Kurhaus Bad Tölz:Ein Walzer im Viervierteltakt

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Mit Flügel und Chipstüte machen Gregor (l.) und Raphael Mayrhofer Musik und Spaß. (Foto: Manfred Neubauer)

Die Mayrhofer-Brüder Gregor und Raphael reißen als Musikkomikerduo "Imbrothersation" das Publikum zu Beifallsstürmen hin

Von Paul Schäufele, Bad Tölz

Es gibt den Einen und es gibt den Anderen. Viel mehr steckt zunächst mal nicht dahinter, das ist das Geheimnis praktisch jedes Komikerduos. Der Eine hat hier kurze Haare und ein Hemd, der Andere Dreadlocks und eine Latzhose. Der Eine ist Pianist und (mehr oder weniger strenger) Hüter der klassisch-musikalischen Sekundärtugenden, der Andere schleppt immer mehr Trommeln an, und am Ende wird auch eine Chipstüte ins Schlagzeug integriert. Der Eine ist Gregor, der Andere Raphael Mayrhofer, zusammen sind sie Imbrothersation und haben am Sonntagabend mit ihrem irrwitzigen Impro-Programm zwischen Klassik und Jazz, Opera seria und Zirkusnummer das Bad Tölzer Publikum in lachinduzierte Atemnot gebracht.

Mit Schwung geht es los: Gregor Mayrhofer sprintet aus dem dunklen Zuschauerraum auf die Bühne, rast auf den Flügel zu und stürzt sich in dann doch recht öde Kadenzen, die allmählich in tristen Akkordwiederholungen enden. Dem Drummer-Bruder kann das nicht gefallen, er mischt mit, streut hier und da eine Dissonanz ein, und am Ende erklingt ein Chopin-Prélude. So ist das bei den Mayrhofer-Brüdern: Der Eine macht was, das dem Anderen nicht gefällt, man zankt sich und zuletzt kommt ein wohlklingender Kompromiss zustande. Aber Imbrothersation wäre nicht Imbrothersation, wäre hier Schluss. Sobald beide ihren Platz an den Instrumenten gefunden haben, ist auch Chopin nicht sicher vor der Improvisationswut der beiden.

"Das Präludium schlägt zurück" ist das Motto des Abends. Hier macht es sich über Beethoven, Joplin, Bach, Gershwin her, wird selbst ordentlich verjazzt und hat dann schließlich die Transformation zum Schlager durchgemacht: "Ich brauche keine Millionen", dafür aber Musik, und zwar zu einem guten Teil improvisiert und das auf hochnotkomische Weise.

Wenn die Mayrhofer-Brüder über die Bühne sausen, sitzt jeder Handgriff, selbst wenn sie sich nicht immer einig sind. Da werden auch uralte Musikerprobleme verarbeitet. Schließlich kann eine Basisfähigkeit wie die, bis Vier zu zählen, zur existenziellen Krise führen, wenn der Partner über die Drei nicht hinauskommt. Mit Metronom und kreativem Taktklopfen unter Zuhilfenahme eines iPads versucht man sich gegenseitig zu therapieren. Wie erfolgreich das sein kann, sei dahingestellt. Aber die Quadratur des Zirkels hat man geschafft: den Walzer im Viervierteltakt!

Doch zu der gelungenen Dramaturgie des Abends, dieser virtuosen Zwei-Mann-Symphonie, gehören auch die ruhigeren Teile. Zum Charme des Programms trägt bei, dass es nicht nur eine Abfolge von Musikkabarett-Nummern ist, sondern streckenweise auch den Charakter eines Jazz-Gigs trägt. Zu ruhigen Klavier-Akkorden produziert Raphael Mayrhofer impressionistische Klänge auf einem Vibrafon. Nach den ersten Sätzen im Presto furioso ist das die Erholung vor der großen Impro-Nummer mit Publikumsbeteiligung. "Warum schreiben wir nicht eine Oper?", fragt sich Gregor Mayrhofer, schließlich strömt die Prominenz derzeit allenthalben zu den einschlägigen Festspielen. Und weil man Demokratie gerade bitter nötig habe, auch im Kompositionsprozess, lässt er das Publikum (durch in der Pause abgegebene Zettel) am Libretto mitwirken.

In diesem Work in progress übernimmt der Bruder, mittlerweile ebenfalls in Hemd und Hose, simultan die Funktionen des Koloratursoprans, Heldentenors und des düsteren Bösewichts. Mit viel komödiantischem Temperament und Sinn fürs Absurde bringt er wohl zum ersten Mal eine bierbäuchige Prinzessin auf die Opernbühne, die Minderwertigkeitskomplexe entwickelt hat, weil ihr Hammer zu klein ist, um ein Bild aufzuhängen. Zu seinen Paarreimen improvisiert Gregor eine Begleitung über ein quasi auf Zuruf entstandenes Leitmotiv, Umkehrungen, Kontrapunkt, Modulationen inbegriffen. Sehr klassisch ist das dann nicht, aber das Publikum kringelt sich.

Zum klanglichen Experimentierfeld wird die Bühne des Kursaals, wenn Imbrothersation auf Richard Wagner trifft. Aus einer urwaldartigen Geräuschkulisse mit Pfeifen, großem Schlagwerk, und Tiergeräuschen steigt (jetzt wissen wir, wozu die grauen Röhren am Flügel gut sind), erhabenes Alphorn-Dröhnen. Am Ende des Abends werden vier der grauen Blasinstrumente im Akkord gespielt werden. Doch davor kommt noch das Rheingold-Vorspiel. An diesem Punkt wird sich auch keiner mehr fragen, was die Nibelungen-Musik mit Kuhglocken zu tun hat. Es ist ein Abend der Gleichzeitigkeiten und der fließenden Übergänge, wer sie mitmacht, hat seinen Spaß. Stellenweise entkommt man zwar der Wortspielhölle nicht (rhythmische Besenaktivität zu einem leicht abgewandelten "My baby just cares for me"), aber sympathisch präsentiert ist das zu verkraften. Zumal die folgende körperbetonte Tangonummer mit gleichzeitiger Selbstbegleitung am Klavier nicht einfach nur zum Lachen ist, sondern schlicht beeindruckend in der akrobatischen Gewandtheit, mit der die Mayrhofer-Brüder Tanz und Musik miteinander verbinden.

Mit Beifall geizt das Publikum nicht - Jubel und Ovationen für eine selten so glückliche Vereinigung von Witz und Musik.

© SZ vom 30.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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