Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Konfrontation, die nottut

Die Ausstellung "Von ganz unten" im Erinnerungsort Badehaus erzählt nicht nur über die heutige Situation von Flüchtlingen

Von Felicitas Amler

Wir müssen aus der Geschichte lernen: Das ist ein zentraler Satz im Schulunterricht, in KZ-Gedenkstätten, überhaupt an Erinnerungsorten. Er sagt sich allerdings so viel leichter, als er sich umsetzen lässt. Und oft fragt man sich, ob es wirklich der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bedarf, um zu verstehen, wie Menschen mit Menschen nicht umgehen dürfen. Im Badehaus Waldram-Föhrenwald werden Besucher mit einem der schlimmsten Menschheitsverbrechen konfrontiert, mit der Nazi-Diktatur, der Zwangsarbeit in der NS-Rüstungsmaschinerie, dem Todesmarsch der KZ-Häftlinge und dem Leid der Überlebenden der Shoah. Und nun, in einer Sonderausstellung, geht es wieder um Elend, Qual und Tod. Nüchterne Fotografien machen auf ein ganz heutiges Thema aufmerksam: das Schicksal Tausender Flüchtlinge, von denen es so viele nicht einmal bis in den vermeintlich sicheren Hafen Europa schaffen.

Aufmerksamkeit: Genau das ist ja erst einmal die Grundlage, damit wir etwas aus der Geschichte lernen können. Es ist nie dieselbe Geschichte, sie wiederholt sich nicht eins zu eins. Aber es sind ganz ähnliche Ängste, welche die Menschen plagen, es ist ein schier unendliches Ausmaß an Leid, und es sind, wenn es um Flüchtlinge geht, oft vergleichbare Erfahrungen. Im Badehaus lässt sich das an der Audiostation in der Abteilung über die Ansiedlung kinderreicher Heimatvertriebener in Föhrenwald nachhören. Den Flüchtlingen, so wurde seinerzeit geschimpft, den Flüchtlingen werde doch alles geschenkt, während die Ortsansässigen . . . Es kommt einem nur zu bekannt vor. Und weil es diese Parallelen gibt, endet der Gang durchs Badehaus mit drei Fotos an einer Wand - Bahnhofsszenen, einmal deutsche Heimatvertriebene, einmal südeuropäische Gastarbeiter und schließlich Asylsuchende.

In der Sonderausstellung "Von ganz unten" ist der Blick weitaus beunruhigender. Hier geht es nicht um jene, die angekommen sind, sondern um jene, die ertrunken sind beim verzweifelten Versuch, in einer geschützten Welt zu landen. Das Badehaus ist kein politischer Club, in dem Konsequenzen und Forderungen daraus diskutiert werden. Aber indem es die Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart schlägt, lädt es dazu ein, dies zu tun. Politiker, Lehrer, Eltern sollten die Gelegenheit nutzen. Es lässt sich viel daraus lernen.

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Quelle:
SZ vom 03.12.2019
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