Es ist ein sonniger, wolkenloser Tag, für den zweiten Weihnachtsfeiertag zu warm. Nur dort, wo die Sonnenstrahlen nicht hingelangen, ist der Boden mit einer leichten Frostdecke überzogen. Ein kühler Wind weht den Hunderten Ausflüglern den typischen, leicht modrig-frischen Seegeruch entgegen, die Sonne lässt das restliche Wasser des Sylvensteinsees hellblau bis grünlich glitzern.
Für Wartungsarbeiten am Damm wird das Wasser immer mal wieder aus dem See gelassen, zuletzt war das 1999. Damals wurde der Verschluss des Treibwasserstollens erneuert, jetzt ist der des Grundablasses dran. Die Bauarbeiten laufen noch, je nach Wetter bis Februar oder sogar März, wie Bauingenieur Peter Kratz berichtet, der die Leitung der Baustelle hat. Es stehen noch Betonierarbeiten an, denn es muss auch eine Vorrichtung angebracht werden, mit der der Verschluss, das Revisionsschütz, hochgezogen werden kann. Das 21 Tonnen schwere Schütz sieht von Weitem aus wie ein Garagentor.
Stausee:Sylvensteinspeicher: Der Tiefststand ist erreicht
Gut 15 Meter unter dem normalen Pegel: Die Fotoserie zeigt, wie der Stausee nun fast leer gelaufen ist.
Überrascht vom Massenandrang
Die Baustelle interessiert die vielen Besucher aber weniger. Die meisten sind gekommen, um die Grundmauern des Dorfes Fall zu sehen, die aufgetaucht sind, als das Wasser abfloss. Der Fachbereichsleiter Talsperren beim Weilheimer Wasserwirtschaftsamt, Tobias Lang, ist ein bisschen überrascht vom Massenandrang. 1999 seien viel weniger Besucher da gewesen, sagt er. Das derzeitige große Interesse führt er auf die "Informationsgeschwindigkeit" zurück: Die vielen Berichte in der Presse und vor allem den elektronischen Medien hätten die Leute auf das gar nicht so seltene Ereignis aufmerksam gemacht. "Wir haben gar nichts dagegen", sagt Lang. Fischer und Touristiker seien allerdings von der Absenkung nicht so begeistert.
Die Schaulustigen kommen sogar aus den Niederlanden
Von jung bist alt, allein oder mit dem Partner und den Kindern: Das versunkene Dorf scheint Menschen jeden Alters zu faszinieren. Die Schaulustigen kommen aus der näheren Umgebung, aber auch aus München und Augsburg, aus Zwickau und sogar aus den Niederlanden. Alle Parkplätze sind voll, auch an den Straßenrändern parken Autos. Die Brücke, die über den See führt, ist voller Menschen. Sie stehen dicht an dicht am Geländer, machen Fotos und diskutieren über Alt-Fall.
Wer keine Angst hat, dreckig zu werden, geht auf dem Grund des Sees auf Entdeckungstour. Der Weg hinunter ist ein wenig beschwerlich, die Stufen am Rand der Brücke sind rutschig, der Boden klebrig. Mit roter Farbe sind die Wasserstände an die Betonwand gesprüht. Die meisten Besucher haben Wanderschuhe oder Gummistiefel dabei. Doch selbst die helfen nicht. Bis zu den Knien versinkt man in dem sandigen Boden, viele müssen ihre Gummistiefel im Schlamm zurücklassen und auf Socken zurückgehen. Manch einer fällt auch hin. Ein Bild, auf das viele nur warten.
Es gleicht einem kleinen Abenteuer, ein Gelände zu erkunden, das so lange unter Wasser war. Kinder haben den größten Spaß. Sie klettern auf den Mauern oder auf den großen, weißen Baumstümpfen, deren Wurzeln wie Tentakeln aussehen, und wollen mehr über das Dorf erfahren. An einem der hinteren Gebäude kann man sogar einen Fensterrahmen erkennen.
"Da ist ja gar kein Turm"
Die meisten haben vom niedrigen Wasserstand aus der Zeitung erfahren und wollen das sagenumwobene Fall, auch bekannt durch Ludwig Ganghofers Roman "Der Jäger von Fall", selbst sehen. Nicht wenige sind wegen des berühmten Kirchturms da: "Da ist ja gar kein Turm", stellen sie enttäuscht fest. Diejenigen, die das schon wussten, machen Beweisfotos für ihre Freunde, die fest an einen Kirchturm glauben.
Bevor das Tal 1959 geflutet wurde, hat man die Gebäude abgetragen, auch die Kirche. Bäume wurden samt Wurzelstöcken entfernt, der Humus abgeschoben. "Weil man damals alles Baumaterial brauchen konnte", sagt Lang. Aber auch, damit die technischen Anlagen nicht beschädigt oder verstopft wurden und sich im See keine Faulgase bilden. Doch ob mit oder ohne Turm, begeistert sind alle Besucher, die eine Gelegenheit genutzt haben, die so schnell nicht wiederkommt. "Alle fünf Jahre müssen wir die Technik kontrollieren", erklärt Lang. Mit einem Tauchboot, wie man es am Walchensee einsetze, gehe das leider nicht. Dazu sei das Wasser nicht klar genug.