Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Ran an die Bürger!

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Auch für moderne Info-Politik braucht es ein dickes Fell, selbst "postfaktische" Kommentare gehören zur Demokratie.

Von Klaus Schieder

Josef Janker gehört nicht zu den Bürgermeistern, die eine arg dünne Haut haben und selbst sachte Kritik als Majestätsbeleidigung auffassen. Umso verblüffender, dass er in der Weihnachtssitzung des Stadtrats ziemlich unwirsch seinen obligatorischen Jahresrückblick aufs Allernötigste kürzte. Seine Erklärung: Interessiert ja doch keinen in Tölz. Sprach da ein Gekränkter, der seine Arbeit von den Bürgern zu wenig belobhudelt sieht? Der Verdacht liegt nahe, trifft aber auf Janker nicht zu. Ganz einfach deshalb, weil er die Verantwortung für das von ihm ausgemachte Aufmerksamkeitsdefizit an der Stadtpolitik nicht anderen in die Schuhe schiebt. Nicht den lokalen Zeitungen, die seiner Ansicht nach gründlich berichten. Schon gar nicht den Bürgern, die keine Holschuld haben, um an Informationen zu kommen.

Janker hat Recht, wenn er den Hebel im Stadtrat und im Rathaus ansetzt. Es reicht eben nicht aus, wenn die Mandatsträger in den Sitzungen ihre Argumente darlegen und darauf vertrauen, das werde dann in der Bevölkerung schon irgendwie ankommen und verstanden. Sie müssen selbst mehr rausgehen, das Gespräch mit den Bürgern suchen und die aktuellen Projekte erläutern - dieser Aufruf des Bürgermeisters an die Stadträte und an sich selbst gehört eigentlich zu ihrer Jobbeschreibung.

Es genügt auch nicht, wenn eine Kommune ihre Einwohner fünf Mal im Jahr über eine eigene, leicht angestaubt wirkende Zeitung zu unterrichten versucht. Im Zeitalter von Facebook und Twitter muss sie in den sozialen Medien stark präsent sein, ihre Vorhaben und die Hintergründe dazu erklären, Fragen beantworten - auch da liegt Bürgermeister Janker richtig.

Am Ende wird eine moderne Info-Politik nicht dazu führen, dass alle Adressaten in Lob- und Dankgesänge auf die Ratsbeschlüsse verfallen. Darum geht es dem Tölzer Bürgermeister auch nicht. Ihn fuchsen die falschen Behauptungen, die seiner Ansicht nach über städtische Vorhaben gestreut werden, sei es im Internet, sei es in Leserbriefen. Aber selbst "postfaktische" Kommentare gehören zur Demokratie, sofern sie nicht unter Hetze und Beleidigung fallen. Da sollte ein Bürgermeister dickhäutig sein.

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Quelle:
SZ vom 22.12.2016
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