Wahlkampf einmal anders, nicht in der Konfrontation, sondern im Nebeneinander: Beim SZ-Lesercafé am Donnerstagabend in den Ratsstuben haben alle vier, die ins Chefzimmer des Geretsrieder Rathauses einziehen möchten, ihren eigenen Tisch. Die Besucher können von einem zur anderen wechseln und alle einzeln befragen. Das nutzen etwa hundert Interessierte lebhaft und fragen ein breites Themenspektrum, vom Wohnen bis zum Verkehr, ab. Am Ende sind die Kandidatin fürs Bürgermeisteramt und ihre drei Mitbewerber genauso zufrieden wie das Publikum: Es habe sich gelohnt, so heißt es unisono, es einmal mit einer Alternative zur klassischen Podiumsdiskussion zu versuchen.
Michael Müller
Vielfältig sind die Themen, die am Tisch des amtierenden Bürgermeisters Michael Müller (CSU) zur Sprache kommen: Von Zuzug und bezahlbarem Wohnraum für alteingesessene Geretsrieder über Pläne für das alte Hallenbad bis hin zur neuen Tiefgarage am Karl-Lederer-Platz. Josef Orthuber, Chefarzt der Kreisklinik Wolfratshausen, berichtet, dass einige Krankenschwestern große Mühen hätten, einen Betreuungsplatz für ihre Kinder zu finden. Eine suche schon seit zwei Jahren vergeblich. In der Kinderbetreuung sehe er eine Herausforderung der nächsten Amtszeit, pflichtet Müller ihm bei; er wolle sich für lückenlose Angebote einsetzen. Der Bau eines Kindergartens sei im Haushaltsplan vorgesehen. Ein Problem sei aber der Fachkräftemangel. Einen Kindergarten in städtischer Trägerschaft halte er für schwierig, führt er weiter aus und plädiert dafür, bei freien sozialen Trägern zu bleiben.
Zur Sprache kommen auch Müllers Visionen für die Kulturentwicklung der Stadt. Für den amtierenden Bürgermeister ein "ganz wichtiges Thema". Er kann sich nach der Verlegung der B11 ein kulturelles Zentrum am Rathaus vorstellen. Auch werde durch den Bau des Bürgerhauses im Stadtteil Stein die Möglichkeit für ein kulturelles Subzentrum mit Raum für bis zu 200 Personen geschaffen. Sein Kulturkonzept für die Zukunft sehe vor, qualitativ hochwertige Kunst im öffentlichen Raum zu fördern und einen Arbeitskreis für Kulturschaffende zu initiieren.
Der Geschäftsführer des Isar-Kaufhauses Frederik Holthaus sorgt sich darum, ob es während der Bauphase an der Egerlandstraße, wo neue Wohn- und Geschäftshäuser der Baugenossenschaft entstehen, ein Baustellenmarketing mit der Cima geben werde, wie auch schon beim Karl-Lederer-Platz. Hier antwortet Müller mit einem klaren Ja: "Ich stehe dafür ein, dass Wirtschaftsförderung Chefsache ist."
Martina Raschke
Wie halten Sie's mit der Windkraft? Diese Frage ist einem Leser so wichtig, dass er eigens von Kochel ins SZ-Lesercafé nach Geretsried gekommen ist. Die Grünen-Kandidatin Martina Raschke vertritt die Grundsatzhaltung ihrer Partei: für eine Abschaffung der 10-H-Abstandsregel. Allerdings schränkt die Mitbegründerin der Bürgerstiftung Energiewende Oberland ein: Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen gebe es wenig geeignete Standorte. Für Geretsried wünsche sie sich ohnehin erst einmal eine konsequente Nutzung der Sonnenenergie, konkret Photovoltaik auf jedem zweiten Dach. Dem besorgten Kochler, der "beim Skifahren nicht über jedem Bergrücken ein Windrad sehen" möchte, signalisiert Raschke Entwarnung.
Ohne dezidierte Antwort bleibt die Frage einiger Besucher, ob die Grünen-Kandidatin das geplante große Wohnprojekt der Krämmelgruppe an der Banater Straße befürworte. Raschke sagt, sie habe sowohl mit Krämmel als auch mit Vertretern von Bauer-Uniccomp gesprochen - jenem Unternehmen, das bei einem benachbarten Wohngebiet um seinen Bestand bangt. "Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust", sagt sie. Da aber das Wohnprojekt ohnedies wegen der zur erwartenden Klage von Bauer auf Jahre hin verzögert werde, würde sie sich einen Alternativstandort wünschen. Sie lässt anklingen, dass dafür die Böhmwiese in Frage kommen könnte. Es sei ja noch nicht entschieden, was dort geschehen soll.
Mit einem klaren Ja antwortet sie auf die Frage von Eva Eberhardt, ob sie tatsächlich dagegen sei, dass die Bundesstraße 11 in Geretsried vierspurig ausgebaut wird. Neue Straßen provozierten immer neuen Verkehr, sagt Raschke. Man sollte sich lieber darauf konzentrieren, den Öffentlichen Personennahverkehr und Radwege auszubauen: "Ich setze darauf, die Menschen zu überzeugen, dass sie nicht mehr so viel Auto fahren." Und Volker Reeh (Geretsrieder Liste), dem Hochhaus-Gegner, erwidert die Grüne auf die Frage nach ihrer persönlichen Höchstgrenze für Geretsried schnörkellos: Zehn bis zwölf Etagen, je nach Gebiet. Gleichzeitig fordert sie nachhaltiges Bauen und Dachbegrünung.
Wolfgang Werner
Neben Themen wie Kinderbetreuung, Digitalisierung an Schulen, dem Bau der dritten Grundschule, dem Klimawandel oder dem Bauen und Wohnen in Geretsried wird am Tisch von SPD-Kandidat Wolfgang Werner die Frage nach der Zukunft des alten Hallenbads am Isarau-Stadion angeschnitten. Seine Antwort: "Das Isarau-Areal muss komplett neu geplant werden." Er wünsche sich einen Kunstrasenplatz und weitere sportliche Angebote. Pläne dafür lägen schon seit sechs Jahren auf dem Schreibtisch des amtierenden Bürgermeisters, so Werner. Er wolle sich, falls er gewählt wird, "auf jeden Fall darum kümmern". Maria Burger macht darauf aufmerksam, dass es auch an kleinen Sporträumen wie etwa Gymnastikräumen fehle. "Das müssen wir forcieren", entgegnet Werner. Außerdem ist er entschieden gegen die erneute Einführung von Hallennutzungsgebühren. "Ich habe mich für die Abschaffung eingesetzt, und dabei soll es auch bleiben."
Die Frage nach Kultur in Geretsried beantwortet Werner mit der Möglichkeit eines Kulturzentrums auf der Böhmwiese, die derzeit noch jenseits der B 11 liegt. Bei all den Vorhaben im sportlichen und kulturellen Bereich wisse er aber auch, dass es einen Investitionsstau gebe und für die kommende Amtszeit schon große Ausgaben im Haushalt stünden.
Das neue Stadtzentrum rund um den Karl-Lederer-Platz beschäftigt viele Besucher: Bleibt das Parkhaus kostenlos? Was soll neben Aldi und Edeka die Innenstadt attraktiv machen? Bis sich das Stadtzentrum etabliert habe, solle die Tiefgarage zumindest für begrenzte Zeit kostenfrei bleiben, sagt der SPD-Kandidat. Auf die drängende Frage von Volker Reeh, welcher Einzelhändler in die geplanten "Mikroshops" an der Egerlandstraße mit nur 30 Quadratmetern einziehen solle, sagt Werner: "Ein Kiosk oder ein Tabakladen - mehr fällt mir da leider auch nicht ein."
Larry Terwey
Der FDP-Kandidat muss sich zunächst ein paar ziemlich persönliche Fragen gefallen lassen: Larry Terwey ist bereits zum dritten Mal verheiratet. Zudem wechselt er als IT-Berater alle drei bis vier Jahre den Job. Stadträtin Sonja Frank, deren Freie Wähler keinen eigenen Kandidaten aufgestellt haben, möchte deshalb sichergehen, dass sie im Zweifel mit ihrem Kreuzchen nicht ein Stück Unstetigkeit ins Rathaus wählt. Eine schon ziemlich private Angelegenheit. Aber Terwey reagiert vollkommen gelassen. "Das ist völlig in Ordnung", sagt er, plaudert ein bisschen aus dem Nähkästchen und bilanziert auch seinen beruflichen Werdegang. "Ich baue eben gerne etwas auf", sagt der 54-Jährige. Nach ein paar Jahren sei seine Aufgabe jedoch meistens erledigt, dann ziehe er weiter. "Stadtverwaltung ist aber natürlich etwas Längerfristiges", sagt Terwey. "Da ist man nicht nach zwei Jahren fertig."
Ansonsten muss Terwey zu sehr vielfältigen Themen Stellung beziehen: Parkgebühren im Zentrum ("Da sollten die ersten zwei, drei Stunden frei sein"), ein Bürgerzentrum für die Innenstadt ("Das würde Geretsried-Mitte guttun") oder einen Fußballplatz auf dem Gelände des alten Hallenbads ("Warum nicht diskutieren?"). Ingrid Feiglbinder von der Turnabteilung des TuS Geretsried möchte zudem Terweys Haltung zur Wiedereinführung der Sportstättennutzungsgebühr wissen. "Da bin ich aus dem Bauch heraus dagegen", sagt der FDP-Kandidat. Vor seiner Zeit in Geretsried sei er selbst einmal Hauptkassier beim SC Vachendorf gewesen. Er wisse also, dass manche Leute selbst die Vereinsbeiträge nur mit Müh und Not zusammenkratzen könnten. "Und Sport und Kultur sollten für jeden zugänglich sein", so Terwey.
Auf die Frage, was er in seinen ersten 100 Tagen anpacken wolle, sollte er denn Bürgermeister werden, hat Terwey eine klare Antwort: Er wolle den Kommunikationsstil im Rathaus ändern. Michael Müller bügele die Leute mitunter sehr harsch runter. "Eigentlich haben wir eine Diktatur in Geretsried", so Terwey. Aus seiner Zeit an der Spitze verschiedener Firmen sei er es gewohnt, Unternehmen in der Größe der Geretsrieder Stadtverwaltung zu führen. Und da habe durchaus immer ein anderes Miteinander geherrscht.