Süddeutsche Zeitung

Fremdenverkehr:Akzeptanzfrage im Ausflugsziel

Eine Umfrage hat ergeben, dass die meisten Lenggrieser dem Tourismus eine große wirtschaftliche Bedeutung und viele Vorteile zuschreiben. Mehr als die Hälfte aber hält die Region für "sehr überlaufen".

Von Petra Schneider, Lenggries

Für die Brauneckgemeinde Lenggries ist der Tourismus ein zentrales Standbein. Winters wie sommers ist hier Saison, Lenggries ist bei Urlaubern und Tagesausflüglern beliebt. Während der Corona-Jahre ist der Druck noch gestiegen - mit der Folge, "dass die Akzeptanz des Tourismus durch die Tagesausflügler abgenommen hat", wie Tourismus-Leiterin Maria Bader am Montag im Gemeinderat erklärte. Wie die Stimmung im Ort tatsächlich ist, welche Bedeutung die Einheimischen dem Tourismus zuschreiben und welche Probleme sie sehen wurde im Oktober in einer Online-Befragung erhoben, die Touristinfo, Tourismusverein, Werbegemeinschaft und die Freizeitarena Brauneck zusammen mit dem Beratungsunternehmen dwif-Consulting durchgeführt haben. 870 Fragebögen wurden ausgewertet, teilnehmen konnten Lenggrieser Bürgerinnen und Bürger ab 16 Jahren.

Das Ergebnis: Die Einheimischen, vor allem die Älteren, sehen sehr wohl, welche Vorteile sie durch den Tourismus haben. Wirtschaftlich durch Arbeitsplätze oder Einnahmen in Gastronomie und Einzelhandel. Persönlich, weil durch den Tourismus auch die entsprechende Infrastruktur wie Gastronomie, Einkaufsmöglichkeiten, Wanderwege oder Loipen bereitgestellt wird. In Zahlen sieht das so aus: 71 Prozent finden, dass der Tourismus positiv für Lenggries ist. 68 Prozent schreiben ihm "große wirtschaftliche Bedeutung" zu. Die wahrgenommenen Auswirkungen des Tourismus auf den Wohnort ergeben nach Auswertungen des dwif einen "Tourismusakzeptanzsaldo" (TAS) von 36, was ziemlich genau dem bundesdeutschen Durchschnitt entspricht.

Was der Tourismus für sie persönlich bringt, beurteilten die Befragten allerdings deutlich negativer. Vor allem Jüngere sehen kaum persönliche Vorteile: In der Altersgruppe der 16- bis 29-Jährigen liegt der TAS nur bei 5, obwohl 58 Prozent einen "wirtschaftlichen Bezug zum Tourismus" haben, also etwa in der Gastronomie arbeiten. Als negative Folgen werden vor allem ökologische Belastungen wie Verkehr, Lärm, Umweltverschmutzung gesehen, die von der Hälfte der Befragten als hoch eingeschätzt werden. Auch die "Missachtung des persönlichen Eigentums", etwa durch zugeparkte Einfahrten, ist für viele ein Ärgernis, ebenso steigende Preise infolge der Touristen.

Die Lenggrieser hängen an ihrem Ort und wollen, dass alles so bleibt - das sehen die Jungen genauso wie die Älteren. Natur und Landschaft, die gute Luft, die medizinische Versorgung, das dörfliche Flair. Erstaunlich sei, dass die jungen Leute diese Aspekte sogar wichtiger fänden als Gastronomie oder Veranstaltungen, sagte Leonie Scherer vom dwif, die die Ergebnisse vorstellte. 86 Prozent aller Befragten gaben an, dass sie "sehr gerne" in Lenggries leben. 47 Prozent sehen aber auch "eine besonders hohe Verkehrsbelastung durch Tagestouristen" und 57 Prozent stimmen der Aussage zu, dass die Region von Touristen "sehr überlaufen ist".

Noch mehr Gäste wollen die meisten nicht: 44 Prozent finden, dass der Tourismus insgesamt auf dem derzeitigen Niveau bleiben sollte, 28 Prozent sind der Meinung, dass die Zahl der Tagesausflügler "deutlich sinken" sollte. Auch Lösungsvorschläge wurden genannt: Die Schaffung von verkehrsberuhigten Zonen, Wohnraum, der für Einheimische "reserviert werden" soll oder vergünstige Angebote für Lenggrieser Bürger. 55 Prozent wünschen sich mehr Infos über den Tourismus und dessen Bedeutung für Lenggries, Jüngere vor allem über Social Media. "Die Tourismus-Akzeptanz fällt insgesamt positiv aus", fasste Scherer zusammen. Vor allem die Jüngeren dürften aber nicht aus den Augen verloren und die Einheimischen insgesamt müssten weiterhin informiert und eingebunden werden.

Das soll in einem nächsten Schritt geschehen; denn im Frühling ist eine "Bürgerwerkstatt" geplant, an der etwa 200 Lenggrieser teilnehmen könnten, wie Bader sagte. Sie sollen auf Basis der Umfrage an verschiedenen Stationen Themen und Probleme diskutieren und eigene Ideen einbringen. Die Ergebnisse des Workshops würden dann wieder von dwif-Consulting aufbereitet. Der Gemeinderat hat dafür am Montag einstimmig 4500 Euro bewilligt.

Die Tourismusakzeptanz im Tölzer Land ist eine der niedrigsten in ganz Deutschland. Zu diesem Ergebnis kam eine Untersuchung der Hochschulen München, Deggendorf sowie der FOM Hochschule München, die im März 2020 den Tourismusleitern und Bürgermeistern im Landkreis vorgestellt wurde. Dieser Umstand gefährde massiv einen der Hauptwirtschaftszweige der Region, insbesondere in Bezug auf Investitionen und der Gewinnung von Arbeitskräften, befanden die Teilnehmer. Deshalb soll der Tölzer Land Tourismus seine Kampagnen "#charmantmiteinand" und "#Naturschutz beginnt mit Dir" ausweiten, die sowohl die Besucherlenkung als auch das Tourismusbewusstsein im Landkreis stärken sollen. Dafür hat der Kreisausschuss zusätzlich 25 000 Euro für das Haushaltsjahr 2023 bewilligt. Ursprünglich hatte das Sachgebiet 15 mehr für das Marketing gefordert, nämlich 50 000 Euro, was der Ausschuss für Umwelt, Infrastruktur und Tourismus des Kreistags ablehnte.

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