Konzert in der Loisachhalle:Malerische Musik

Konzert in der Loisachhalle: Klangbilder - Bilderklang: "Singer Pur" haben für sich ein neues Gesangsformat geschaffen.

Klangbilder - Bilderklang: "Singer Pur" haben für sich ein neues Gesangsformat geschaffen.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Das A-cappella-Ensemble "Singer Pur" lässt zu Meisterwerken der Gemäldekunst Madrigale, Renaissance-Gesang und Zeitgenössisches bis hin zu Sting erklingen

Von Paul Schäufele, Wolfratshausen

Es ist kein Regelfall, wenn ein Ensemble, das - in variierender Besetzung - seit beinahe 30 Jahren besteht, Konzertsäle füllt und unverdrossen Preise sammelt, plötzlich ein neues Format ausprobiert. Doch die Sängerin und die fünf Sänger von Singer Pur sind eben kein gewöhnliches A-cappella-Ensemble. In der Wolfratshauser Loisachhalle haben sie ein neues Programm zwischen Hans Leo Hassler und Sting aus der Taufe gehoben, bei dem zu erstklassiger Musik Meisterwerke der Gemäldekunst präsentiert werden.

Am Anfang kann das noch etwas naiv wirken. Wenn zu dem ausgewogen-anmutig-schönen Madrigal "Vaghi capelli aurati" von Luca Marenzio die ausgewogen-anmutig-schöne Botticelli-Venus gezeigt wird, denkt man schon, zu offensichtlich seien die Bezüge zwischen Gesehenem und Gehörtem. Doch beim nächsten Madrigal (der erste Programmteil ist der Renaissance gewidmet) wird die historische Brücke zum 19. Jahrhundert geschlagen. Zu Giaches de Werts Gesang vom Jammertal des Liebenden sieht man William Turners Blick auf das raue Aostatal. Zum bei aller Verzweiflung formstrengen und logisch nachvollziehbaren Vokalwerk tritt so der höchst subjektive Zugang des romantischen Malers, in dessen Bild man sich verlieren kann. Das spricht nicht gegen die Gesangsleistung, im Gegenteil.

Die Madrigale gehören zum Standardrepertoire von Singer Pur, nicht nur dadurch die würdigen Nachfolger des weltberühmten Hilliard Ensembles, mit dem sie auch gemeinsam musizierten. Was diesen wie jenen eignet, ist die Fähigkeit, das Madrigal zur wohl demokratischsten musikalischen Gattung zu machen. Die Summe ist wichtig, aber wo wäre man ohne die einzelne Stimme? So verbindet sich idealer Zusammenklang mit der Möglichkeit, auch jedes der sechs Stimmtimbres identifizieren zu können. Das geschieht so natürlich und beiläufig, dass man auch auf angenehme Weise abschweifen darf.

Die Fähigkeit, flexibel zu charakterisieren, zeigt sich bei einem so anders gearteten Stück wie der 2014 entstandenen Max-und-Moritz-Vertonung des Hamburger Komponisten Wolf Kerscheck. Leicht angejazzt und augenzwinkernd in Musik umgesetzt, dabei mit Charme und Humor aufgeführt, sorgt das Stück zu Wilhelm Buschs Zeichnungen für Schmunzeln im Publikum - wer hätte gedacht, dass zwei Lausbuben zwischen Mühlsteinen ein so angenehmes akustisches Phänomen ergeben? Mit dem dritten, "Lied und Landschaft" überschriebenen Programmteil bleibt das Ensemble im 20. Jahrhundert, doch es wird ernster. Mit George Gershwins Evergreen "Summertime" aus "Porgy and Bess" erzeugen die sechs Vokalisten die Atmosphäre schwüler Arbeitstage auf dem Feld, bevor mit "Liquid Days" von Philip Glass populär gewordene Minimal Music erklingt. Ein Gemälde von Piet Mondrian ergänzt die auf schlichten Akkordwiederholungen aufgebaute Komposition, die in ihrer harmonischen Blockhaftigkeit stellenweise nach Orgel klingt.

Ganz anders die "Höstvisa" (Herbstweise) der finnisch-schwedischen Komponistin Erna Tauro, die in ihrer volksliedhaften Einfachheit schon auf die Lieder nach der Pause hinweist, wie auch der Sting-Song "Fields of Gold". Für den britischen Musiker hat Singer Pur eine Vorliebe, zu Recht, wenn man hört, wie natürlich sich die Pop-Melodien in das Klangprofil des Ensembles einfügen.

Für die ausgewählten Volksliedbearbeitungen (zum größten Teil von Johannes Brahms) bieten die im Bühnenhintergrund zu sehenden Bilder eine Bereicherung. Die harmonisch von Brahms aufgewerteten Melodien erhalten so noch eine zusätzliche Deutungsebene, reichen tiefer. So etwa, wenn zu dem musikalisch eher banalen "All meine Herzgedanken" Paula Modersohn-Beckers "Mädchenkopf vor einem Fenster" zu sehen ist, der die stille Nachdenklichkeit des Chorsatzes zur Geltung bringt. Oder bei "Darthulas Grabgesang", das von John Everett Millais' "Ophelia" begleitet wird. Doch die zart intonierte Dur-Wendung "Wach auf, Darthula" wäre auch ohne Augenmusik schon spektakulär.

Die vielleicht schönsten Bild-Ton-Kombinationen bietet der Schlussteil dieses Konzerts, bei dem der Tanz im Mittelpunkt steht. Es ist auch ein Tanz durch die Musikgeschichte, selten sieht man Hans Leo Hassler, Meister der Renaissance-Polyphonie, neben Irving Berlin, der zwar auch gut, aber weniger polyphon komponiert hat.

Was aber auch den letzten noch von der Sinnhaftigkeit des neuen Konzepts überzeugt haben dürfte, ist die Nebeneinanderstellung von Ferdinand Hodlers "Blick in die Unendlichkeit" und Stings Protestsong "They dance alone". Bild, Text und Ton greifen hier so gelungen ineinander, dass es nicht verwundern würde, wenn die fünf Schönen mit den traurigen Augen auf Hodlers Bild anfingen, sich aus dem Gemälde zu tanzen.

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