Kreiskrankenhaus Wolfratshausen:Versagen im Kreißsaal

"Ein grober Behandlungsfehler": Eine Hebamme muss sich vor dem Oberlandesgericht verantworten, weil ein Kind mit schweren Behinderungen zur Welt kam.

Andreas Salch

Alles soll auf eine Geburt ohne Komplikationen hingedeutet haben. Gertrud R. (alle Namen von der Redaktion geändert) erwartete am 7. April 1997 im Kreiskrankenhaus Wolfratshausen ihr zweites Kind. In den Nachmittagsstunden jedoch verschlechterten sich dessen Herztöne dramatisch. Ein Zeichen dafür, dass das Baby an Sauerstoffmangel litt. Lukas R. kam um 19.44 Uhr per Kaiserschnitt mit schwersten Behinderungen zur Welt. Er litt an Spasmen und war fast blind.

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Die Hebamme hatte in erster Instanz eingeräumt, sie habe den Geburtsbericht nachträglich so verfasst, dass dem zuständigen Arzt keine Schwierigkeiten entstehen.

(Foto: dpa)

Am Donnerstag musste sich die damalige Hebamme vor dem Oberlandesgericht München (OLG) verantworten. Sie soll an die Versicherung des damals zuständigen Facharztes des Kreiskrankenhauses rund 835 000 Euro zahlen. Denn nicht er, sondern sie soll Schuld daran tragen, dass Lukas schwer behindert zur Welt kam. Laut Gutachten eines Sachverständigen, den die Richter am Donnerstag hörten, war der erfahrenen Hebamme in den Stunden vor der Geburt, in denen sie die Mutter betreute, "ein grober Behandlungsfehler" unterlaufen.

Lukas' Eltern hatten 2003 gegen den Facharzt geklagt. Es kam zu einem Vergleich. Sie erhielten von dessen Versicherung 240 000 Euro. Und das, obwohl sich schon damals angeblich herausstellte, dass die Hebamme einen schwer wiegenden Fehler gemacht haben soll. Deshalb fordert die Versicherung des Arztes nun alle erstatteten Beträge von der inzwischen 81-Jährigen zurück. Außer den 240 000 Euro aus dem Vergleich mit den Eltern von Lukas hat die Assekuranz für dessen Behandlung und Unterbringung in einem Pflegeheim knapp 600 000 Euro bezahlt.

Nach Überzeugung des Sachverständigen hätte die Hebamme um 16.15 Uhr an jenem 7. April 1997 den Arzt alarmieren müssen. Zu diesem Zeitpunkt seien die Herztöne des Kindes problematisch gewesen. Zwar war der Arzt am frühen Abend bei Gertrud R. Doch soll er sich nicht den kompletten Papierstreifen angesehen haben, auf dem ein Gerät die Herztöne des Babys dokumentiert hatte.

Ob dem Mediziner dies zum Vorwurf gemacht werden könne, ließ der Sachverständige offen. Schließlich sei die Hebamme eine erfahrene Helferin gewesen, meinte er. Der Anwalt der Hebamme, Rechtsanwalt Christian Koller, hatte den Sachverständigen als befangen abgelehnt, da er schon seit längerem mit der Haftpflichtversicherung des Arztes zusammenarbeite. Das Gericht lehnte den Antrag allerdings ab.

In erster Instanz hatte die Hebamme vor dem Landgericht München II eingeräumt, dass sie seinerzeit den Geburtsbericht nachträglich so verfasste, dass dem Arzt keine Schwierigkeiten entstehen. "Ich habe geschwindelt", hatte sie erklärt. In Wirklichkeit habe sie den Arzt schon zu einem viel früheren Zeitpunkt alarmiert.

Der Arzt wiederum bestritt dies. Die beklagte Hebamme war 1997 nicht mehr haftpflichtversichert. Sie lebt heute von rund 1000 Euro Rente. Sollte kein Vergleich zustande kommen, wird das Verfahren fortgesetzt. Lukas R. starb im Frühjahr 2008 in einem Pflegeheim an Herzversagen.

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