Süddeutsche Zeitung

Kritik am Maßnahmenpaket der Staatsregierung:"Wir können nicht mehr"

Mehrarbeit, spätere Rente, kein Sabbatjahr: Nach der Bekanntgabe der Pläne des bayerischen Kultusministeriumslaufen viele Lehrer Sturm. So mancher Pädagoge in der Region fürchtet gar um seine Gesundheit.

Von Valerie Gleisner

Die Stimmung im Landkreis sei "suboptimal", wie sich Bernd Kraft, Kreisvorsitzender des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrer Verbands (BLLV) ausdrückt. Denn nach der Bekanntgabe der Mehrarbeit für Grundschullehrer durch das bayerische Kultusministerium zeigen sich Pädagogen im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen alles andere als erfreut. Kraft sagt: "Die Kollegen empfinden die Pläne als höchst ungerecht."

Anfang des Jahres hat Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) ein Maßnahmenpaket vorgestellt, das die Unterrichtsversorgung an Grund-, Mittel- und Förderschulen trotz Lehrermangels sicherstellen soll. Demnach sollen Grundschullehrer zwischen 50 und 56 Jahren die nächsten fünf Jahre eine Stunde mehr Unterricht in der Woche geben. Den Ruhestand dürfen die Lehrer künftig erst mit 65 Jahren, statt wie bisher mit 64 Jahren, beantragen, Sabbatjahre werden nicht mehr genehmigt. Besonders schwer trifft es zudem Teilzeitkräfte, die weder Kinder unter 18 Jahren noch pflegebedürftige Angehörige haben. Sie sollen nun mindestens 24 Stunden in der Woche unterrichten.

Besonders das neue Pensionsalter trifft auf Kritik. "Viele Kollegen, die schon mit der Pension gerechnet haben, können jetzt nicht in Pension gehen", sagt Kraft. Ein Fall, der für viele steht: Eine Kollegin, die aktuell im Sabbatjahr sei, wollte sich danach mit 64 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand versetzen lassen. Mit der neuen Regelung ist das nun nicht mehr möglich. "Dabei hatten bei ihr schon die Sektkorken geknallt", sagt Kraft. Die Empörung der Lehrkräfte richte sich nicht gegen die eine Stunde Mehrarbeit pro Woche, betont Kraft. Viele Kollegen, die durch die Volljährigkeit ihrer Kinder aus ihrer Teilzeitregelung hinausfielen, müssten nach der neuen Regelung mindestens 24 Stunden arbeiten. "Das sind leicht sieben bis acht Stunden mehr pro Woche". Denn einen Bestandschutz, mit dem niedriger Teilzeitumfänge als das Mindestmaß möglich waren, gibt es nun nicht mehr.

Von den neuen Teilzeitbestimmungen betroffen ist auch eine Grundschullehrerin, die ab dem kommenden Schuljahr fast doppelt so viele Unterrichtsstunden wie zuvor geben soll - zusätzlich der damit nötigen Vor- und Nachbereitung. Sie empfindet das als eine "Zumutung". Wie viele ihrer Kollegen arbeitet sie in Teilzeit, "weil wir realistisch sind". Ein qualitativ hochwertiger Unterricht sei so am besten zu leisten, da dann ausreichend Zeit und Kraft für eine intensive Vorbereitung bleibe. Denn der Hauptteil ihrer Arbeit finde nicht "in den 45 Minuten statt, die ich mit den Kindern verbringe", sagt sie. "Viele arbeiten Teilzeit, weil das schon Vollzeit ist." Mit über 50 Jahren weiß sie nicht, dass sie die nächsten fünf Jahre gesundheitlich durchhalte. "Ich glaube nicht, dass ich das schaffe."

Lehrer wie sie befinden sich nun im Konflikt - schließlich dürfen sie als Beamte nicht streiken und können somit gegen das Maßnahmenpaket kaum etwas ausrichten. Am Ende wären die Leidtragenden auch die Schüler. "Wir wollen am allerwenigsten, dass die Kinder darunter leiden", sagt Kraft vom BLLV. Mit Aktionstagen versucht der Verband auf die Situation seiner Mitglieder aufmerksam zu machen. "Es wäre schön, wenn es eine Entlastung gäbe", sagt der Vorsitzende. Und ein Konzept des Kultusministers, das sicherstelle, dass in den nächsten drei Jahren genug Absolventen von den Universitäten nachkommen. Dass Piazolo die Zahl der Proben in der vierten Klasse senken und die Zeugnisse verschlanken wolle, sei "ein Anfang".

Lehrer wie die betroffene Grundschullehrerin sehen sich nun in einer Sackgasse. Würde sie ihre Stelle kündigen, würde sie die Hälfte ihrer Pensionsansprüche verlieren. "Das kann ich mir als Teilzeitkraft nicht leisten", sagt sie. Die Ausweglosigkeit der Situation sei "der Wahnsinn". Die Bezahlung sei ihr nicht so wichtig. Aber dass gerade ältere Lehrer gezwungen würden, über ihre Kräfte zu arbeiten, das fände sie schwierig. "Da wird die Unterrichtsqualität leiden". Und das gehe am Ende alle an, die Kinder im schulpflichtigen Alter hätten. "Ich arbeite sehr gerne", stellt sie klar. Es bereite ihr Freude, Kindern die Welt zu erklären und sie nehme sich gerne Zeit. Nun aber fühle sie sich "hilflos", denn sie könne jetzt nicht mehr machen, als hinzunehmen, dass sie überarbeitet sein werde.

Beide Kritiker sind sich einig, dass der Lehrermangel ein hausgemachtes Problem sei. Denn noch vor einigen Jahren stünden viele angehende Lehrer auf der Straße, da das Kultusministerium sparen wollte und wenig neue Lehrkräfte eingestellt hätte. Und genau diese Lehrer würden jetzt fehlen. Das Problem sei, dass der Beruf des Grundschullehrers unattraktiver geworden sei, berichten beide unisono. Die Bezahlung sei schlechter als bei Real- und Gymnasiallehrern und die Unterrichtssituation werde komplexer. Erziehungsarbeit mach einen immer größeren Teil der Arbeit aus. "Davor schrecken viele zurück", sagt die Lehrerin und fügt hinzu: "Wenn die dann noch hören, wie im Moment mit Lehrern umgegangen wird, dann will den Beruf in Zukunft keiner mehr machen", warnt sie - und fügt an: "Meine Praktikantin studiert jetzt BWL."

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SZ vom 20.02.2020
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