Kultur kreativ:Eine salonfähige Idee

Kultur kreativ: Anne Solveig Weber (li.) und ihre Schwester Alice Marie bieten seit einem Jahr deutschlandweit Musikerauftritte für Zuhause an. Die "Coupon Cencerts" soll es auch über die Krise hinaus geben.

Anne Solveig Weber (li.) und ihre Schwester Alice Marie bieten seit einem Jahr deutschlandweit Musikerauftritte für Zuhause an. Die "Coupon Cencerts" soll es auch über die Krise hinaus geben.

(Foto: Astrid Ackermann/oh)

Anne Weber vom Festival-Team der "Holzhauser Musiktage" hat mit ihrer Schwester Alice die "Coupon Concerts" erfunden, um professionell vorgetragene Musik in die Wohnzimmer zu bringen

Von Paul Schäufele

Ein edel tapezierter Raum, Gemälde an den Wänden, in der einen Ecke diskutieren zwei Philosophen, in einer anderen spielen Leute Karten, in der Mitte steht ein Flötist und daneben bereitet sich ein Dichter auf die Lesung seiner Verse vor. Das könnte ein literarischer Salon des achtzehnten Jahrhunderts sein - eine gesellige Zusammenkunft von kunstliebenden Leuten. Tempi passati? Vielleicht nicht ganz, denn eine Konzertinitiative von Anne Weber, bekannt aus dem Leitungsteam des Festivals "Holzhauser Musiktage", bringt professionell aufgeführte Musik in die Wohnzimmer.

Unter dem Namen "Coupon Concerts" bieten Anne Weber und ihre Schwester Alice, beide aktive Musikerinnen, ihren Kollegen eine Plattform, um ihnen in dieser an öffentlichen Konzerten armen Zeit Auftritte zu ermöglichen. Die Idee kam ihnen während des ersten Lockdowns. Aus anhaltender Sympathie für ihr Stammcafé und Lieblingsrestaurant hatten einige treue Kunden die geschlossenen Lokale durch den Kauf von Gutscheinen unterstützt. Was in der Gastronomie geht, sollte für den Konzertbetrieb auch möglich sein, dachte sich das Team aus den Weber-Schwestern und ein paar Bekannten, und so wurden die ersten Gutscheine für Hauskonzerte verkauft.

Das ist ein Jahr her. Inzwischen lassen sich über die Website couponconcerts.com deutschlandweit mehr als 300 Musikerinnen und Musiker buchen, alleine oder im Ensemble. 200 Euro kostet ein Solo-Auftritt zurzeit, für jeden weiteren Musizierenden kommen 100 Euro dazu. Der Verein hinter den Konzerten verdient daran bislang nichts, das Geld kommt ganz den Musikern zugute.

Ein Zuhörer, der das Angebot genutzt hat, ist Franz von Feilitzsch, der seiner Frau mit einer solchen Hausmusik zum Jahreswechsel eine Freude gemacht hat. In ihr Haus bei Bad Tölz, in dem schon zu Großmutters Zeiten Musik- und Leseabende stattfanden, haben sie Ricardo Volkert eingeladen. Der Herrschinger Gitarrist hat sich in den Jahrzehnten seiner künstlerischen Tätigkeit zum Flamenco-Experten entwickelt. Doch wer die Regeln und Modelle kennt, kann sie flexibel einsetzen, und so nutzt Volkert Elemente der spanischen Musik frei, um als "cantautor" (die spanische Entsprechung des Liedermachers) Eigenes zu komponieren. Auch Vertonungen der Andalusier Federico García Lorca und Rafael Alberti, dem auch seine neue CD gewidmet ist, liegen ihm am Herzen. Neben der Aufführung der Musik kommentiert er die zugrundeliegende Lyrik.

"Das war ein besonders schönes Erlebnis", sagt von Feilitzsch. Angetan ist der Physiker nicht nur von der Qualität der Musik gewesen, sondern auch von den Gesprächen mit dem Musiker nach dem Konzert. Häufig bleibt der Kontakt auch über das Konzert hinaus bestehen. Oder es ergeben sich weitere Aufträge. Volkert wurde eingeladen, der musikalische Programmpunkt einer Weihnachtsfeier zu sein, eine Kollegin aus Stuttgart kam über "Coupon Concerts" zu einem Plattenvertrag.

Doch warum sollte man sich einen Geiger oder eine Klarinettistin nach Hause holen, wenn man doch inzwischen wieder ins Konzert kann? Die Erfahrungen lassen sich nicht vergleichen, sagt Anne Weber. "Auch wenn die Erfindung des Hauskonzerts alt ist - letztlich liegen hier die Wurzeln der Kammermusik: Es ist etwas völlig Neues, intensiver, direkter und natürlicher. Eine Bühne setzt automatisch eine Grenze, hier ist ein echter Austausch möglich."

Auch aus Perspektive der Aufführenden ist es eine Besonderheit, so nah am Publikum zu sein. Weber etwa berichtet von einem für sie bewegenden Konzert, bei dem dem Gastgeber durchweg Tränen über die Wangen liefen. In der Philharmonie wäre das kaum sichtbar.

Wie die heimische "Philharmonie" dann aussieht, spielt keine Rolle. Ein großes Wohnzimmer zu haben, das vielleicht schon musikerprobt ist, gilt freilich als Glücksfall, ist aber keineswegs die Regel. Die Gastgeber bestimmen das Setting und auf das stellen sich die Musiker ein. Das kann eine städtische Zweizimmerwohnung sein, aber, erzählt Anne Weber, auch in Innenhöfen vor voll besetzten Bierbänken wurde mit den "Coupon Concerts" schon Beethoven gespielt, mit Erfolg. Und so vielfältig wie die Wohnungen sind die Zuhörer: junge Musikliebhaber, Familien mit Kindern, Pensionäre, Frauen in Abendgarderobe und Männer in kurzen Hosen.

Nach einem Jahr lässt sich diese Bilanz ziehen: Die "Coupon Concerts" sind keine jener kurzlebigen Corona-Ideen, die als schöne Geste Solidarität und Wertschätzung symbolisieren, aber schnell an Schwung verlieren. Im Gegenteil: Es kommen laufend neue Bewerbungen von Musikern, die dabei sein möchten, um auch über die Krise hinaus über diese Plattform ihre Musik zu den Hörern zu bringen.

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