Zwischennutzung eines Leerstands:Belebende Kunstgriffe

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Kuratorin Anna Schölß eröffnet die neue Ausstellung mit Florian Haller. (Foto: Manfred Neubauer/Manfred Neubauer)

Anna Schölß und Johannes Hochholzer zeigen mit ihrer „Werkstatt für Transformationen“ in Kochel, wie animierend Kreativität sein kann. Mit „Cloud over K.“ verneigt sich Florian Haller vor dem „Blauen Reiter“.

Von Felicitas Amler, Kochel am See

Dieses Dorf hat ein paar sehr augenfällige Leerstände. Ausgerechnet an der Mittenwalder Straße, die mitten durch Kochel am See führt, bietet sich dieser triste Anblick. Matte Schaufenster, hinter denen sich schon längst nicht mehr die angekündigten „Tutti Frutti“ präsentieren. Ein verwaister Schreibwaren- und Souvenirladen, von dessen vielfältigem Sortiment nur noch die anpreisende Tafel übrig ist: „Spielzeug, Zigaretten, Keramik, Landkarten, Getränke …“ Allenthalben verschlossene Türen. Und – unbegreiflich inmitten eines Touristenorts – eine geschlossene Eisdiele mit völlig heruntergekommener Terrasse, auf der Reste von Leder- und Holzmöbeln gammeln. „Tre Scalini“, steht auf dem rosafarbenen Schild über der Tür, die man über die titelgebenden drei Stufen erreichen könnte – wenn es denn Sinn hätte.

Eine geschlossene Eisdiele … (Foto: Felicitas Amler/oh)
… und eine verwaiste Terrasse mitten im Ort. (Foto: Felicitas Amler/oh)

Verlassene Orte wie diese schmücken einen Ort nicht gerade. Es wäre also der Mühe wert, sie zu beleben, und sei es nur auf Zeit. Wie das gelingen kann, demonstrieren die in Kochel lebende Künstlerin Anna Schölß und Johannes Hochholzer, der das Cohaus im Kloster Schlehdorf mit aufgebaut hat, auf sehr kreative Weise. Nach drei Ausstellungen im Kloster unter dem Titel „Transformationen“ haben sie nun das frühere Café Erika, auch dies zuvor ein jahrelanger Leerstand am Ortseingang, in einen Kunstraum verwandelt.

Nach jahrelangem Leerstand hat sich das Café Erika in einen Kunstraum verwandelt. (Foto: Manfred Neubauer)

Ihre „Werkstatt für Transformationen“ (WfT) bietet sich an als Treffpunkt für kunstsinnige Menschen aus dem Ort und der Region, als Atelier und Ausstellungsraum für Kunstschaffende, als Treffpunkt für Dialog und nicht zuletzt als Impulsgeber für den Ort.

Dies alles setzen Schölß und Hochholzer unmittelbar in Bezug zu jener Kunst, deretwegen Kochel weit über die eigenen Grenzen hinaus bekannt ist: die des „Blauen Reiters“. So ist denn auch die Direktorin des Franz-Marc-Museums, Jessica Keilholz-Busch, am Sonntag unter den Gästen der neuesten Ausstellung in der WfT. Mit dieser „Intervention“ unter dem Titel „Cloud over K.“ greift der Münchner Künstler Florian Haller die Faszination von Franz Marc, Wassily Kandinsky, Gabriele Münter, Marianne von Werefkin und all der anderen Expressionisten für das Blaue Land auf. Allerdings sieht er auch die dunklen Wolken, die heutzutage selbst über den herrlichsten Landschaften hängen: Klimawandel, Hitze, Dürre.

„Cloud over K.“. Florian Haller zeigt mit Wandmalerei, Gemälden und Keramikreliefs seine Version des Blauen Lands. (Foto: Manfred Neubauer)

Um also Dramatik in die Szenerie zu bringen, hat Haller die Decke des Vorraums, den er ausgestaltet hat, schwarz bemalt. Unter diesem schweren Himmel ragen an den Wänden spitze blaue Dreiecke als abstrahierte Berge auf, schwarz konturiert, womit Haller nach eigener Erklärung an die Outlines erinnern möchte, die sich oft im Werk des Expressionisten Max Beckmann finden. Beckmann und Ernst Ludwig Kirchner habe er bei jenen Gemälden im Hinterkopf gehabt, die er in seine Berglandschaft eingefügt hat, erklärt der Künstler, der bei Jerry Zeniuk studiert hat. Es sind wenige farbstarke, auf Flächen reduzierte Menschen, Köpfe. Und eine weitere eindeutige Reverenz an Beckmann: ein Vogel. 

Schon in diesem Bild tauchen die Pastelltöne auf, mit denen Haller ein anderes, rein abstraktes Werk gemalt hat: zartes Rosa, Hellblau, Gelb. Rosafarben sind auch der Durchgang in den großen Raum und die Bergspitzen vor hellblauem Hintergrund an den beiden Wänden, die Haller dort bemalt hat. Wer würde bei diesen Tönen nicht an die typische italienische Eisdiele denken. Und damit hat der Künstler den Bogen direkt in die Kochler Ortsmitte geschlagen.

Schölß und Hochholzer verdanken ihre Werkstatt für Transformationen der Kochler Familie Heinritzi, die an der Bahnhofstraße einen Fahrradladen hat. Sie hat die Räume des einstigen Café Erika als Ausweichquartier für ihr Geschäft gepachtet. Denn von Herbst an wollen die Heinritzis ihr Fahrradgeschäft umbauen. Bis dahin, genauer bis Oktober, kann die Werkstatt noch einige Transformationen erfahren. Denn das ist das Prinzip, mit dem Schölß und Hochholzer angetreten sind: „ein Ausstellungsraum, der einen Zwischenstand zeigt, der morgen schon wieder anders sein kann“.

An einem „Dust Day“, einem Tag mit Saharastaub, hat Anna Schölß dieses Bild gemalt. (Foto: Manfred Neubauer)

Zurzeit kann das Publikum dort neben Hallers „Cloud over K.“ auch ein großformatiges Gemälde von Anna Schölß entdecken, das sie an einem der denkwürdigen Saharastaub-Tage dieses Jahres gemalt hat: „Dust Day“ (2,10x3 Meter, Acryl und Sprühlack auf Leinwand). Außerdem schweben noch runde Texttafeln der „Teezeremonie“ von und mit Markus Kunas im Raum. Das „Wolpertinger Project“ der Münchner Künstlerin Gabi Blum erinnert an eine Kunstaktion in Ober- und Untermenzing, zu sehen ist eine fragmentarische Hausfassade; die Erklärung dazu kann man auf einer Tafel nachlesen. Davor hat sich eine Ansammlung grüner Keramik-Objekte auf dem Boden breit gemacht – ein Werk der Künstlerin Luisa Koch aus Uffing am Staffelsee. Im Kochler Rahmen lässt diese „Horde“ – so der Titel – an die Berge denken oder an die Heuhocken von Münter, Macke und Marc.

Man sieht: Es lohnt sich, der Fantasie und den Assoziationen von Kunstschaffenden und Publikum Raum zu geben. Es ist erfreulich, dass sich auch Bürgermeister Jens Müller den Raum, in dem all dies möglich ist, bereits angesehen hat. Vielleicht kann sich die Gemeinde manches abschauen, was der Belebung des Ortes dienen könnte. Oft genügen ein paar Kunstgriffe.

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