Noch immer sind sie Raritäten, die Klavierabende, an denen mehr als zwei Hände an den Tasten sind. Dabei bietet das Repertoire Perlen vom Barock bis ins 20. Jahrhundert, wie ein begeistertes Publikum am Samstagabend in der Wolfratshauser Loisachhalle erleben durfte. Die Zwillingsschwestern Ani und Nia Sulkhanishvili haben die Vielfalt des Repertoires genauso präsentiert wie den Facettenreichtum des gemeinsamen Musizierens am Klavier.
Die selten gehörten "8 Variationen über ein Thema des Grafen von Waldstein" aus der Feder des jungen Beethoven fallen dabei eher noch in die Kategorie 'Hausmusik für Hochbegabte': ein gefälliges Thema, dann alternierend spritzige und sentimentale Variationen, die unter den Händen der Sulkhanishvilis immer formvollendet und elegant klingen. Den empfindsamen Beethoven modellieren sie mit fein abgestuften Harmoniewechseln und schlicht ausgesungenen Kantilenen, den Stürmer und Dränger mit zupackenden Akzenten und Skalen in artikuliertestem Staccato.
Ganz und gar nicht hausmusikalisch gestaltet sich Schuberts f-Moll-Fantasie, ein Hauptwerk des Komponisten, entstanden wenige Monate vor seinem frühen Tod. Oft ist die Fantasie deshalb in die Schablone eines ausgedehnten Schwanengesangs gepresst worden. Die beiden Pianistinnen versuchen etwas anderes: Das punktierte Thema des ersten Satzes spielen sie mit umwerfender Klangkultur, gesanglich und unverkitscht, in fließendem, nur an wenigen Stellen minimal gedehntem Tempo. Für die rätselhaft abrupten Wechsel von Dur nach Moll finden sie Klangdifferenzierungen, die zeigen, dass sich in Schuberts Musik die größten Abstände zwischen zwei Halbtönen befinden - hier klaffen Abgründe. Die wuchtigen Akkorde des zweiten Satzes geraten beinahe etwas zu breit und kantig, die Fis-Dur-Insel vor dem Scherzo wirkt dafür umso entrückter. Dieses, rasend schnell und dennoch präzis vorgetragen, scheint in seiner Schlankheit und seinem Witz schon Mendelssohn'sche Vertreter der Gattung vorwegzunehmen. Das Trio: Träumerei über unergründliche Modulationen, klangsinnlich gestaltet. Im Finale schließlich gelingt dem Duo trotz relativer dynamischer Zurückhaltung eine mitreißende Steigerung über polyphonem, durchsichtigem Stimmengeflecht.
Die 1941 entstandenen Paganini-Variationen des polnischen Neue Musik-Pioniers Witold Lutosławski gehören inzwischen zu den Reißern der musikalischen Moderne. Der Versuch, das oft bearbeitete Thema des Teufelsgeigers für das 20. Jahrhundert zu öffnen, führte bei Lutosławski zu einem Bravourstück für Extremvirtuosen. Die Schwestern Ani und Nia Sulkhanishvili nehmen es mit spielerischer Leichtigkeit, nicht ohne ein gelegentliches Lächeln aufblitzen zu lassen. Die unregelmäßigen Rhythmen, die extravaganten Akkorde, häufig repetiert, sind kein Problem; wirklich staunen machen allerdings die Pianissimo-Stellen, in denen hohle Quinten, mit lupenreinem Klang parallel geführt, die Saaltemperatur senken. Und doch: Dieser intellektuelle, bisweilen kühl wirkende Ansatz der Pianistinnen, durch den sie das Stück so souverän meistern, lässt den Zweifel zu, ob da nicht etwas vom explosiven Potenzial der Mischung Paganini/ Lutosławski verschenkt wurde.
Von diesem sich selbst zurücknehmenden Interpretationsgestus profitieren dagegen die Bach-Bearbeitungen des Ungarn György Kurtág: Zwei Stücke, ein langsames (Sonatina aus dem "Actus tragicus", inniger Dialog zwischen oben und unten), ein schnelles (Choralvorspiel zu "Allein Gott in der Höh sei Ehr", perlende Läufe). Zwei Stücke, und beide viel zu kurz.
Das Programm schließt mit zwei Werken, die als Orchesterstücke zu Berühmtheit gelangt sind. Mit Smetanas "Die Moldau" serviert das Duo eine publikumswirksame Einlage, der man anhört, dass das Original in der Tat für Orchester konzipiert ist. Lediglich der Nymphenreigen gewinnt hier Nocturne-Qualität und scheint eigens für diese Besetzung komponiert worden zu sein. Doch bei Ravels "Rapsodie espagnole" war das der Fall: Die Klavierfassung ging der Orchesterfassung voraus. Entsprechend 'pianistischer' ist auch das Ergebnis. Wobei die für Ravel so wichtige Klangmalerei die größte Interpretationshürde darstellen dürfte. Das Duo lässt aus fahlem Akkordnebel das spanische Lokalkolorit steigen. Das klingt teils brillant und schillernd, teils bewusst trocken und hart, bis man am Ende vom Farbenfest der finalen "Feria" direkt geblendet ist. Dass auch hier die stellenweise vertrackt schwierige Partitur mit äußerster (und sichtbarer) Gelassenheit interpretiert wird, versteht sich von selbst.
Bleibt nach zwei kurzen Zugaben nur noch die Frage, weshalb das Format Klavier-Duo-Abend nicht viel fester in den Konzertkalendern verankert ist? Das Repertoire reicht von Bach bis Lutosławski und die klanglichen Möglichkeiten sind, das wurde deutlich, unbegrenzt. Aber es spielt ja nicht jeder wie die Schwestern Sulkhanishvili.