Süddeutsche Zeitung

Landwirtschaft:Auf Du und Du mit der Kuh

Viele Menschen haben den Bezug zur Landwirtschaft verloren. Auf dem Abrahamhof in Benediktbeuern zeigt die Familie Sindlhauser, was alles los ist auf einem Bauernhof.

Von Konstantin Fahrner

"Mama, wo kommt eigentlich die Milch her?" Viele Kinder kennen das Wort Bauernhof heutzutage nur noch aus lebhaften Erzählungen der Eltern, aus bewusstseinsschaffenden Kinderbüchern oder aus Fernsehdokus. Manche Kinder haben noch nie in ihrem Leben Kuhdung geschnuppert oder wurden noch nie im Morgengrauen vom ersten Kikeriki eines Hahns aus den Federn gerissen. Und ein paar Unbelehrbare - der Milka-Schokololade sei dank - glauben sogar noch, es gebe lila Kühe.

Der Grund für das Unwissen ist banal: Der klassische Bilderbuch-Bauernhof, wie man ihn kennt und liebt, ist in seiner Existenz bedroht. Früher waren Bauernhöfe Zentren des dörflichen Lebens, Orte der Sozialisation. "Heute ist das eher die Ausnahme", bedauert Franz Sindlhauser. Der 60-jährige Bauer und Gastwirt denkt gerne an seine Jugendtage zurück. Da war die Welt noch in Ordnung. Da gab es in seinem Heimatdorf Benediktbeuern noch viele Höfe. Höfe, die ihre Inhaber noch gut ernährten. Höfe, die noch nach Höfen aussahen. Höfe, auf denen sich auch Sindlhausers gesamte Kindheit abspielte: den lieben langen Tag lachend im Heu herumtollen, laut gackernd Hühner aufscheuchen oder kichernd die meckernden Ziegen nachäffen. Das ist heutzutage fast unvorstellbar geworden.

Trotzdem würde Sindlhauser nicht so weit gehen und behaupten, dass früher alles besser gewesen sei. Er ist jemand, der sich darauf versteht, mit der Zeit zu gehen. Und er weiß, dass sich ein Dasein als einfacher Landwirt dieser Tage nicht mehr rechnet. Aus diesem Grund betreibt er gemeinsam mit seiner Frau Cordula neben seiner Tätigkeit als Biobauer schon seit einigen Jahren auf dem Abrahamhof eine gut besuchte Pension: "Urlaub auf dem Bauernhof", wie es die beiden nennen. Kühe melken, reiten, Fußball spielen. Ihre Hausgäste werden für die Zeit ihres Aufenthalts ein Teil der Familie und dürfen in vollen Zügen am Hofleben teilhaben.

Vor 13 Jahren kam den Sindlhausers dann eine Idee: Sie beginnen außerhalb ihres Pensionsgeschäfts erste Hofbesichtigungen anzubieten. Zunächst im kleinen Rahmen, eher als Nebenbeschäftigung, führen sie Grundschulklassen aus dem Umkreis über das Gelände und bringen Besuchern die traditionelle Arbeits- und Lebensweise des Bauern nahe. Das Geschäft läuft gut, Cordula und Franz Sindlhauser sind während dieser Zeit nur noch auf der Suche nach dem richtigen "Outfit" für ihr Angebot, wie sie selbst sagen.

Knapp sechs Jahre später, am 18. April 2012, kommt ihnen ein Beschluss des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Holzkirchen, kurz AELF, daher sehr gelegen: "Jedes Kind soll mindestens einen Tag auf dem Bauernhof verbringen", heißt es darin. Als Teil seiner agrarpolitischen Zielsetzung sieht das Amt die Erstellung eines erlebnisorientierten Lernprogramms für Schüler, Eltern und Lehrer vor. Man tauft es auf den Namen "Erlebnis Bauernhof". Daraufhin entschließt sich das Ehepaar Sindlhauser kurzerhand, die Gelegenheit zu nutzen. Sie absolvieren eine Ausbildung als Erlebnisbauern. Über ein Jahr verteilt erwerben sie in vier vom AELF organisierten Moduleinheiten alle wichtigen Kenntnisse von der Existenzgründung, über die Angebotsgestaltung und Erlebnispädagogik bis hin zur Vermarktung und Vernetzung erlebnisorientierter Angebote.

Frisch gestärkt von ihrer Ausbildung konzipieren die beiden ein facettenreiches Erlebnisprogramm mit verschiedenen Angeboten. Über jedes Tier des Hofs gibt es etwas Wissenswertes zu erfahren. Bei "Mit der Kuh per Du" beispielsweise können die Teilnehmer, begleitet von Franz Sindlhauser, das Tagesgeschäft einer bayerischen Milchkuh näher kennen lernen. Er und seine Frau züchten unter anderem die seltenen Murnau-Werdenfelser-Rinder, traditionell ein klassisches Dreinutzungsrind: robustes Lasttier, zuverlässiger Milchspender und Fleischlieferant zugleich.

Franz Sindlhauser versteht sich nicht nur auf seine Arbeit als Bauer. Kinder und Erwachsene sind gleichermaßen hin und weg, wenn er seine Gäste mit der nötigen Expertise und einem gelegentlichen Schuss an Humor gleichzeitig zu informieren und zu unterhalten vermag. Oder, wenn seine Frau Cordula auf ihre lebhafte Art und Weise über den molekularen Aufbau, die Funktion und die Nutzungsmöglichkeiten von Schafswolle referiert. Sie trägt dabei ein Weidenkörbchen mit wahlweise frisch geschorener oder schon bearbeiteter Wolle. Während ihrer Ausführungen verteilt sie daraus Probestücke an die Gäste. Die sollen die Wolle anfassen, sie spüren, daran riechen. Sie sollen den Hof und seine Tiere mit allen Sinnen erleben.

Doch das Angebot des Benediktbeurer Erlebnisbauernpaars beschränkt sich nicht nur auf den Hof selbst: Bei Wanderungen durch das Benediktbeurer Moor oder den angrenzenden Bergwald kann man gemeinsam mit den Sindlhausers einen Blick auf seltene Tier- und Pflanzenarten erhaschen oder am Lagerfeuer alten Geschichten rund um das Loisachtal lauschen.

Dieses Konzept bewähre sich seither hervorragend, freut sich Franz Sindlhauser. Der Abrahamhof zieht Klassen aus dem ganzen Oberland an und macht die bäuerliche Tradition für Schüler, Eltern und Lehrer erlebbar. Zu ihren Hauptgästen zählen Grund- und Förderschulklassen, aber auch die Erwachsenenbildung kommt nicht zu kurz. Bisher haben die Sindlhausers drei Lehrerfortbildungen ausgerichtet. Es gehe darum, bei Jung und Alt ein Bewusstsein zu schaffen. Und darum, traditionelle Werte zu vermitteln.

Das traditionelle Bild des bayerischen Milchbauern, der Tag für Tag seine Kühe auf die Weide treibt, verschwindet mittlerweile von der Bildfläche. Gerade deswegen versuchen die Sindlhausers, die bayerische Tradition am Leben zu erhalten. Die beiden möchten ihre Mitmenschen mit ihrer Leidenschaft anstecken, ihnen etwas beibringen und den Kindern eine Freude machen, wie sie sagen. Ihr Bauernhof sei weniger postmoderne Produktionsstätte, sondern vielmehr ein lebendiger, funktionierender Organismus. Darauf sind die Sindlhausers sehr stolz.

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Quelle:
SZ vom 06.06.2019/vewo
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