Konzertrezension:Trauer und Trost ganz nah

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Das A-cappella-Ensemble "Collegium Bratananium" unter der Leitung von Johannes Schachtner zeigte in der Wolfratshauser Kirche Sankt Michael im Wechsel mit Orgel-Intermezzi, gespielt vom Münchner Organisten Konstantin Esterl, dass in der Musik Trauer und Trost nebeneinander liegen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das Gautinger Ensemble Collegium Bratananium erweckt bei seinem Auftritt in der Wolfratshauser Michaelskirche mit Intelligenz und Klangsinn Psalmvertonungen zu neuem Leben. Doch der Wechsel zwischen Chor und Orgel irritiert auch einige Zuhörer

Von Paul Schäufele, Wolfratshausen

Welcher Seufzer könnte schmerzhafter sein als dieser: Mein Gott, warum? Und doch bleibt vom Konzert des Gautinger Collegium Bratananium in der Wolfratshauser Kirche Sankt Michael mehr als die Klangwerdung menschlicher Grenzerfahrungen. Das A-cappella-Ensemble unter der Leitung von Johannes Schachtner zeigt unter diesem Motto im Wechsel mit Orgel-Intermezzi, gespielt vom Münchner Organisten Konstantin Esterl, dass in der Musik Trauer und Trost nebeneinander liegen. Gemeinsam ist den Werken von Giovanni da Palestrina bis Rudolf Mauersberger die gemeinsame Textgrundlage: Es handelt sich um Psalmvertonungen.

"God is our refuge." Die kaum bekannte Mozart-Motette bildet eine Art Motto für das Chorkonzert. Zu den für Mozart geradezu kargen Klängen schreitet der Chor in den Kirchenraum und setzt sich in die ersten Bänke - ein wichtiges Zeichen, die Vertonungen der biblischen Texte sind als Äußerungen einer Gemeinde zu verstehen. Das anschließend einsetzende Orgelstück "Hell und Dunkel" der russischen Komponistin Sofia Gubaidulina lässt dagegen ratlos zurück. Nicht das Stück an sich. Die flirrenden Melodiefetzen, die sich gegen die schmerzhaften Toncluster wehren, könnten ebenso als Ausformung der unbeantworteten Ausgangsfrage "Warum?" betrachtet werden. Doch schon hier bezweifelt man den Wert des Programmmusters, jeweils ein Chorwerk und ein kürzeres Orgelstück im Wechsel aufzuführen.

Größer könnte der Kontrast zu Palestrinas Vertonung des 42. Psalms "Sicut cervus desiderat" nicht sein. Dieses Werk des unangefochtenen Meisters des Renaissance-Kontrapunkts ist eines seiner populärsten Werke. Die lichten Harmonien und die eingängige Melodik setzt das Collegium wunderbar ausgeglichen um. Unter Schachtners Dirigat findet das Ensemble das richtige Maß zwischen Gestaltung der Einzelstimme und dem Fortschreiten zu Akkorden. Das Ergebnis ist schlichter Ausdruck des im Psalm geäußerten Wunsches, Gott nahe zu sein.

Das Präludium mit Fuge fis-Moll der Jubilarin Clara Schumann - dieses Jahr wird ihr 200. Geburtstag gefeiert - ist ein Klavierwerk. Esterl selbst hat es für die Orgel bearbeitet. Das Stück bildet die Überleitung zu einem Werk Johann Michael Bachs, zu seiner Choralmotette "Unser Leben währet siebenzig Jahr". In der Interpretation des Collegium Bratananium wird die Raffinesse der Form besonders deutlich: Über einen vierstimmigen Satz, in dem von der Flüchtigkeit menschlichen Lebens die Rede ist, wird eine Choralstimme gelegt. Sie wird hier vom Solo-Sopran intoniert, der sich gegenüber dem Chor aufgestellt hat. Das verdeutlicht akustisch und räumlich die Beziehung zwischen Psalmtext und dem vom Geborgensein in Gott handelnden Choral "Ach Herr, lass dein lieb Engelein", den Johann Michael Bachs Schwiegersohn Johann Sebastian später ans Ende seiner Johannes-Passion setzen sollte.

Einen der Höhepunkte des Programms stellt Rudolf Mauersbergers Trauermotette "Wie liegt die Stadt so wüst" dar. Mauersberger verwendete Zitate aus den Klageliedern Jeremias, um die alte Frage nach dem Eingreifen eines Gottes zu stellen. Für ihn, den Kreuzkantor, stellte sie sich in besonderer Dringlichkeit 1945 angesichts eines von Bomben zerstörten Dresdens. Die musikalische Sprache, die er dafür fand, bewegt in der Schlichtheit ihrer Mittel: Akkorde, voll und klar intoniert, stehen neben hohlen Quint-Klängen in sanft wiegendem Dreiertakt. Frappierend kraftvoll tönt die Zeile "Warum willst du unser so gar vergessen", deren verzweifelte Ratlosigkeit der Chor voll erfasst.

Felix Mendelssohn Bartholdys Modell gewordene Psalmvertonungen Opus 78 bilden einen gelungenen Abschluss des Programms. Mendelssohn griff auf Elemente einer musikalischen Rhetorik zurück, deren höchste Ausformung er in Bach sah. Und in der Tat erinnern die drei Stücke in ihrer dramatischen Intensität an Stellen aus den Bachschen Passionschören. Das Collegium Bratananium verfolgt diese mitreißenden Ausdeutungen der Psalmverse mit Gespür für charakteristische Gestaltung. So klingt der Vers aus Psalm 2 "Lasst uns zerreißen ihre Bande" wie eine Horde wilder Männer, gegen die sich die Stelle "Aber ich habe meinen König eingesetzt" zart abhebt. Schon im Hinblick auf ein versöhnlich-tröstendes Ende klingen die warm strahlenden Akkorde des 43. Psalms, etwa wo der Gläubige seine Seele anspricht: "Harre auf Gott!" Am interessantesten dann der in der Passionszeit besonders relevante Psalm 22 ("Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"). Auf die vom Tenor solo vorgebrachte Frage reagiert der Chor mit verhaltenen, sich langsam aufklarenden Harmonien, doppelchörig, bis zum positiven "Denn der Herr hat ein Reich".

Woran es liegt, dass die Reaktion des ohnehin leider kleinen Publikums in der Kirche zurückhaltend ausfällt? Vielleicht am musikdramaturgisch schwer begründbaren Wechsel zwischen Chor und Orgel - wo man sich gerne länger auf die Chormusik einstellte, kommt das Instrument dazwischen; der Abend zerfasert. An der Qualität der Sänger liegt es jedenfalls nicht. Das Collegium Bratananium ist ein leidenschaftlich musizierendes Ensemble, das mit Intelligenz und Klangsinn vermag, die Psalmvertonungen zu neuem Leben zu erwecken.

© SZ vom 15.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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