Kunstvolles Handwerk in Münsing:Das Feuer bewahren

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Der Degerndorfer Metallgestalter Tom Carstens fertigt für seine Kunden Unikate. Heuer ist der 46-Jährige bei den Schmiedeweltmeisterschaften in der Toskana Zweiter im Team geworden. Mit neuer Technik experimentiert er gerne

Von Benjamin Engel, Münsing

Wer Tom Carstens beauftragt, erhält ein Unikat. Keines der Stücke gleicht dem anderen. Daher ist es dem 46-jährigen Degerndorfer so wichtig, erst einmal mit seinen Kunden zu sprechen. Nur dann erfahre er, was sie wirklich wollten, sagt der Metallgestalter. Er entwirft individuelle Maßanfertigungen - vom Bad mit Edelstahlelementen bis zu Skulpturen. Dafür greift der Metallgestalter auf Hightech wie moderne Schweiß- und Schleifgeräte zurück, mit denen sich komplizierte Muster genauso herstellen wie Buntmetalle bearbeiten lassen.

Der muskulöse Mann mit dem gepflegten Bart feuert die Esse in der Ecke seiner Werkstatt an. Auf 3000 Grad Celsius erhitzt er die Holzkohle im Ofen, um das Eisen auf Bearbeitungstemperatur zu bringen. Nimmt er das goldgelb glühende Stück aus der Glut, hat es immer noch um die 1200 Grad, wenn er es mit dem Hammer in Form schlägt. "Es ist wichtig, das Feuer zu bewahren, aber keine kalte Asche", beschreibt Carstens sein Berufsverständnis.

Ganz nah beinander stehen Alt und Neu in seiner Degerndorfer Werkstatt. Carstens verwendet den Federhammer "Lasco 1" aus der Zeit um 1890 mit dem Deutschen Reichs-Gebrauchs-Muster-Schutz genauso wie das moderne Wolfram-Inert-Gas-Schweißgerät. Worum es dem Metallgestalter geht, beschreibt er ganz einfach. "Ich erfülle Sehnsüchte, und die hat jeder Mensch." Je besser er seinen Kunden zuhöre, desto besser gelinge es ihm auch, ihnen das Passende zu gestalten.

Miteinander ins Gespräch zu kommen, war für Carstens auch bei den heurigen Weltmeisterschaften der Schmiede im toskanischen Stia entscheidend. Gemeinsam mit Alfred und Eric Bullermann aus Niedersachsen, Hans und Leon Lippert aus Straßlach sowie Florian Upmann gewann er den zweiten Platz im Team-Wettbewerb. Zwei Wochen vor der Veranstaltung erfuhr das Sextett das Thema der Konkurrenz: Leonardo da Vinci. "Uns war sofort klar, dass du das Universalgenie nicht mit einer Plastik darstellen kannst", beschreibt Carstens den Ausgangsgedanken.

Per Whatsapp-Gruppe tauschten sie sich aus und beschlossen, das Skizzenbuch da Vincis anzufertigen - mit einer Feder und dem Schriftzug "Progetti non realizzati" (Unverwirklichte Werke). Der Clou daran: Klappt jemand das um die acht Kilogramm schwere stilisierte Buch im DIN-A4-Format auf, sieht er in einen eingearbeiteten Spiegel. Darin war der Himmel zu sehen. Darüber stehen die Worte: Der Traum vom Fliegen. "Damit hatte keiner gerechnet", sagt Carstens.

Nur Hämmer, Feilen und Zangen waren als Hilfsmittel erlaubt, um zu schmieden. Drei Stunden hatte jedes Team, um seine Idee fertigzustellen. An den Wettbewerben nahmen um die 400 Leute teil. Teams und Einzelkämpfer aus der ganzen Welt waren dort. Die Neugier, sich mit den anderen auszutauschen und zu reden, hat Carstens schon vor 20 Jahren in die Toskana gebracht. Damals beteiligte er sich erstmals an den Schmiedemeisterschaften. 2007 wurde er bereits im Team Dritter, 2009 ebenfalls Vize-Weltmeister, gemeinsam mit dem inzwischen gestorbenen Freund Walter Still. Zu Ehren des Fachgruppenleiters der Metallgestaltung in Bayern stellte Carstens sein Team für die Weltmeisterschaften in Stia zusammen. "Es ist spannend, wie das Metall, das starr und hart ist, Dynamik bekommen hat", sagt er.

Basis seiner Arbeit sind für Carstens die traditionellen Grundlagen des Schmiedehandwerks. Erst wer die Historie verstehe, könne das Wissen für die Neuzeit nutzen, sagt er. Bis filigrane Arbeiten wie ein geschwungenes Treppengeländer möglich sind, braucht es die Erfahrung und Bereitschaft, Neues zu lernen. "Am Anfang wird man vom Material geprägt", sagt er. Erst später gelinge es, den Prozess umzukehren.

Die kleine Werkstatt im Degerndorfer Bio-Bauernhof von Ludwig Derleder ist heute Carstens Lebensmittelpunkt. Mit seiner Frau Franziska ist er gerne am Starnberger See und in den Bergen unterwegs. Für ihn ist das der "Inbegriff von Heimat". Früh hatte die Neugier Carstens in die Welt getrieben. Als Kind faszinierte ihn die Schmiede aus den Geschichten des Michel aus Lönneberga. Carstens fing an, Stücke zu konstruieren und absolvierte eine Ausbildung zum Metallgestalter in Königsdorf und zum Hufschmied. Mit 21 Jahren zählte er zu den jüngsten Lehrschmiedemeistern des Freistaats Bayern.

Federschwer: das Skizzenbuch Leonardo da Vincis als Schmiedearbeit. (Foto: Privat/oh)

Auf fünfeinhalbjährige Wanderschaft zog es Carstens mit Mitte 20. Er suchte sich Schmiedemeister und Künstler, für die er arbeiten wollte, lebte in Norwegen, Tschechien, Frankreich, Italien, der Schweiz und Österreich. Sogar bis nach Florida verschlug es ihn. Besonders prägte Carstens der Schmiedepapst Alfred Habermann, bei dem er zweieinhalb Jahre lang lernte.

In der Vitrine am Eingang liegen auch Messer aus Damaszenerstahl. Besucher können Exemplare für sich selbst anfertigen. Dafür organisiert Carstens mit seiner Frau Franziska Kurse. Gemeinsam gestalten sie Seminare für Unternehmen zur Mitarbeiterführung oder arbeiten mit Kindern. Um mehr Platz etwa auch für Ausstellungen zu haben, richtet das Paar derzeit noch einen zusätzlichen Raum ein.

Ein romantisches Traumbild ist für viele der Schmied, der mit dem Hammer das auf einem Amboss rot glühende Eisen bearbeitet. Doch Carstens sagt, der Beruf verlange ihm weit mehr ab. Heutzutage brächen viele junge Leute mit falschen Erwartungen ihre Lehre wieder ab. Am meisten würde sich der Metallgestalter jedoch wünschen, dass Eltern ihre Kinder nicht vom Handwerk abhalten und nur Richtung Studium drängen. Denn der ein oder andere wäre in einer Werkstatt sicher glücklicher, sagt er.

Carstens selbst ist dankbar, dass er in seinem Beruf so viele Menschen kennenlernen darf. "Man lernt, mit Urvertrauen an die Sache heranzugehen", sagt er. "Wer lauter Angst hat, kann nicht funktionieren." Und bei den nächsten Schmiedeweltmeisterschaften in der Toskana im Jahr 2021 will er auf jeden Fall wieder mitmachen.

© SZ vom 27.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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