Leben mit Covid-19 im Landkreis:Die Angst vor dem Absturz

Conny Broenner vom Concept Store

Conny Broenners Ladengeschäft ist seit Mittwoch geschlossen.

(Foto: Viktoria Spinrad/oh)

Home Office, Kurzarbeit, Notkredite: Wie sich verunsicherte Einzelhändler und große Unternehmen in der Region für die nächsten Wochen rüsten.

Von Viktoria Spinrad und Felicitas Amler

Conny Broenner hat schon alles recherchiert. Kurzarbeit, Steuerstundungen, Antrag auf Soforthilfe. "Rechnungen, Miete, Gehalt, alles läuft ja weiter", sagt sie. Die Inhaberin des Wolfratshauser Concept Stores steht am Mittwoch zwischen Uhren und Oberteilen in ihrem Ladengeschäft am Obermarkt und gestikuliert. Es ist der erste Tag der bayernweiten Ladensperre. Menschen wie sie müssen nun schauen, wo sie bleiben. Die Tür ist abgeschlossen, hinten ist nur noch ihre Mitarbeiterin, die Uhren etikettiert. Broenner betont, dass sie ja voll hinter den Maßnahmen stehe - "aber wenn es zwei, drei Monate dauert, dann wird es für mich existenziell", sagt sie.

An Menschen wie Broenner kann man festmachen, wie groß die Verunsicherung dieser Tage unter Geschäftstreibenden ist. Bis zum 30. März sollen sie wegen der Corona-Epidemie schließen - mindestens, muss man dazu sagen, denn wer weiß schon, was sich in den nächsten Tagen noch alles ändert. Gerade die kleineren Einzelhändler trifft das hart. "Sie sehen mit bangen Augen darauf, was gerade passiert", sagt Volker Reeh, Kreisvorsitzender des Bayerischen Handelsverbands.

Gerade Einzelhändler schauen dieser Tage in die Röhre

Geschäftsleute wie der Fischhändler Reeh zählen zu den Grundversorgern und dürfen weiter verkaufen. Dagegen haben andere, die sich strukturell bedingt ohnehin schwerer tun, das Nachsehen. Zum Beispiel Frederik Holthaus, Geschäftsführer des Isar-Kaufhauses in Geretsried.

Während die Mitarbeiter daheim sind, sitzt der er am Mittwoch im Büro, kümmert sich um die Post und Überweisungen. "Ansonsten ist jetzt erst mal Ruhe angesagt", sagt er zerknirscht. Bis zum Monatsende könnten seine 23 Mitarbeiter noch Überstunden und Resturlaube nehmen, von April an wolle er dann Kurzarbeit anmelden. Noch sei alles im Rahmen, aber es hänge eben davon ab, wie lange das Ganze jetzt andauere. "Wir haben null Umsatz", betont Holthaus, fast, als könne er es selbst nicht ganz glauben.

Es ist eine Situation, die auch einer Frau acht Kilometer nordwestlich von Geretsried Kopfzerbrechen bereitet. Unter anderen Umständen hätte sich Gudrun Heigl über so viel Freizeit gefreut. Die Besitzerin des Kinocenters Wolfratshausen kennt seit Jahrzehnten keine längeren Mußephasen. Jetzt hat sie eine Zwangspause eingelegt. Wie lange die dauern wird - eben dies sei ja das Problem, sagt die 77-Jährige: "Weil man so im Ungewissen ist."

Heigl klagt nicht über die zu erwartenden Einnahmenverluste. Es sei jetzt geradezu ein Vorteil, dass das Kino im Familienbetrieb läuft; neben der Seniorchefin arbeitet deren Tochter Cornelia John mit. Wenigstens müsse man sich nicht um Angestellte sorgen. Und das Haus gehöre auch der Familie. Die Anweisung, das Kino von Dienstag an dicht zu machen, habe der Hauptverband Deutscher Filmtheater erteilt, sagt Heigl. Aber in den Tagen davor seien ohnehin kaum noch Besucher gekommen. Und sogar die Filme seien rar geworden: "Die haben alle ihre Startkopien zurückgezogen. Den neuen James Bond genauso wie Mulan. Das waren die Filme, die man eigentlich gebraucht hätte."Die Seniorchefin sagt, sie habe Dreiviertel ihres Lebens in dem Kino gearbeitet. Jetzt ertappe sie sich dabei, dass sie aufspringen wolle, um aufzuschließen: "Die innere Uhr tickt."

Leben mit Covid-19 im Landkreis: Auch Frederik Holthaus musste sein Isar-Kaufhaus in Geretsried schließen.

Auch Frederik Holthaus musste sein Isar-Kaufhaus in Geretsried schließen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Sie tickt auch bei den großen Firmen im Landkreis - wenn auch eher in umgekehrter Richtung: Dort sind die drastischen Einschnitte, wie sie nun Geschäftstreibende abbekommen, noch eine diffuse Angst. Es gilt dieser Tage, den Betrieb soweit wie möglich aufrecht erhalten. So läuft die Produktion beim größten Arbeitgeber in der Loisachstadt, dem Dichtungshersteller Eagle Burgmann, zurzeit normal weiter.

Um das Zusammentreffen der Mitarbeiter zu entzerren, sei aber ein Zweischichtbetrieb vorgesehen, erklärt Sprecherin Ulrike Ballnath. Diejenigen, die nicht in der Produktion sind, seien angewiesen worden, im Home Office zu arbeiten. Reisen in Risikoländer und von dort hierher seien "natürlich untersagt", ebenso Zusammenkünfte mit mehreren Teilnehmern. Viele Meetings würden nun ohnehin online abgehalten. Kurzarbeit und staatliche Hilfen seien aktuell kein Thema. "Eagle Burgmann ist noch gut ausgelastet", so Ballnath.

Auch in der Produktionshalle von Weber Schraubautomaten werden weiterhin Maschinen gebaut. "Noch fertigen und liefern wir normal", sagt Sprecher Michael Steidl - in Zeiten wie diesen profitiere die Wolfratshauser Firma von den Zulieferern im Umland. Home Office, Video-Konferenzen und erhöhte Abstände sind auch hier Thema. So hat man einzelne Mitarbeiter, die im Corona-Hotspot Südtirol in Urlaub waren, zum Arbeiten nach Hause geschickt. Um Gleitzeitkonten auszuweiten, liefen Verhandlungen mit dem Betriebsrat. Und im Alltag scheinen die Mitarbeiter wie vielerorts aufmerksamer zu werden: "Man merkt das am Kaffeeautomaten - jeder ist ein bisschen angespannt und vorsichtig", so Steidl.

Weniger Co₂, mehr Videoschalte: Diese Zeit könnte das Arbeiten auch nachhaltig modernisieren

Das Beispiel der Firma zeigt, dass man die Krise auch als Lehrstück für das Arbeiten in der Zeit nach Corona nehmen kann. Da viele Termine nun über Skype stattfinden, seien die Außendienst-Mitarbeiter viel weniger auf der Straße unterwegs. "Vielleicht schaffen wir es ja auch in Zukunft, statt 60 000 Kilometer nur 40 000 zu fahren", sagt Steidl. Nach vorne denkt auch Conny Broenner vom Wolfratshauser Concept Store. Sie plant, Schmuck und Kleidung nun auf Anfrage zu fotografieren und per Post zu verschicken. Mit dem Antrag auf Soforthilfe will sie noch warten.

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