Leben im Alter:Ein Heim zieht um

Der Lindenhof in Grafenaschau ließ sich nicht mehr vernünftig umbauen. Deswegen ist das Demenzzentrum der Inneren Mission nach Schlehdorf abgewandert. Ein für die Bewohner nicht ganz einfacher Neubeginn.

Von Petra Schneider

Senioren-Wohn- und Pflegeheim

Die Zimmer im neuen Lindenhof in Schlehdorf sind modern eingerichtet. Eigentlich kann man sich hier schnell wohlfühlen. Für Demenzpatienten ist eine solche Umgewöhnung aber immer schwierig. Mitunter haben räumliche Veränderung sogar fatale Folgen.

(Foto: Manfred_Neubauer)

Noch sind die Handwerker zugange, die Wände nackt, die Beete des "beschützenden Gartens" müssen erst angelegt werden. Im Büro von Leiter Jörg Kahl klingelt pausenlos das Telefon: Handwerker, Pflegekräfte, Leute, die für einen Angehörigen einen Pflegeplatz suchen. Am Freitag wird der Neubau des Pflegeheims an der Kochler Straße offiziell eingeweiht. 41 Bewohner leben bereits dort. Sie sind Ende Mai vom "Lindenhof" in Grafenaschau ins rund 20 Kilometer entfernte Schlehdorf umgezogen.

Weil im Lindenhof, einem Bauernhof aus dem 16. Jahrhundert, moderne pflegerische und brandschutztechnische Anforderungen nicht mehr erfüllt werden konnten, hat die Innere Mission München ihr ältestes Haus verlassen. Auch das zuvor privat betriebene Pflegeheim in Schlehdorf konnte die vorgeschriebenen Standards nicht mehr erfüllen. Den Neubau an gleicher Stelle stemmte der Zweckverband Schlehdorf-Großweil, als Betreiber entschied man sich für die "Hilfe im Alter", eine 100-prozentige Tochter der Inneren Mission München.

Der Umzug von 40 Bewohnern mit fortgeschrittener Demenz sei eine Herausforderung gewesen, sagt Kahl. Denn räumliche Veränderungen könnten für Menschen mit Demenz, die sich kaum oder gar nicht mehr orientieren können, fatale Folgen haben, "bis hin zu einem akuten Hirnversagen". Zwei Ärzte standen bereit, passiert sei zum Glück nichts. "Der Umzug ist überraschend gut gegangen", so Kahl.

Auch alle 43 Mitarbeiter sind mit umgezogen. Im Haus ist es ruhig. In einem Kreis sitzen Bewohner um eine Fachkraft und versuchen, sich an Worte zu erinnern: "schwitzen" und "frieren", "spannend" und "langweilig" - aktivierende Angebote wie "Erinnerungsarbeit" oder Singen gehören zum Programm der Einrichtung. Noch fehlt dem Haus die Seele, aber beim Durchgang zeigt sich: Der Neubau mit Blick auf Herzogstand und Kochelsee ist hell, modern und auf dem neuesten technischen Stand. Große Flure, Essbereiche mit Café-Flair, dunkler Holzboden und ein "Kachelofen" samt Ofenbankerl, der nicht von einem offenen Feuer, sondern von unsichtbar verlegten Heizungsrohren gespeist wird. Aufenthaltsräume mit Tapeten, Sofa und Fernseher, die eine behagliche Wohnzimmeratmosphäre ausstrahlen. Auch ein Aquarium steht da, in dem auf Knopfdruck virtuelle Fische auftauchen.

Senioren-Wohn- und Pflegeheim

Trockenprobe: Lindenhof-Chef Jörg Kahl testet einen der in den neuen Bädern angebrachten Duschsitze.

(Foto: Manfred_Neubauer)

Wenn sich die Bewohner in der neuen Umgebung eingelebt haben, soll die Belegung nach und nach auf maximal 52 erhöht werden. Es gibt überwiegend Einzelzimmer, auch einige Doppelzimmer etwa für Ehepaare, alle mit eigenem Bad und barrierefreier Dusche. Auch ein Pflegebad ist vorhanden, das ab 40 Patienten vorgeschrieben ist. Die Flure sind mit Fliesen in unterschiedlichen Farben gestaltet, um die Orientierung zu erleichtern. Sie sind so geräumig, dass sich die Bewohner mit Rollator oder einem "Walker", auf den man sich setzen kann, wenn die Kraft ausgeht, fortbewegen können. Denn Bewegung, gehen und immerzu gehen, suchen nach vertrauten Menschen, nach Orten - das ist ein Symptom von Demenz. Diese "Weglauftendenz" kann dazu führen, dass die Betroffenen sich selbst gefährden, stürzen oder sich verirren.

Das Pflegeheim der Inneren Mission ist eine "beschützende Einrichtung", die dem Konzept des "Werdenfelser Wegs" folgt. "Die Menschen sollen sich möglichst frei bewegen können" - ohne sich zu gefährden, erklärt Kahl. Das Ziel sei es, auf freiheitsentziehende Maßnahmen weitestmöglich zu verzichten. Fixierungen seien in Deutschland inzwischen die "ganz große Ausnahme".

Im neuen Lindenhof in Schlehdorf gibt es eine teiloffene Struktur: Im Erdgeschoss sind die Türen geschlossen, die hoch dementen Bewohner können die Einrichtung nicht alleine verlassen. In den beiden oberen Stockwerken, in denen auch Menschen wohnen, die sich noch ausreichend orientieren können, werden Sicherheit und Freiheit individuell und mit modernster Technik geregelt: Im Boden sind Responder eingebaut. Die Türen schließen sich, wenn sich Menschen nähern, die einen entsprechenden Sender tragen, weil sie sich nicht mehr orientieren können. So ist eine Mischbelegung möglich; denn der neue Lindenhof ist eine Pflegeeinrichtung für Menschen ab Pflegestufe zwei und steht vorrangig Senioren aus Großweil und Schlehdorf offen.

Ursprünglich war die Eröffnung des Neubaus für Ende 2017 geplant. Vor allem archäologische Ausgrabungen, bei denen Reste eines zweiten Klosters zutage kamen, verzögerten und verteuerten die Bauarbeiten um rund 350 000 Euro. Insgesamt 8,7 Millionen Euro hat der Zweckverband Schlehdorf-Großweil in das Pflegeheim investiert. Die Nachfrage sei enorm, sagt Kahl. Der 49-jährige Diplompflegewirt, der mit seiner Familie in München wohnt, ist seit 2007 bei der Inneren Mission angestellt, die auch den "Seehof" in Kochel betreibt. Seine Arbeitszeit teilt sich Kahl zwischen den beiden Einrichtungen auf.

Der Seehof ist keine beschützende Einrichtung, sondern ein klassisches Pflegeheim. Auch dort wird umgebaut, bei laufendem Betrieb. Und auch in Kochel verzögern sich die Arbeiten, weil das sehr alte Gebäude "immer wieder Überraschungen bietet". 74 Plätze stehen nach dem Umbau im Seehof zur Verfügung, Synergien mit dem Lindenhof sollen genutzt werden.

Dass das Schlehdorf-Haus nun fast fertig und der Umzug aus Grafenaschau geschafft ist, freut Kahl. Denn in dem neuen Haus sei die Arbeit für das Pflegepersonal einfacher. Zudem gebe es weniger Konflikte zwischen den Bewohnern, die sich besser zurückziehen könnten. "Wir sind alle sehr begeistert", sagt Kahl. Das sei wichtig. "Sie können das tollste Gebäude hinstellen." Aber erst die Mitarbeiter machten das Haus für die Bewohner zu einer Heimat.

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