Süddeutsche Zeitung

Gesundheitsversorgung:Absage an ein "Weiter so"

Die Kreisklinik Wolfratshausen verzeichnet für 2021 ein Defizit von 1,4 Millionen Euro. Landrat Niedermaier fordert im Kreistag, die Debatte um ihre Zukunft wieder "offen und ehrlich" fortzuführen.

Von Konstantin Kaip

Dass die Kreisklinik Wolfratshausen in öffentlicher Trägerschaft bleibt, hat der Kreistag vergangenen Sommer beschlossen. Dass dieses Bekenntnis nach dem Wirbel um eine mögliche Verschlankung des Hauses mit Vergabe an einen privaten Investor indes kein Freibrief für die Klinikleitung ist, wurde bei der Kreistagssitzung am Montag deutlich. Bei der neunten Vollversammlung des Gremiums, die in der Wolfratshauser Loisachhalle stattfand, legte Geschäftsführer Ingo Kühn ziemlich genau ein Jahr nach dem Beschluss den aktuellen "Situationsbericht" zur Kreisklinik vor - und wurde von Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler) angesichts des Millionen-Defizits in die Pflicht genommen. Ärzte, Aufsichtsrat und Führungskräfte müssten sich "intensiv der Realität und den Herausforderungen stellen", forderte er, und mit Kooperationspartnern ein zukunftsfähiges Konzept für die Klinik finden.

Weil der Landrat zunächst wegen einer Videokonferenz mit dem Kultusministerium verhindert war, hatte sein Stellvertreter Thomas Holz (CSU), der die Sitzung eingangs leitete, Kühns Bericht auf der Tagesordnung nach hinten geschoben. Erst als Niedermaier auf dem Podium war, legte der Klinik-Geschäftsführer die aktuellen Zahlen vor. Demnach kommt die Kreisklinik im Jahresergebnis für 2021 auf ein Defizit von circa 1,4 Millionen Euro. Der Sprung im Vergleich zum Vorjahr, das mit einem Minus von knapp 500 000 Euro abgeschlossen wurde, ergebe sich auch durch Investitionskosten von 416 000 Euro und den Kostenanstieg bei Arzneimitteln, etwa für Antikörpertests, um 318 000 Euro, erklärte Kühn. "Was die Kreisklinik geleistet hat, ist in Zahlen nicht zu erfassen", hatte er gleich zu Anfang betont. 515 Corona-Patienten seien seit Anfang der Pandemie in dem Haus behandelt worden, 136 auf Intensivstation. Das zeige, dass "die Kreisklinik Wolfratshausen als Grund- und Mittelversorger doch sehr viel getan hat". Auch müsse man das Defizit in einen Kontext stellen, forderte er, und legte eine Liste aus dem Bundesregister mit den Abschlüssen anderer Kliniken im Oberland von 2019 und 2020 vor. Im Vergleich mit den Häusern, darunter Murnau, Agatharied oder Starnberg, liege die Kreisklinik im mittleren Bereich. "Ich denke, das ist ein sehr respektables Ergebnis."

Die Fallzahlen lagen laut Kühns Bericht in etwa auf dem Niveau von 2020 und damit noch deutlich unter denen vor der Pandemie. Dies sei Corona geschuldet, planbare Eingriffe hätten verschoben und Betten freigehalten werden müssen. Zudem hätten Einzelzimmer-Isolierungen Kapazitäten eingeschränkt, wegen Ausfällen beim Personal hätten Bereiche geschlossen werden müssen. Bundesweit seien die Fallzahlen um durchschnittlich 20 Prozent gesunken, "das ist erstmal hinzunehmen", sagte Kühn. Bei den "Case-Mix-Punkten", die die Schwere der behandelten Fälle und den damit verbundenen Ressourcenaufwand darstellen, liege man indes fast auf dem Niveau von 2019. "Das bedeutet für mich als Geschäftsführer, dass die Kreisklinik noch sehr leistungsfähig ist", sagte Kühn. Darüber sei er "gelinde gesagt sehr stolz".

Niedermaier wollte das nicht so stehen lassen - und wiederholte den Appell, den er erst kürzlich bei der Wolfratshauser Bürgerversammlung in der Loisachhalle ans Publikum gerichtet hatte. Gerüchte, er oder der Kreistag wollten "die Kreisklinik schnellstmöglich schließen, sind falsch und stimmen definitiv nicht", sagte der Landrat. Doch im Gesundheitssystem bleibe derzeit "kein Stein auf dem anderen". Die Kreisklinik könne nur mit einem Kooperationspartner und der richtigen Spezialisierung überleben. "Wer das Ziel hat, es soll alles so bleiben, wie es ist, ist der Totengräber der Klinik", sagte Niedermaier - und wiederholte das Fazit der Unternehmensberatung Vicondo vom vergangenen Jahr: Ein "Weiter so" dürfe es nicht geben. Deswegen bitte er die Kreisräte, den Aufsichtsrat und die Führungskräfte der Klinik, in einer "offenen und ehrlichen" Debatte ein tragfähiges Konzept zu finden. "Die Klinik muss sich selbst erneuern können und so viel Geld verdienen, dass sie selbst investieren kann." Dafür müsse man wieder einsteigen in die Debatte über ihre Zukunft. "Wir haben uns in der Diskussion verfranzt und letztlich nichts getan", sagte Niedermaier. "In meinem Verständnis ist das ein verlorenes Jahr, und das wird uns auch noch viel Geld kosten."

Dem pflichtete Martin Bachhuber (CSU) bei. "Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten für eine tragfähige Gesundheitsversorgung aller Bürgerinnen und Bürger im Landkreis", sagte er. Aber: "Wir sollten dieses Thema nicht ad acta legen." Und Alois Bauer (Freie Wähler) forderte Kühn auf, rasch Kooperationspartner in anderen Kliniken zu suchen und "alle Fühler auszustrecken".

Die Betreibergesellschaft Kreisklinik Wolfratshausen gGmbH, zu der auch das Kreispflegeheim Lenggries gehört, schloss 2021 mit einem Gesamt-Defizit von knapp zwei Millionen Euro ab. Immerhin wird das Minus des Pflegeheims (aktuell rund 570 000 Euro) künftig wohl nicht mehr in den Bilanzen auftauchen. Der Caritasverband München, der den geplanten Neubau in Lenggries betreiben wird, will das Heim laut Kühn schon zum Januar 2023 übernehmen.

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