Jahrelanger Rechtsstreit:Behandlungsfehler an der Wolfratshauser Kreisklinik

Statue der Justitia
(Foto: David Ebener/dpa)

Nach einer Blinddarm-OP stirbt eine junge Frau fast. Das Landgericht München II spricht ihr 45 000 Euro Schadenersatz zu

Von Benjamin Engel

In einem Zivilverfahren hat das Landgericht München II die Wolfratshauser Kreisklinik dazu verurteilt, 45 000 Euro Schadenersatz zu zahlen. Der Prozess hatte sich jahrelang hingezogen. Im Mai 2008 hatte sich eine damals 25-Jährige aus Geretsried im Krankenhaus am Moosbauerweg den Blinddarm entfernen lassen. Eine Woche später kam es zu lebensgefährlichen Komplikationen. Nach der Einschätzung eines Gutachters soll der behandelnde Arzt den Zustand der jungen Frau vollkommen falsch eingeschätzt haben. Die Geretsriederin hatte die Klinik verklagt und Schadenersatz in Höhe von 100 000 Euro gefordert. Das Landgericht blieb nun darunter, verpflichtete jedoch das Krankenhaus dazu, die Kosten für alle weiteren gesundheitlichen Schäden zu übernehmen.

Die Arzthaftungskammer am Landgericht München II hatte sich bereits in den Jahren 2012 und 2017 mit dem Fall beschäftigt. Der ehemalige Direktor der Chirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen, Professor Werner Hohenberger, hatte ein Gutachten erstellt.

Eine Woche nach der Blinddarmentfernung im Wolfratshauser Krankenhaus hatte die Geretsriederin über Bauchschmerzen geklagt. Die junge Frau suchte daher erneut die Klinik auf und kam auf die Intensivstation. Sie musste sich ständig übergeben. Bei der Behandlung soll ein Arzt aus der Chirurgischen Abteilung schwerwiegende Fehler gemacht haben. So soll dem Mediziner mehrere Tage nicht aufgefallen sein, dass seine Patientin einen Verschluss des Dünndarms hatte. Die Hinweise darauf hätten sich laut dem Gutachten von Hohenberger schon am zweiten Tag nach der Aufnahme der jungen Frau erhärtet. Wie der Sachverständige bereits im Jahr 2017 vor Gericht aussagte, hätte "eine weitere Diagnostik erfolgen müssen". Geschehen ist allerdings nichts. Das Pflegepersonal der Kreisklinik soll der Frau sogar unterstellt haben, eine Simulantin zu sein.

Als "nicht nachvollziehbar" hatte Hohenberger bezeichnet, dass die Ärzte die Patientin nicht sofort weiter untersucht hatten. Wären sie tätig geworden, hätten sie "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit" festgestellt, dass ein Verschluss des Dünndarms vorliegt, so der Experte. Hätte man dies erkannt, hätte man spätestens am Abend des zweiten Tages operieren müssen.

Unter Schmerzen musste die Frau stattdessen noch am dritten Tag des Klinikaufenthalts in die gegenüberliegende Radiologische Praxis laufen. Dort wurden Aufnahmen gemacht. Der behandelnde Arzt soll sich allerdings die Bilder nicht angesehen haben, weil sie ihm nicht vorlagen. Sein Kollege habe ihm nur eine telefonische Mitteilung gemacht, hatte er vor Gericht ausgesagt.

In der Nacht auf den 9. Juni 2008 musste die junge Frau in das Münchner Innenstadtklinikum der Ludwigs-Maximilians-Universität verlegt werden. So sehr hatte sich ihr Zustand verschlechtert. Die Ärzte versetzten sie in ein künstliches Koma. Als sie operierten, hatte die Frau mehrmals einen Herzstillstand. Die Ärzte diagnostizierten einen akuten Dünndarmverschluss, extreme Darmwucherungen, eine Blutvergiftung, Leberversagen und mehr. Laut dem Sachverständigen sei dies wahrscheinlich die Folge, weil in Wolfratshausen nicht operiert worden ist.

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