Süddeutsche Zeitung

Open Air in Lenggries:Bass am Berg

An der Talstation des Skigebiets Brauneck läuft am Samstag Technomusik. Besuch auf einem Festival, das hier nicht so recht hinpassen will.

Von Tobias Bug

Der Bass wummert, der Boden vibriert, über der Bühne thront der Berg. Einsame Skifahrer schlängeln sich über die schmalen weißen Pisten am Brauneck, an der Talstation steht eine tanzende Menschenmenge. "Seid ihr noch wach, Lenggries?", ruft ihnen der DJ, blondgefärbte Haare, blaue Jacke, von der Bühne zu und spielt seinen "neuen Song". Der beginnt melodisch - und endet in einer rauen Geschwindigkeit, die die Menge in Bewegung versetzt: teils hüpfend, teils auf der Stelle rennend.

Das Partyvolk vor der Bergkulisse wirkt fehl am Platz. Ab und zu mischen sich Menschen in Skiausrüstung unter die Feiernden: Après Ski mal anders. Das Techno-Event "Electric Winter Open Air" am Samstag ist das erste Festival in Bayern in diesem Jahr. Knapp 2000 Menschen sind gekommen, um "den guten Spirit in den Boden zu tanzen", wie einer der Headliner, der Berliner DJ und Loveparade-Erfinder Dr. Motte, zuvor angekündigt hatte. DJs wie er bringen an diesem Tag den Berliner Beat aufs bayerische Land.

"Alle sind willkommen. Lenggries ist Vorreiter für alles, was gute Laune macht." Jakob, ein junger Mann mit Hut, steht mit seinen Freunden in der Menge, zwischen ihnen eine rote Bierkiste. Sein Kumpel Simon sieht das anders: "Tölz ist doch tot mittlerweile. Vor 20 Jahren sind die Leute noch aus München nach Tölz gekommen, um zu feiern", hätten ihm seine Eltern erzählt. Heute ist aber auf jeden Fall was los, die Gäste sind teils von weit her angereist, um hier zu tanzen.

Aus Stuttgart ist Florian gekommen, er steht etwas abseits der Menge, müsse "noch warm werden". Eigentlich sei er zum Skifahren gekommen, aber auf Facebook auf das Event aufmerksam geworden. Er freut sich schon auf Dr. Motte und Marika Rossa. Extra für das Festival angereist sind auch Anna und Bonnie - aus Karlsruhe. Sie finden, dass die große Techno-Party gut herpasse - und haben Spaß. Hüpfend laufen sie in Richtung Tanzfläche.

Rechts der Bühne, hinter Bauzäunen, sind mehrere Essensstände und Bars aufgebaut. An einem der Biertische sitzt eine Gruppe junger Menschen und grölt. Am Bierstand steht Lukas. Er ist froh, dass er endlich wieder feiern kann. "Ich bin 21", sagt der junge Mann aus Lenggries, "Feiern gehört für mich einfach dazu." In den letzten zwei Jahren sei man ja zu Hause "versumpft", habe kaum soziale Kontakte gehabt. Jetzt könne er endlich wieder unter Leuten sein. Im Gedränge am Bierstand und auf der Tanzfläche fühle er sich nicht unwohl - trotz Rekordinfektionszahlen.

Dicht an dicht stehen sie vor der Bühne, viele mit Maske, manche ohne. Auf dem ganzen Gelände gilt Maskenpflicht, eigentlich sollte es zwecks Infektionsschutz sogar ein Alkoholverbot geben. Das wurde erst zwei Stunden vor Beginn des Festivals gekippt. Die Menge vor der Bühne wippt zum Beat, plötzlich stoppt die Musik, und die Menschen stehen still. "Die Musik bleibt aus, bis alle ihre Masken aufgezogen haben", ruft ein Mann auf der Bühne ins Mikrofon. Widerwillig ziehen die Gäste ihren Mund-Nasenschutz auf, einige auch nicht, sie rauchen und trinken. Der Mann auf der Bühne schreit noch ein paarmal ins Mikro, sie sollten doch froh sein, dass sie überhaupt wieder tanzen könnten und mögen sich doch bitte an die Regeln halten. Sonst sei hier Schluss.

Dora kann die Strenge nicht nachvollziehen. Die 30-Jährige in der bunten Jacke steht mit ihren Freundinnen neben dem Technikzelt hinter der Menge. "Wir sind doch alle geimpft", sagt sie, alle Gäste mussten am Eingang einen 2-G-Plus-Nachweis erbringen. "Trotzdem müssen wir Masken tragen" - zumal an der frischen Luft. In ihrer Heimat Ungarn und Ländern wie Spanien seien die Regeln lockerer. Die Gesundheit der Menschen sei ihr natürlich wichtig, schließlich arbeitet sie selbst in einer Arztpraxis, aber die Maskenpflicht findet sie überzogen. Trotzdem ist sie 50 Kilometer aus Rosenheim angereist, um das Festival "vor cooler Kulisse" zu besuchen.

Geplant war auch eine Indoor-Bühne, wo die Menschen unter einem Dach tanzen hätten sollen: etwas wärmer als unter dem freien, bewölkten Himmel bei knapp acht Grad. Doch die Indoor-Tanzfläche ist auch der Pandemie zum Opfer gefallen. "Hätte ich das gewusst, hätte ich mich wärmer angezogen", klagt Conni, eine junge Frau aus München. Sie trägt eine dünne Jacke in lila und ist enttäuscht von der Kommunikation des Veranstalters.

Christian Junge ist mitverantwortlich für die Organisation. Der kräftige Mann mit den kurzen Haaren steht neben einem großen Kühlwagen am Bierstand. Er arbeitet für den Veranstalter, die Euphoria UG. "Wir waren genauso betroffen von den ständig geänderten Regeln", daher die widersprüchliche Kommunikation an die Gäste. Das Festival steht noch im Zeichen der Pandemie: Wegen Corona-Erkrankungen hätten 300 bis 500 Gäste kurzfristig abgesagt. Trotzdem sagt Junge: "Die Stimmung hier ist gut, die Menschen trinken viel. Man merkt, dass sie eine lange Zeit der Zurückhaltung hinter sich haben."

Die Technomusik schwillt an, wird immer schneller, dann eine kurze Pause, der "Drop", und aus den Boxen schallt es noch lauter. Vor der Bühne reißen die Menschen ihre Hände in die Höhe, grölen und johlen. Über dem Brauneck färbt sich der Himmel langsam orange, die Dämmerung erzeugt eine besondere Atmosphäre. Der Nebel aus der Nebelmaschine, durchzogen von blauen Leuchtstrahlen über der Menge und die pulsierende Musik mischen sich zu einer Kulisse, die nicht so recht hierher passen will, vor die Berghäuser an der Talstation, die Skipiste und dem Gipfelkreuz auf dem Brauneck.

Es ist dunkel geworden. Passend dazu ist die Musik nun etwas melodischer, der rasche, harte Beat ist einem langsameren, gefühlvolleren Sound gewichen. Auf der Bühne wippt DJane Anna Reusch stoisch zu ihrer Musik. Später übernimmt Dr. Motte die Turntables. Am Abend, nachdem er seinen letzten Song gespielt hat, kehrt Stille ein am Brauneck. Die Berge haben wieder ihre Ruhe, der Bass, der den ganzen Tag über bis nach Lenggries zu hören war, endet, das Wummern verstummt.

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