Ukrainischer Chor:Kinderstimmen gegen den Krieg

Ukrainischer Chor: Tetiana Vysokolian unterrichtet die "Perlen der Ukraine" zwei Mal wöchentlich in ihrer Wohnung in Kochel am See.

Tetiana Vysokolian unterrichtet die "Perlen der Ukraine" zwei Mal wöchentlich in ihrer Wohnung in Kochel am See.

(Foto: Manfred Neubauer)

Tetiana Vysokolian hat in Kochel am See einen Kinderchor gegründet. Die "Perlen der Ukraine" sollen den jungen Mitgliedern helfen, die Geschehnisse in der Heimat zu verarbeiten.

Von Emiliia Dieniezhna, Kochel am See

In einer kleinen Wohnung in Kochel am See versammeln sich an diesem Donnerstag wieder zehn ukrainische Kinder, um zusammen zu singen. Die Kinder sind zwischen fünf und 13 Jahre alt, manche gehen noch in den Kindergarten, andere sind Teenager. Aber alle sind sehr glücklich, einander zu sehen. Sie knuddeln miteinander, lachen und weinen vor Freude. Musik vereint. Musik tröstet. Und Musik spendet Zuversicht.

Tetiana Vysokolian, Künstlerin und Kunstlehrerin aus Kiew, unterrichtet schon seit mehreren Monaten ehrenamtlich die ukrainischen Kinder. Den Chor hat sie "Perlen der Ukraine" genannt. Zuerst hat Tetiana Vysokolian nur ihre sechsjährige Tochter in Musik unterrichtet, um sie von den schlimmen Geschehnissen abzulenken, die sie in der Heimat erleben musst. Nach und nach kamen weitere Kinder hinzu. Und inzwischen auch Kinder, die zur Probe bis zu 40 Kilometer weit nach Kochel fahren.

Tetiana Vysokolian probt mit dem Chor bei sich zu Hause. "Ich hatte großes Glück mit den Nachbarn", sagt sie. Diese hätten nicht nur geholfen, die kleine Wohnung einzurichten, sie hätten vor allem nichts dagegen, dass es auch mal etwas lauter wird, wenn die Kinder singen.

Ukrainischer Chor: Bevor es ans Singen geht, gibt es zunächst Atemübungen.

Bevor es ans Singen geht, gibt es zunächst Atemübungen.

(Foto: Manfred Neubauer)
Ukrainischer Chor: Danach werden ukrainische Volkslieder und moderne Songs geprobt. Auch Lieder gegen den Krieg singt der Chor. Tetiana Vysokolian hat einige Texte ins Deutsche übersetzt, damit sie das Publikum hier besser versteht.

Danach werden ukrainische Volkslieder und moderne Songs geprobt. Auch Lieder gegen den Krieg singt der Chor. Tetiana Vysokolian hat einige Texte ins Deutsche übersetzt, damit sie das Publikum hier besser versteht.

(Foto: Manfred Neubauer)

Jede Probe dauert etwa zwei Stunden, nicht mehr nur donnerstags, sondern inzwischen auch samstags. Bevor es ans Singen geht, macht Tetiana Vysokolian mit den Kindern Atemübungen. Erst danach wird gesungen. Wichtig ist aber auch die Pause. Dann gibt es Tee und Süßigkeiten, die jüngeren Kinder gehen in den Garten zum Spielen. Am liebsten aber ist der Chor beisammen, um Musik zu machen. Längst haben sich innige Freundschaften entwickelt.

Für ihre Chorkinder sei Musikunterricht etwas Neues gewesen, berichtet Tetiana Vysokolian. Inzwischen könnten aber alle schon recht gut singen, "von ukrainischen Volksliedern bis hin zu modernen Songs", erzählt die Chorleiterin. Es würden aber auch Lieder über den Krieg in der Heimat gesungen. Tetiana Vysokolian hat einige dieser Lieder ins Deutsche übersetzt, "jetzt können die Kinder in beiden Sprachen singen", sagt sie. "Auf Ukrainisch und Deutsch." So verstehe das deutsche Publikum viel besser, worum es in den Liedern geht.

Ukrainischer Chor: Der Chor tritt in Kirchen, Kitas, Schulen und Seniorenheimen auf.

Der Chor tritt in Kirchen, Kitas, Schulen und Seniorenheimen auf.

(Foto: Manfred Neubauer)

Der kleine ukrainische Kinderchor tritt natürlich auch auf. Die Kinder singen zum Beispiel in Kirchen, aber auch an Schulen und in Kitas und auch in Seniorenheimen. Das kommt so gut an, dass sogar ein kleiner Dokumentarfilm über die "Perlen der Ukraine" erschienen ist.

Meistens ist das Publikum deutsch, und die Kinder sind sehr stolz darauf, dass sie ihre Kultur repräsentieren. "Manchmal ist das Publikum aber auch ukrainisch, und das ist eine besondere Ehre für die Kinder", erzählt Tetiana Vysokolian.

In Kochel ist Tetiana Vysokolian zufällig gelandet. Ihr Mann habe sie hinausgeworfen, witzelt sie. Die Geschichte ist aber gar nicht lustig. Sie wollte gemeinsam mit ihrem Mann, dem größeren Sohn und der Tochter im März 2022 wegen des russischen Angriffskriegs Kiew verlassen. Die größten Sorgen machten sich die Eltern und der Bruder um die kleine Ludmila. Während eines Angriffs habe die Sechsjährige vor Angst so sehr geschrien, es sei unmöglich gewesen, mit ihr in den Bunker zu laufen, um sich vor den russischen Bomben in Sicherheit zu bringen. Der Vater habe deshalb ein Machtwort gesprochen und seine Frau aufgefordert, umgehend mit Ludmila in den Westen der Ukraine und danach nach Deutschland zu fliehen. "Er hat Verwandte in Bad Tölz", erzählt Tetiana Vysokolian. Die hätten ihr und ihrer Tochter am Anfang sehr geholfen.

In diesem Jahr wurde Tetiana Vysokolian in Kiew zur Kunstlehrerin des Jahres gekürt

In Kiew unterrichtete Tetiana Vysokolian elf Jahre an einer Schule Kunst und leitete ein kleines Ensemble. In diesem Jahr hat sie sogar den Titel "Lehrerin des Jahres in Kunst" verliehen bekommen. Ihre Schülerinnen und Schüler, die in der Ukraine geblieben sind, sind ihr sehr wichtig. Deshalb unterrichtet sie inzwischen online. Das hilft auch, den Stress etwas zu lindern. "Die ukrainischen Schüler sind oft in Bunkern, wenn sie Kunstunterricht haben", sagt Tetiana Vysokolian. Sie vermissten ihre Lehrerin und fragten oft, wann sie denn zurückkehre.

Inzwischen arbeitet Tetiana Vysokolian auch in Penzberg für ein paar Stunden in der Woche als Kunstlehrerin. Alles andere macht sie ehrenamtlich. Musik ist ihr Leben, und der Kinderchor ist ihr Ausgleich. Mit den "Perlen der Ukraine" behandelt sie auch ein bisschen den Schmerz des Krieges - bei den Chorkindern, ihren Angehörigen - und auch ein bisschen bei sich selbst.

Die Autorin dieses Textes, Emiliia Dieniezhna, floh wie Tetiana Vysokolian mit ihrer kleinen Tochter im vorigen März aus Kiew vor dem russischen Angriffskrieg. Inzwischen lebt sie in Pullach bei München und schreibt für die SZ in der wöchentlichen Kolumne "Zwischen Welten" über ihren Blick von hier auf die Geschehnisse in ihrer Heimat.

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