Kommunalwahl in Bad Tölz-Wolfratshausen:Von Gemeinwohl und Alleinstellungen

Die Ökologisch-Demokratische Partei ist zurück im Landkreis: Durch Mitgliederzuwachs treten 50 Mitglieder und Sympathisanten zur Wahl für den Kreistag an. Die Spitzenkandidaten stellen ihr Wahlprogramm vor

Von Marie Heßlinger, Wolfratshausen

In seinem früheren Leben vor zehn Jahren war Manuel Tessun Investmentbanker einer großen Bank. Dann kam die Wirtschaftskrise. "Ich habe gemerkt, dass die Banken nichts daraus gelernt haben." Der erste Bruch mit dem alten Leben. Es folgten eine Weltreise, die Geburt einer Tochter und das Erstarken der AfD bei der Europawahl. Tessun trat in die Ökologisch-Demokratische Partei (ödp) ein, "weil sie die einzige Partei ist, die keine Konzern- und Firmenspenden annimmt und somit lobbyfrei ist." Knapp ein Jahr später ist der 42-Jährige ihr Spitzenkandedat für die Kreistagswahl. Er wirbt für Gemeinwohlökonomie.

Volksbegehren ´Artenvielfalt - Rettet die Bienen"

"Ach, ihr seid doch die Bienenretter!", hörten die ödp-Spitzenkandidaten oft, als sie Unterschriften für die Kreistagswahl sammelten. Dabei stellte die ökologische Partei schon vor 24 Jahren den ersten Kreisrat im Landkreis.

(Foto: Lino Mirgeler/dpa)

Drei Alleinstellungsmerkmale habe seine Partei, sagt Tessun, "Das erste ist das wachstumskritische Denken." Zusammen mit Monika Achermann-Weinert, zweiter Listenkandidatin der Partei, sitzt er an deren Küchentisch in Weidach und stellt das Wahlprogramm jener Partei vor, die durch das Volksbegehren "Rettet die Bienen" in München bekannt wurde. "Wir sind alle nur noch geldgesteuert", kritisiert Tessun. "Den Wohlstand, den wir heute haben, könnten wir aber auch mit weniger Wachstum gut halten." Dazu jedoch sei ein Umdenken nötig, welches das Gemeinwohl in den Vordergrund und individuellen Profit in den Hintergrund stelle. So, wie es der Artikel 151 der Bayerischen Verfassung vorsehe: "Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl", heißt es darin.

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Die ödp schlägt eine Gemeinwohlbilanz vor, die jedes Unternehmen im Landkreis ziehen müsse. "Da steht drin: Wo habe ich Natur zerstört, Menschen ausgenutzt. Und umgekehrt: Wo habe ich Mitarbeiter weitergebildet, Artenvielfalt gefördert", sagt Tessun. Unternehmen, die sich mehr am Gemeinwohl bedienen, als sie dazu beitragen, sollen im Landkreis eine höhere Gewerbesteuer zahlen, so die Idee der ödp.

Eine zweiter Schwerpunkt der ökologischen Partei: "Bäuerliche Landwirtschaft fördern", sagt Tessun, "Da liegt der Schwerpunkt auf 'bäuerlich' im Gegensatz zu industriell." Nachdem die ödp im vergangenen Jahr mit ihrem Volksbegehren den Freistaat zu mehr Artenschutz verpflichtete, gehe es nun um die konkrete Umsetzung jener Forderungen. "Da ist es so, dass viele Parteien nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, dieses Gesetz auszuhebeln", sagt Tessun. Bei der Umsetzung der Pläne sei die Kommunikation zwischen Bauern und Verbrauchern wichtig. Achermann-Weinert ergänzt: "Sonst entstehen Traktorendemos, bei denen Bauern sagen: Ihr gebt uns Auflagen und wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen." Bauern müssten besser vergütet werden, wenn sie an ihre Felder angrenzende Natur pflegen würden. Das fließe schließlich ins Gemeinwohl ein.

Kommunalwahl 2020

Manuel Tessun hat früher für eine große Bank gearbeitet. Heute ist er für Gemeinwohlökonomie.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Das dritte Alleinstellungsmerkmal der ödp im Wahlkampf: "Unser Ziel ist es, den Ausbau von 5 G auszusetzen, bis entweder die gesundheitlichen Risiken ausgeschlossen sind oder, falls es sie gibt, den Ausbau ganz einzustellen", sagt Tessun. Die Strahlenbelastung durch 5 G sei hoch. Tessun spricht sich deshalb für Alternativen wie den Glasfaserausbau im Landkreis aus. "Privatleuten, die ihr Grundstück für 5 G-Masten zur Verfügung stellen, ist meistens nicht bewusst, dass sie für die Schäden haften", sagt Tessun, auch viele Bürgermeister seien verunsichert. Achermann-Weinert sagt: "All das ist zusammenzufassen unter dem Vorsorgeprinzip." Mögliche Schäden für Mensch und Umwelt sollen im Voraus vermieden werden. Vorsorge ist ein wichtiges Thema für die Hebamme. "Soziales, Bindung und Bildung", nennt sie ihre politischen Schwerpunkte, vor allem die Bindung: "Die ersten Jahre in der Kindheit sind so prägend für die Gesundheit, Lernfähigkeit, Belastbarkeit im Leben." Gerade durch schlechte Bindungserfahrungen entstünden erhebliche Kosten im Gesundheitswesen. Die Mutter zweier Kinder will sich deshalb für kostenlose Schwangerschaftsvorbereitungskurse im Landkreis einsetzen. Auch Waldkindergärten will sie schützen und Gesundheitsprojekte an Schulen fördern: Kinder im Landkreis sollen ihren eigenen Körper besser verstehen lernen.

Die 47-Jährige fordert darüber hinaus, jene Mütter finanziell zu unterstützen, die ihre Kleinkinder nicht in eine Krippe geben. "Wenn eine Frau sagt, ich will die Arbeit selbst leisten, dann soll sie dafür finanziell entlohnt werden", fordert Achermann-Weinert. Häufig werde sie gefragt, wo der Unterschied zwischen ödp und Grünen sei. "Die Grünen gehen in diese eine Richtung: Möglichst viel frühe Kinderbetreuung", sagt Achermann-Weinert. Sie stehe dem kritisch gegenüber.

Und der Unterschied zur CSU? "Wenn ich mir das Wahlprogramm der CSU abschaue, dann habe ich das Gefühl, dass die CSU das bei uns abgeschrieben hat", scherzt Tessun. Er fügt hinzu: "Die CSU ist natürlich eine Partei, die massiv am Tropf der Lobbyisten und Großunternehmen hängt."

In den Rathäusern im Landkreis haben 572 Menschen zwischen Weihnachten und Lichtmess ihre Unterschriften für die ödp abgegeben. Damit kann die ökologogisch-demokratische Partei zur Kreistagswahl antreten. Bereits 1996 saß ein ödp-Mitglied im Kreistag, 2002 und 2008 waren es jeweils zwei. 2012 löste sich der ödp-Kreisverband auf und war in der vergangenen Legislaturperiode nicht im Kreistag vertreten.

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