dem Bayerischen Behindertengesetz müssten Verkehrsmittel aber auch für Menschen mit Behinderung so zugänglich und nutzbar sein, dass sie dafür nicht auf fremde Hilfe angewiesen sind, sagt Grafwallner. Bei den Lint-Zügen der BOB sei das aber sehr offensichtlich nicht der Fall. Grafwallner fordert deshalb, die Neufahrzeuge noch einmal auszutauschen.

Man sei im Zweifel auch durchaus bereit, Klage gegen die Einführung der Lint-Züge einzureichen, sagt Ralph Seifert, der Behindertenbeauftragte im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Die Lint-Züge seien eine Fehlinvestition und wegen der öffentlichen Förderung damit letztlich Steuerverschwendung, so Seifert. Mit den neuen Fahrzeugen sei jedenfalls komplett an den Bedürfnissen von Rollstuhlfahrern und Blinden, aber auch von Senioren und von Eltern mit Kinderwagen vorbeigeplant worden.

In ihrem Positionspapier greift die Bayerische Regiobahn viele Kritikpunkte an den Lint-Zügen auf. Der Rollstuhlbereich sei nicht mangelhaft gekennzeichnet, die Begleitersitze nicht schmäler als reguläre Sitze und die Schwelle vor der Toilette sei anders als dargestellt auch nicht zu hoch, heißt es darin. Bei den Kämpfern für eine bessere Barrierefreiheit kommt diese Reaktion nicht gut an. "Wir sind enttäuscht, dass Herr Amini versucht, unsere Forderungen als Falschaussage darzustellen", sagt der sehbehinderte Lenggrieser Gemeinderat Markus Ertl, der als stellvertretender Vorsitzender des Vereins "Ungehindert" kürzlich auch die BOB-Demo in Holzkirchen organisiert hat.

Kern der Debatte ist freilich immer noch der Spalt zwischen Bahnsteigkante und Zug. Es sei allgemein bekannt, heißt es in einer Protestnote, welche die Behindertenvertreter in der Region gemeinsam ans Verkehrsministerium geschickt haben, dass von den 28 Haltepunkten auf der Strecke der BOB bis auf die am Tegernsee und an der Donnersberger Brücke alle Bahnsteige eine Höhe von mindestens 76 Zentimetern hätten. Warum habe man also nicht einen Zug gekauft, der einen niveaugleichen Einstieg ermöglicht. Die alten Integral-Züge seien an dem Punkt schließlich auch 76 Zentimeter hoch gewesen. Bei den Lint-Zügen seien es nun lediglich 55 Zentimeter.

BOB-Geschäftsführer Fabian Amini glaubt trotzdem, dass die Lint-Züge bis zur Elektrifizierung der Strecke die beste Lösung sind. Nach den vielen Zugausfällen und Defekten habe man gar nicht anders gekonnt als die unzuverlässigen Altfahrzeuge auszutauschen, sagt er. Im Winter hätten die Heizungen nicht funktioniert, im Sommer seien die Klimaanlagen ausgefallen und die Toiletten seien auch oft verstopft gewesen - das habe man den Fahrgästen nicht länger zumuten können. Und wegen der gegebenen Dringlichkeit habe man sich eben für einen Zug-Typ entscheiden müssen, für den bereits eine Zulassung besteht. Den Nachteil, dass für Rollstuhlfahrer nun eine Rampe zum Einstieg nötig ist, habe man mit einem verbesserten Service kompensiert. Die Faltrampe werde schließlich immer schnell und zuverlässig ausgelegt.

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SZ vom 28.09.2020
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