Süddeutsche Zeitung

Tassilo:Immer unter Strom

Kandidat für den Tassilo-Preis: Der Kulturverein Isar-Loisach hat sich im vergangenen Jahr mit 70 Livestreams überregional profiliert.

Von Wolfgang Schäl

Kultur ist, wenn man sie trotzdem macht. So ungefähr lassen sich die Aktivitäten überschreiben, mit denen sich der Kulturverein Isar-Loisach (KIL) in der nunmehr schon dritten Pandemie-Welle erfolgreich über die Runden rettet. Dabei hat er allerlei Fähigkeiten entfaltet, die für Kunst und Kultur Voraussetzung sind: Organisationstalent, Kreativität, unbändige Lust, sich zu engagieren, die Bereitschaft, Risiken einzugehen, Herzblut zu vergießen. Und ja, auch ein gerütteltes Maß an technischem Verständnis für das Konzept zu entwickeln, das der Kulturverein verfolgt, um unter den schwierigen Bedingungen Kunst zu vermitteln - im Format von Livestream-Übertragungen.

An die 70 Veranstaltungen hat der KIL seit dem ersten Lockdown live gesendet. Dafür bedurfte es der Bereitschaft, sich in komplizierte elektronische Gerätschaften samt all ihren Tücken hineinzudenken, in Webcam-, Beamer-, Licht- und Tontechnik einzudringen. Erst mit einfachsten Mitteln, zwischenzeitlich auf einem Niveau, das Livestream-Auftritte für breitere Internetkreise interessant macht. "Zu Anfang hatten wir nur zwei Handys", erzählt Thorsten Thane, einer der mehr als 20 Aktiven, die sich um Problemlösungen aller Art kümmern. Zu Beginn der Pandemie sei "der Hardware-Markt für IT-Technik leergefegt" gewesen. Es sei "eine never ending Baustelle, immer wieder muss man nachrüsten", seufzt Thane, ein gar nicht sehr technophil anmutender Mensch, der einen sorgfältig geflochtenen Zopf unterm Kinn trägt. Im Hauptberuf betreibt er eine kleine Filmproduktionsfirma. "Ich bin eigentlich gar kein Techniker", ver- rät er, "ich mache normalerweise Regie."

Im Lauf der Monate gelang es dann doch, das notwendige Equipment zusammenzuklauben und mit viel Improvisation technische Fortschritte zu erzielen. Von denen profitiert nicht nur der umtriebige, vor zwölf Jahren anlässlich der Geretsrieder Kulturtage gegründete Verein mit seinen rund 100 Mitgliedern. Auch eher regional bekannten Künstlern steht so ein weitaus breiteres Forum offen, als es ihnen bei Präsenzveranstaltungen beschieden wäre. "Mittlerweile", freut sich die KIL-Vorsitzende Assunta Tammelleo, "bekommen wir aber auch sehr bekannte, tolle Leute." Zwar mache der Auftritt vor leeren Stuhlreihen, nur vom Kamera-Objektiv beachtet, manchem Künstler zu schaffen. Trotzdem: "Es ist schön zu sehen, dass man unter diesen Bedingungen was bewirken kann", frohlockt auch Thane.

Die Aufgaben im Verein sind je nach den individuellen Ambitionen verteilt. Marius Hammerschmied und Hendrik Noeller etwa kümmern sich um die Licht- und Tontechnik, Nikolaus Sanktjohanser und Bernd Satzinger sind für die Instandhaltung der Requisiten verantwortlich, Daniel Schüssler ist Experte für die Sendetechnik, Thorsten Thane fungiert als Organisator für die Kameras. "Es ist alles ein bisschen schwierig, man muss immer schauen, wie man die Leute zusammenbindet", beschreibt Tammelleo die Atmosphäre im Verein, dessen Aktivitäten sich seit dem vergangenen Sommer auf zwei Orte verteilen: den "Kunstturm" am Wolfratshauser Schwankl-Eck und die seit 30 Jahren existierende Geltinger "Hinterhalt"-Bühne, die bereits mit einem Tassilo ausgezeichnet wurde, und in der die umtriebige, wortgewaltige und herzliche Tammelleo nach wie vor ihres Amtes als Wirtin waltet.

Was das Schwankl-Eck betrifft, so hatte es als Druckerei und traditionsreiche Buchhandlung schon in früheren Jahren einen festen Platz im Wolfratshauser Kulturleben. Da ist es nur folgerichtig, dass sich in diesem nach außen transparenten Ambiente nun zusätzlich eine Theaterbühne etabliert hat. Die Räumlichkeiten im "Kunstturm" mit ihren großen Fenstern zum Obermarkt hin laden für alle Arten von Kultur ein - Kabarett, Lesungen, Musik, sofern sie nicht zu laut für die Innenstadt ist, und bildende Kunst, alles attraktive Post-Corona-Anregungen für die außerhalb der Einkaufszeiten ja weitgehend verwaiste Marktstraße. Profitieren soll von der erhofften Belebung nach der Pandemie indirekt auch die notleidende Gastronomie.

Feste Eintrittspreise verlangt der Verein nicht für die Livestreams. Stattdessen wird um freiwillige Unterstützung gebeten. Viele Sponsoren und Teilnehmer spenden großzügig, zudem sind immer mehr Sympathisanten bereit, Mitglied zu werden. Natürlich bezahlen die Besucher daheim für die elektronischen Tickets auf elektronischem Weg per PayPal oder Überweisung. Wer mag, kann auf diese Weise auch Tickets hinterlegen für Zuschauer, die weniger Geld haben. Eine finanzielle Gratwanderung sind die Vorstellungen für den KIL trotz alledem. "Die Gage der engagierten Künstler kann der Verein nur dank einer finanziellen Förderung finanzieren", sagt Tammelleo. Die Zukunftsperspektiven des Vereins sieht sie eher zurückhaltend. Für konkrete Prognosen müsse sie schon "eine Kristallkugel" haben. Aber ganz so schlecht kann es kaum stehen. Insbesondere Geretsried habe sich in der hiesigen "K-Frage" als äußerst großzügig erwiesen, findet Tammelleo. "Das K steht bei uns für viel Kultur."

Mit Wolfratshausen laufen Verhandlungen. Der Stadt steht dabei ein Gesprächspartner gegenüber, der nicht nur die Hand aufhält, sondern mit beeindruckenden statistischen Zahlen aufwarten kann. Wie der Verein Anfang April bei einem Pressegespräch bekannt gab, hatten sich aktuell 81 843 Video-Klicks und eine Übertragungsdauer von zusammen 701 Tagen aufaddiert. Zuletzt gab es etwa eine Blues- und Jazz-Improvisation mit Alegria Mannhardt und Uli Lehmann, Willy Astor war mit "Sounds of Island" vertreten und Thomas Vogler mit dem Stück "Der kotzende Hund" - Kurzgeschichten darüber, was der Wirt einer Jazz-Bar in 24 Jahren so alles erlebt hat

Wenn Sie eine Kandidatin oder einen Kandidaten für den SZ-Kulturpreis vorschlagen wollen, schreiben Sie bitte bis 30. April eine E-Mail an tassilo@sz.de

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Quelle:
SZ vom 30.04.2021
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