Leiseste Streicher-Dissonanzen und geheimnisvoll getupfte Klaviertropfen vertreiben auch den letzten Rest Unruhe aus der Wolfratshauser Loisachhalle. Die Konzentration der Musiker überträgt sich unmittelbar auf das Publikum, nichts will es von dem verpassen, worauf die Geigerin mit einer kleinen Einführung neugierig gemacht hat. Dann, nach langsamer Steigerung: Explosion, Attacke! Souverän ziehen die drei Musiker alle Klangregister, immer wieder wechseln sie abrupt zwischen äußerster Lautstärke und fesselndem Pianissimo. Kurz vor Ende von Wolfgang Rihms Zehnminuten-Stück „Fremde Szenen III“ kehrt die intensiv gespannte Ruhe des Anfangs wieder und vergeht im Nichts - was für ein Auftakt im ersten Abo-Konzert des Konzertvereins Isartal mit dem Trio Orelon!
Orelon heißt Ohr in der Kunstsprache Esperanto. Judith Stapf (Violine), der Spanier Arnau Rovira i Bascompte (Cello) und der Pianist Marco Sanna aus Italien haben das Programm, mit dem sie derzeit in Europa touren, klug gewählt. Das ist zu erkennen, wenn man den Hintergrund zu Rihms irritierenden, dennoch fesselnden Stück ein wenig näher anschaut. Der im Sommer 2024 verstorbene Komponist sagte über seine drei „Fremden Szenen“: „Versuche über Klaviertrio - jene möbellastige Besetzung ... - wie in verlassenen Räumen kann hier Unerlaubtes geschehen.“ Robert Schumann nennt er ein „überlebensnotwendiges Erbe“. Ihn faszinierte dessen „ungeordnete Schreibweise“, „das Nebeneinander von Klarheit und trüben Stellen“, „das Kreiseln ohne Ziel und Wille“, das schon Schumanns Zeitgenossen verstört haben dürfte. Mehrere Kompositionen Schumanns tragen auch den Begriff „Szenen“ im Titel – Zufall?
Sehnsüchtige Melodieansätze wirken zugleich verloren
Es ist also konsequent, dass auf Rihm das zweite Klaviertrio F-Dur op. 80, des Romantikers folgt. Clara Schumann hat es wohl besonders geliebt. In ihm findet sich das von Rihm beschriebene Erratische. Sehnsüchtige Melodieansätze in einer Stimme können wie verloren wirken, so tonschön sie auch von den anderen umspielt werden. Überraschend prägt den ersten Satz aber die Melodie auf den Text „Dein Bildnis wunderselig“ aus Schumanns Eichendorff-Liederkreis; sie kehrt variiert immer wieder, man wird das Gesangsthema kaum mehr los, will es auch gar nicht. „Mit innigem Ausdruck“ steht über dem zweiten Satz. Das Trio Orelon spielt ihn so zärtlich, dass sich dabei einige Hände im Saal suchen und finden. Die eiligen, eigenwilligen Motive des letzten Satzes fügen sich zu einem typischen, aber nicht mehr wirklich sanglichen Schumann-Klang: Rihm liegt mit seinem „quälenden Stellungskrieg der musikalischen Gedanken bei Schumann“ gar nicht falsch.
Beim ARD-Wettbewerb 2023 gewann das Trio Orelon außer dem ersten und drei Sonderpreisen auch den so wichtigen Publikumspreis. Sie konnten eben nicht nur die Profis der Jury als hochklassiges Ensemble überzeugen, sondern gerade auch die Nicht-Fachleute packen. Greifbare Bühnenpräsenz, sehr persönliche Ausstrahlung beim Miteinander im Spiel, Durchhörbarkeit der Instrumente bei perfekter Klangbalance - und eine Prise Magie, all das ist auch in der Loisachhalle zu erleben, vor allem im a-moll-Trio op. 24 von Mieczysław Weinberg, einem 13 Jahre jüngeren Freund Schostakowitschs.
Klares Bekenntnis gegen Rassismus und diffamierende Hetze
Nachdem bereits Markus Legner, Vorsitzender des Konzertvereins Isartal, in seiner Begrüßung auf die rechtsradikalen Übergriffe in Wolfratshausen Bezug genommen und sich klar gegen Rassismus und diffamierende Hetze positioniert hat, greift auch der Pianist diesen Gedanken an dieser Stelle noch einmal auf. Sein klares Eintreten für Demokratie findet beim Publikum große Zustimmung.

Mieczysław Weinberg, ein polnisch-jüdischer Komponist, schuf sein Meisterwerk im Jahr 1945. Es ist beklemmend geprägt durch den Tod seiner Eltern und der Schwester unter den Nazis, vor denen er zweimal fliehen musste. Außergewöhnlich für ein Klaviertrio sind die langen Solopassagen einzelner Stimmen, denen die anderen lauschen, ehe sie selbst übernehmen. Ohnmächtige Wut bricht sich immer wieder Bahn in diesem halbstündigen Höllenritt durch die Emotionen. Nicht nur beim rasend-hämmernden Klavierbeginn des zweiten Satzes gibt es fassungslose Blicke des Publikums auf das Geschehen da vorn - und die verzweifelten Aufschreie, dieser irre Sog hört einfach nicht auf. Motivfetzen jüdischer Musik tauchen auf, schmerzhaft deutliche Verweise auf den tragischen Hintergrund. Selbst die traumschönen Moll-Dur-Momente des dritten Satzes täuschen Frieden nur kurz vor, ehe sie wieder in brutale Dissonanzen wegkippen. Frieden ist eine Utopie, den gibt es hier nicht. Und so tröstend Orelon den Schluss des dritten Satzes spielen, im Fugen-Finale dominiert wieder der düstere Duktus bis zum ersterbenden Ende des Werks, durch das vielleicht doch so etwas wie Hoffnung schimmert.
Wohl eine halbe Minute dauert die ergriffene völlige Ruhe bis zum verdienten Riesenjubel. Mit der Zugabe, einer Trio-Bearbeitung des „Januar“ aus Tschaikowskys Klavierzyklus „Jahreszeiten“, vom noch sehr bewegten Cellisten angesagt, kann das Trio Orelon das Publikum wieder ein wenig erden. Die gebannte Reaktion im gut besetzten Saal belohnte den Mut der Veranstalter zu einem derart fordernden Programm.