Konzert in Wolfratshausen:Stil mit Bruch

Konzert in Wolfratshausen: Christoph Brückner an der Orgel in Sankt Andreas - wenn er Gospel und Ragtime vereint, ist das ein unterhaltsamer Mix.

Christoph Brückner an der Orgel in Sankt Andreas - wenn er Gospel und Ragtime vereint, ist das ein unterhaltsamer Mix.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Christoph Brückners Orgel-Crossover in Sankt Andreas ist ein bisschen wie Château Lafite-Rothschild mit Cola

Von Paul Schäufele, Wolfratshausen

Freddy Mercury setzt sich an die Eisenbarth-Orgel, Van Halen lauscht andächtig auf der Kirchenbank, Elton John blättert im "Gotteslob". Das hört sich fantastisch an. Doch mit Musik ist das machbar, so am Samstagabend in der Wolfratshauser Kirche Sankt Andreas. Unter dem Titel "Organissimo - Magic Pipes - Grenzüberschreitungen" stellt der Kirchenmusiker Christoph Brückner sein Crossover-Programm vor. Im besten Fall kann man vergnügt zuhören, gelegentlich aber taucht unwillkürlich die Frage auf, wo der musikalische Mehrwert liegt, welches Publikum damit erreicht werden kann.

Im eröffnenden Stück klappt der Musik-Mix ganz gut. "Schönster Herr Jesus" trifft auf Queen, Choral und Rock vereinen sich. Vom Choral stammt die Melodie, die Begleitung und die eingefügten Überleitungen sind im Stile der (stilistisch zugegebenermaßen heterogenen) britischen Band. Das passt zusammen, weil die wummernden Akkorde, die aus dem Rock-Bereich zu stammen scheinen, wie eine leicht verfremdete, erweiterte Verarbeitung der Tonwiederholungen aus der bekannten Choral-Melodie wirken.

Auch das folgende Choral-Intermezzo nach Josef Gabriel Rheinberger (alle der an diesem Abend aufgeführten Stücke sind Bearbeitungen oder Improvisationen Brückners zu bekannten Melodien) geht gut ins Ohr. Brückner gestaltet das Melodiegerüst aus dem 19. Jahrhundert um zu einem eingängigen Extempore. Die Meditation über Rheinbergers Choräle wird zum pastoralen Klanggebilde.

Dass der eklektische Ansatz nicht immer glückt, zeigt sich vor allem in der zweiten Hälfte des Programms. "Lobet den Herren, alle die ihn ehren" ist einer der bekanntesten Choräle des Gesangbuchs. Da scheint es immerhin nicht uninteressant, eine Neuinterpretation zu hören. Es sollte schließlich nicht zu schwer sein, die originale Melodie nachzuverfolgen. Aber die Kombination des Kirchenlieds mit dem musikalischen Gestus der amerikanischen Hard-Rock-Band Van Halen geht nicht auf. Das klingt hingepoltert, merkwürdig planlos und konfus und wirft die alte Frage auf: Braucht es das? Und auch wenn die Frage an dieser Stelle allzu naheliegend ist, scheint sie angesichts der streckenweise recht unerfreulichen Klänge berechtigt. Zudem stellt Brückner sie selbst.

In seiner Begrüßung fragt der Musiker: "Darf man das überhaupt auf der Orgel? Ich sage ja, sonst landet die Orgel irgendwann im Museum." Das Ziel ist hoch, der Anspruch hehr. Und doch möchte man gerne entgegnen, dass das Konzept "Crossover", jedenfalls in der Form, wie es hier präsentiert wird, selbst schon museal geworden ist; nicht nur, weil schon Brahms Variationen zu einem Thema von Händel komponiert hat; auch nicht, weil Jacques Loussiers verjazzter Bach seit den Fünfzigerjahren seine Fans hat. Sondern vor allem, weil Stilmischungen dieser Art wahrscheinlich noch nie einen Menschen fürs Original begeistert haben, sondern, wenn überhaupt, für das neu entstandene Stück. Auf die Orgel bezogen kann man fragen: Wurde durch die Experimente Cameron Carpenters irgendjemand Bach-Hörer? Vermutlich entstanden dabei nur Carpenter-Fans. Freilich versucht Carpenter auf ganz andere Weise - und in anderem Maßstab - als Brückner, die Orgel zu retten, doch in einem Punkt treffen sie sich, der Einbeziehung radikaler Stilbrüche.

Dagegen ließe sich in extenso polemisieren, im Stile von "Wer mischt Château Lafite-Rothschild mit Cola?" Aber selbst wenn man diese Vorbehalte beiseite lässt, muss man feststellen, dass Brückners Montage von "Geh aus, mein Herz" und Tango-Klängen weder nach Choral noch nach Tango klingt, sondern nach Karnevalsmusik, zu der sich kostümierte Jecken übers Parkett schieben könnten.

Wenn Brückner aber Gospel und Ragtime vereint, klingt es schon anders. Sowohl Gospel als auch Rag waren und sind als Genres offen für Improvisationen. Das Ergebnis ist ein unterhaltsam-temperamentvoller Mix amerikanischer Musik. Vielleicht ließe sich daraus ein ganzes Programm gestalten? Die Zusammenstellung in ihrer jetzigen Form jedenfalls wäre es wert, nochmals überdacht zu werden.

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