Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Zeit, den Tourismus zu überdenken

Das geplatzte Projekt am Herzoglichen Alpenhof mag den Investor ärgern - für die Natur ist es ein Gewinn

Von Benjamin Engel

Verständlich erscheint, dass mancher Einheimische das gescheiterte Tourismusprojekt gut gefunden hätte. Denn das frühere Hotel Herzoglicher Alpenhof in der Hinterriss steht lange leer. Eine ungenutzte Immobilie ist immer traurig anzusehen. Diesen Anblick hätte ein Investor beenden sollen. Eine Werbevideo für die All-Suite Residence Karwendel versprach 28 Freizeitwohnsitze und 20 Investitionsimmobilien. Das hätte den verwaisten Tourismusstandort in Alleinlage südlich des Dorfes Hinterriss beleben sollen. Doch das Projekt scheiterte wohl an zu wenig Nachfrage.

Das mag den Investor und den Eigentümer des Grundstücks finanziell enttäuschen. Trotzdem ist es gut, dass nicht gebaut wird. Das gibt die Zeit, um über den Tourismus in einer sensiblen Bergregion wie dem Karwendel nachzudenken. Realisiert werden sollte das Projekt mitten im ältesten Tiroler Schutzgebiet und dem größten Naturpark Österreichs, wie es auf der Homepage des Alpenparks Karwendel heißt. Das Karwendelgebiet mit seiner vielfältigen natürlichen Flora und Fauna hat aber schon jetzt genügend Freizeitgäste.

Hätte sich mit der Naturschönheit wirklich eine weitere Tourismusdestination mit 48 Wohneinheiten vertragen? Die Architektur mit holzverschalten Fassaden und begrünten Dächern passt nahtlos zu vielen Investorenprojekten in den Alpen. Doch die drei kubistischen Blöcke könnten in ihrer ortsungebundenen Belanglosigkeit auch gut in einem der Neubaugebiete der bayerischen Landeshauptstadt stehen. Die Werbebotschaft, dass das Projekt nur eine Stunde von München entfernt sei, könnte aber getrost in die Kategorie "Alternative Fakten" eingereiht werden. Die passende Infrastruktur für derartige Investorenprojekte mit Bergbahnen und Nobelgastronomie ist im Alpenraum zudem schon genügend verbreitet. Das Karwendel sollte natürlicher bleiben.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2020
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