Kammermusik-Reihe in Icking:Von der Nähe der Musik zur Magie

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Das Leonkoro Quartet hat bei seinem Auftritt im Ickinger Gymnasium unter Beweis gestellt, warum es zu den Weltklasse-Ensembles zählt. (Foto: Manfred Neubauer)

Diese vier gehören schon jetzt zu den Größten: Innerhalb kürzester Zeit hat das Berliner Leonkoro Quartet Weltklasse-Ruf erlangt. Dass das ganz zurecht passiert ist, beweist das Konzert, mit dem das Quartett die Ickinger Konzertreihe „Meistersolisten im Isartal“ eröffnet.

Von Paul Schäufele, Icking

Musik kann die Realität verbiegen. Je nachdem, was man hört, strafft sich die Zeit oder dehnt sich, bis zu einem Punkt, an dem sie stehen zu bleiben scheint. Das Leonkoro Quartet, das die Konzertreihe „Meistersolisten im Isartal“ am Samstag eröffnet hat, ist eines der seltenen Ensembles, das diese Nähe der Musik zur Magie auszuschöpfen weiß. Durch Sinn für die Dramaturgie ihres Programms, durch unbedingte Lust an charaktervoller Gestaltung gelingt es den vier Musizierenden, ihr Publikum in Icking von der ersten Note an in Bann zu ziehen.

Diese erste Note gehört zu Mozarts letztem Streichquartett (KV 590). Das 2019 gegründete Quartett belebt dessen Kopfsatz mit einer selbstverständlich galanten Noblesse, die sich vor allem in den Sechzehntelketten zeigt, rasanten Skalen, die die vier Streicher sich geschmackvoll zuspielen. Dass es dabei jedoch keineswegs um Klangschönheit um jeden Preis geht, machen etwa die matten Pianissimo-Stellen der Durchführung klar. Vielmehr folgt das Quartett einer Spielweise, die versucht, jeden Moment auf seinen eigenen Ausdruck hin zu untersuchen und ihn damit ins Große, Ganze zu integrieren. Das Andante führt so, nach langsamem Vortasten, in ein pures Cantabile, dem dabei nichts Schwelgerisches, Klebriges anhaftet, nur organisches Phrasieren.

Die Leonkoro-Ästhetik nimmt das ganze Werk in den Blick

Zu der Leonkoro-Ästhetik, die das ganze Werk in den Blick nimmt, passt deshalb auch, dass der Menuett-Satz relativ schlicht, spannungsarm daherkommt. Die Explosionen bewahrt man sich fürs Finale auf. Dort werden sie verlässlich gezündet, in den gewitzten Vorschlägen der ungarisierenden Melodie und den brausenden Dreiton-Gruppen, die durch alle Instrumente wandern.

Das musikantische Temperament des Mozart-Finales stellen die Leonkoros auch in Paul Hindemiths zweitem Quartett aus. Mit lebendiger Neugier und unermüdlichem Willen zur richtigen Gestaltung durchleuchten die vier den dichten Satz des 1918 fertiggestellten Werks. Das gilt für die bewegten Figuren des Anfangs ebenso wie für die geflüsterten Passagen (Hindemiths Spielanweisung: „gänzlich apathisch“), aus denen das Quartett mit umso größerer motorischer Energie wieder auftaucht. Jeglicher Vorbehalt, Hindemiths Musik sei sperrig oder schwer zu genießen, verflüchtigt sich bei den quasi tänzerischen, mit lebhaftem Staccato bereicherten Phrasen. Selbst der mittlere Variationen-Satz – er basiert auf einem nicht eben zum Nachpfeifen anregenden Thema – wird zum faszinierenden Klang-Kaleidoskop. Über groteske Wendungen und kapriziöse Quartett-Verfolgungsjagden gelangt man zu einer berückend zarten Marsch-Variation. Blitzsauber führt die erste Geige in hoher Lage den Satz an, dem sich die anderen Spieler wie in einer Prozession guter Geister anschließen, licht schimmernd.

„Ein Erlebnis!“, sagt eine Konzertbesucherin nach Hindemiths zweitem Streichquartett

Das umfangreiche Finale demonstriert einmal mehr Hindemiths Zug zum Musikantischen, dem sich das Leonkoro Quartet mit spürbarer Spielfreude ergibt. An Präzision nicht zu überbieten, streichen sich die vier energisch durch den Hauptsatz, um im Seitensatz („Sehr schwungvoll“) auf eine überraschend konsonante Partie zu treffen. Den Kontrast zwischen rasant vorwärtstreibender Moderne und mit nostalgischem Schwung versehener Vergangenheit gestaltet das Quartett aufs Schönste. Es sei verraten: Die Moderne gewinnt, die Romantik wird zur Tür rausgeworfen, das Opus 10 endet im Rausch der Schnelligkeit. Erste Bravo-Rufe für das famose Quartett. „Ein Erlebnis!“, sagt eine Konzertbesucherin.

Die vier Musiker bekamen begeisterten Beifall, eine Zugabe schenkten sie dem Publikum aber nicht. (Foto: Manfred Neubauer)

Maßstab für Quartettkunst bleiben indes für viele nach wie vor die Beiträge Beethovens zur Gattung. Mit Opus 132 hat sich das Leonkoro Quartet ein Stück mit beinahe legendärem Status ausgesucht. Kaum ein anderes Werk steht so sicher für das Sublime in der Musik wie Beethovens „Heiliger Dankgesang“. Doch das hält das Berliner Quartett nicht davon ab, zu zeigen, welche Lebendigkeit auch in den fünf Sätzen steckt.

Mit unverminderter Energie arbeitet das Quartett die Kontraste zwischen dem zerklüfteten ersten Thema des Kopfsatzes und den sanft fließenden Passagen des zweiten heraus, dabei sehr bewusstes Vibrato einsetzend. Simpel, unschuldig dreht sich der Ländler des zweiten Satzes, nur einmal wirkungsvoll unterbrochen durch das handfeste Bordunquinten streichende Trio. Alles eine langsame Hinwendung zum zentralen Satz, dem auskomponierten Danke Beethovens für überstandene Krankheit.

Vibratolos beginnt das Leonkoro Quartet den so archaisch dunkel anmutenden Gesang, um allmählich Licht in den Satz fallen zu lassen. Wenn schließlich der bewegte D-Dur-Teil einsetzt, wirkt das, trotz der strahlenden Klangqualität, nicht plötzlich, sondern wie der logische nächste Schritt einer langen Entwicklung. Am Ende steht die Auflösung in reinem Klang und der Beweis, dass Musik wirklich die Zeit anhalten kann. „Alla Marcia“ führt das Quartett das Publikum wieder ins Hier und Jetzt zurück und bildet damit eine Brücke zum obsessiv kreisenden Finale, dessen schlagartige Dur-Wendung am Schluss hier auch nicht unerwartet wirkt. Eher hat man den Eindruck, als hätte das Leonkoro Quartet einfach kraft seiner dramaturgischen Intelligenz ein klangliches Licht entzündet.

Der Beifall kommt begeistert und ausgiebig. Eine Zugabe schenkt das Quartet dem Publikum aber nicht – was hätte man diesem Programm auch noch hinzufügen können? Ein besseres Aushängeschild für die Ickinger Reihe, die mit diesem Konzert startet, gibt es also kaum. Zeigt das Leonkoro Quartet doch, welche immensen musikalischen Räume sich in der Aula des Rilke-Gymnasiums auftun können, wenn dort so feine Kammermusik stattfindet wie an diesem Abend.

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