Süddeutsche Zeitung

Leben im Alter:Helfende Hände aus 16 Nationen

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Das evangelische Altenheim in Ebenhausen trotzt dem Fachkräftemangel mit internationaler Unterstützung - und bildet erfolgreich Pflegerinnen aus Bosnien, Tadschikistan und Madagaskar aus.

Von Nora Schumann, Schäftlarn

Idyllisch im Grünen gelegen bietet das evangelische Alten- und Pflegeheim Ebenhausen rund 170 Senioren ein Zuhause. 115 Beschäftigte arbeiten in der Pflegeabteilung des Hauses. Das Besondere: Während überall im Landkreis soziale Einrichtungen händeringend Nachwuchs suchen, hat Ebenhausen heuer gleich zehn neue Auszubildende als Pflegekräfte unter Vertrag genommen. Zwei von ihnen stammen aus Deutschland, die anderen kommen aus Bosnien, Nepal, Madagaskar, Tadschikistan und dem Kosovo. Das Heim in Ebenhausen ist ein buntes Haus, was nach Meinung des Einrichtungsleiters Wilfried Bogner ein Vorteil ist: "Deutschland muss sich klar werden, dass wir faktisch ein Einwanderungsland sind und sein sollten." Er sei erstaunt darüber, dass es immer noch Menschen gebe, die Fremdes ablehnen. "Die werden die Quittung noch bekommen", ist sich Bogner sicher.

13 000 neue Stellen in der Pflege hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) versprochen - Wilfried Bogner fragt sich, woher die Arbeitskräfte für diese Stellen kommen sollen. Die Heimleitung in Ebenhausen hat beschlossen, die Sache selbst in die Hand zunehmen. Das Ziel: ein Ausbildungsangebot für junge Menschen bereitzustellen und dieses möglichst attraktiv zu gestalten. So gibt es beispielsweise eine Schülerstation, auf der die Auszubildenden gemeinsam lernen, und ein Mitarbeiterhaus mit günstigen Einzimmerapartements für die Mitarbeiter.

Miorasoa Hariniony findet das "ganz praktisch - die Wohnung hier, die Arbeit da". Die 25-Jährige stammt aus Madagaskar und studierte dort Germanistik, bevor sie als Au-Pair nach Deutschland kam. Sie kümmerte sich um die Oma ihrer Gastfamilie und sah sich nach einer Möglichkeit zur Weiterbildung im sozialen Bereich um. In Ebenhausen absolvierte sie zunächst ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), bevor sie sich für die Ausbildung bewarb. Am Anfang sei es schwer gewesen, sagt sie. "Die Oma der Familie musste ich nur unterstützen, nicht waschen", erklärt sie eine der Herausforderungen ihres neuen Arbeitsalltags. Die junge Frau ist eine von vier Auszubildenden, die sich an diesem Vormittag zum Gespräch getroffen haben. So einheitlich die blaue Kittelfarbe der vier sein mag, so unterschiedlich sind die Nationalitäten der Frauen. Bosnien, Madagaskar, Tadschikistan, Nepal - mehr als 6500 Kilometer liegen zum Teil zwischen alter und neuer Heimat. Mit der neuen Stelle zeigen sie sich einstimmig zufrieden, als "sehr schön" bezeichnet Hariniony ihre Arbeitsumstände im Team.

Für Wilfried Bogner ist diese Zufriedenheit nicht unbedingt eine Überraschung. "Wir befinden uns in einem Jammertal", sagt der Heimleiter. Vom Grundsatz sei die Pflege ein guter Beruf und die Gehälter je nach Tarifvertrag auch nicht so schlecht wie ihr Ruf. Wenn aber nur negativ über die Branche berichtet werde, entstehe ein falsches Bild, sagt Bogner. Das aber scheint zumindest bei jungen Menschen aus dem Ausland nicht verbreitet zu sein. Dilrabo Pulotova kam nach einem Deutsch- und Englischstudium nach Deutschland und arbeitete ebenfalls zunächst als Au-Pair. Die 22-Jährige Tadschikin suchte über eine Beratungsorganisation nach Ausbildungsmöglichkeiten. "Mit Computern kann ich nicht gut arbeiten", sagt sie. "Aber mit Senioren oder Kindern."

Blieben noch die Probleme mit Sprachbarrieren und Verständigung im Alltag: Um diese Herausforderung kümmert sich Barbara Sauer. Die Pflegedienstleiterin prüft die Anwärterinnen der Ausbildung mithilfe eines standardisierten Deutschtests. Reichen die Sprachkenntnisse nicht aus, bietet sie den Bewerbern ein FSJ im Heim an, um die Sprache besser zu erlernen. Auf diesem Weg ist auch Amra Omerovic nach Ebenhausen gekommen. "In Bosnien wohnen wir alle zusammen in einem Haus - Kinder, Eltern, Oma und Opa", sagt die 20-Jährige. Deshalb wisse sie aus eigener Erfahrung schon gut, wie man sich um Senioren kümmern müsse.

Und wie funktioniert das Zusammentreffen der unterschiedlichen Kulturen? Die alten Leute seien lieb, nett und interessiert, geben die jungen Frauen zu Protokoll. "Niemand sagt zu mir ,Ich will nicht, dass du mich betreust als Ausländer'", sagt Pulotova. Wilfried Bogner will nicht leugnen, dass es in einzelnen Fällen Vorbehalte gibt, allerdings gebe es die auch in anderen Situationen, etwa wenn ältere Herren sich nur von "Damen" pflegen ließen und sich männlichen Pflegekräften verweigerten. "Wir thematisieren das aber schon im Aufnahmegespräch", erklärt Bogner. Wenn die Angehörigen dann Bedenken hätten, weil Menschen aus 16 Nationen im Haus arbeiten, hätten die Interessenten immer noch die Möglichkeit, sich nach einem anderen Heim umzusehen.

Um Missverständnissen innerhalb des multikulturellen Teams vorzubeugen, gibt es in Ebenhausen seit Kurzem auch eine Projektstelle zur Integrationsbegleitung. Laut dem Einrichtungsleiter reiche es eben nicht, nur die Neuankömmlinge einzuweisen. Auch die heimischen Fachkräfte könnten ihr interkulturelles Bewusstsein erweitern. "Wir hatten mal zwei vietnamesische Auszubildende", sagt Bogner. In Vietnam stimme man dem Gegenüber häufig aus Höflichkeit und Respekt zu, erzählt er. Das könne zu Missverständnissen führen, wenn der Betreuer frage "Hast du es verstanden?" und der Auszubildende nur aus Höflichkeit nicke.

Die angehenden Pflegerinnen haben auch ihre Erfahrungen mit Kulturunterschieden gemacht und in einem sind sich alle einig: Die deutsche Pünktlichkeit ist sehr deutsch. "Ich glaube, Deutsche schätzen Zeit", sagt Dilrabo Pulotova. In Deutschland müsse man viel mehr planen, sind sich die Frauen einig. "Direkter Augenkontakt ist in Tadschikistan unhöflich", erklärt die 22-Jährige weiter, auch eine lautstarke Begrüßung sei unüblich. "Aber hier sage ich erst mal laut Hallo", erklärt Pulotova und lacht.

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SZ vom 11.09.2019
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